„Ich habe vor Freude geweint“34 Kölner Obdachlose kommen in Jugendherberge unter
Köln – Thorsten (44) hat in den vergangenen Monaten auf einem Friedhof geschlafen. Platte macht er seit drei Jahren, da endete mit seiner Beziehung auch sein Leben als Familienvater und Angestellter. Wut und Frust ertränkte er im Alkohol, zog aus, fand keine Wohnung – und verlor den Halt. Vor gut einer Woche kam Thorsten zufällig zur Essensausgabe der Hilfsorganisation Helping Hands Cologne am Breslauer Platz. Jetzt zeigt der Vater zweier Kinder, der bis zu seiner Lebenskrise im Garten- und Landschaftsbau gearbeitet hat, sein neues zu Hause: Ein Vier-Bett-Zimmer der Jugendherberge Pathpoint an der Straße Allerheiligen, ganz für sich allein.
Der Verein hat die in der Corona-Pandemie eigentlich geschlossene Jugendherberge aus Spendengeldern bis Ende Februar gemietet. Nicole Freyaldenhoven vom Verein fragte Thorsten auf der Straße, ob er einziehen wolle – der musste nicht lange überlegen. „Das war ein toller Zufall. Hier habe ich die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und mich neu zu sortieren“, sagt Thorsten, dessen Arbeitshose und hohe Lederschuhe an seine Zeit im Landschaftsbau erinnern. „Ich hoffe, die Zeit hier bedeutet einen Neuanfang: Ich möchte eine kleine Wohnung finden und im zweiten Schritt möglichst schnell wieder Arbeit.“
Weihnachts-Überraschung für Kölner Obdachlose
Schon am zweiten Weihnachtsfeiertag sind die ersten Obdachlosen in die Jugendherberge gegenüber des Edelhotels Savoy eingezogen. Inzwischen sind alle 34 Mehrbettzimmer mit jeweils einem Bedürftigen belegt – die älteste Bewohnerin heißt Erika, ist 80 Jahre alt und lebt seit drei Jahren auf der Straße. Der jüngste Bewohner ist 22. „Corona hat die Not armer Menschen noch einmal verschärft. Bei unseren Essensausgaben ist es in den vergangenen Monaten immer voller geworden“, sagt Helmut Schenk, Vorsitzender der Helping Hands Cologne. Als obdachlos gelten in Köln der Verwaltung zufolge rund 300 Menschen, keinen festen Wohnsitz haben über 6000 – beide Zahlen steigen tendenziell auch, weil in den vergangenen Jahren die Zahl der Wohnungslosen aus Osteuropa stark zugenommen hat.
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Zugenommen hat in der Corona-Krise auch die Spendenbereitschaft vieler Menschen“, sagt Helmut Schenk. „Die Solidarität vieler Kölnerinnen und Kölner hat uns ermöglicht, die Jugendherberge nicht nur für einen, sondern für zwei Monate zu mieten.“ Herbergsvater Marc von der Brüggen sagt, er habe nicht lange überlegen müssen, als die Anfrage des Vereins kam: „Wir mussten noch ein paar Dinge wegen der Corona-Schutzverordnung klären, aber da hat die Stadt sehr schnell gehandelt“, sagt er. „Wir freuen uns, ein bisschen helfen zu können – bislang funktioniert das Projekt wirklich gut, fast alle Bewohner halten sich an die Spielregeln.“
Schneller als die Kölner Politik
Die kleine Hilfsorganisation war schneller als die Politik – jüngst hat der Sozialausschuss beschlossen, allen Kölner Obdachlosen vorrübergehend Unterkünfte in Hotels zu ermöglichen. Schon jetzt hat die Stadt Köln die Anzahl der Betten in Notunterkünften um 234 Plätze auf jetzt 1234 aufgestockt. Aktuell beherbergen 39 Hotels Obdachlose, mit weiteren Betreibern verhandelt die Stadt.
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Die wohnungslosen Zwischenmieter der Jugendherberge, die aus einer umgewidmeten Kirche entstanden ist, haben für noch sechs Wochen nicht nur ein Zimmer für sich mit Bad und Toilette – sie können auch regelmäßig mit einer Sozialarbeiterin sprechen, um sich zu orientieren. Die Ehrenamtler von Helping Hand Cologne schauen immer wieder nach dem Rechten, einige Mitarbeiter der Jugendherberge, die sich in Kurzarbeit befinden, versorgen die Menschen mit kleinen Mahlzeiten und Getränken.
80-Jähriger lebt in Köln auf der Straße
„Ich habe vor Freude geweint und erstmal 16 Stunden am Stück geschlafen“, sagt Teodoro, der seit 14 Jahren auf der Straße lebt. „Ich lebe vom Flaschensammeln und schnorren, beides ist im Moment fast nicht möglich.“ Teodoros erzählter Lebenslauf ist voller Schlaglöcher und Stolpersteine – vom prügelnden Vater, über eine wiederkehrende Heroinsucht bis zu Gefängnisaufenthalten. „Ich wusste gar nicht mehr, wie es ist, ein eigenes Zimmer mit Heizung zu haben“, sagt der 35-Jährige. „Von hier aus will ich nochmal neu anfangen.“
Einer hat es bereits geschafft: Mit Hilfe der Herberge und der Sozialarbeiterin hat er einen Platz in einer Entzugsklinik gefunden.