Langjährige RecherchenKölner Straßennamenexperte erforscht Lindenthals Straßen
Lindenthal – Rüdiger Schünemann-Steffen ist ein Forscher wie aus dem Bilderbuch. Der wild gewachsene weiße Rauschebart verleiht ihm das Aussehen eines Einsieders, der sich jenseits der Zivilisation bewegt, auf einer einsamen Insel, in der Wüste, dem Dschungel oder sonst einem abgelegenen Ort.
Im Fall von Schünemann-Steffen ist es ganz einfach seine kleine Wohnung in einem Häuserblock an der Honschaftsstraße in Holweide, die er nur selten verlässt. „Ich bin nicht so gut zu Fuß“, begründet er.
In Lindenthal laufen die Sachen anders
Deswegen forscht der Fachmann für Kölner Straßennamen gerne in seinem Kämmerlein, im organisierten Chaos, zwischen Bücherstapeln, Aktenordnerreihen, Fernseh- und Computerbildschirm, als den Kölner Westen selbst zu besuchen – obwohl gerade der ein besonderes Geheimnis birgt.
„Normalerweise“, sagt Schünemann-Steffen „wird die Straße vom Ortszentrum weg nummeriert und erhalten die Häuser auf der rechten Straßenseite die geraden und die linke Seite die ungraden Nummern. In Stadtteil Lindenthal ist es allerdings an einigen Stellen, wie beispielsweise der Dürener Straße und der Freiligrathstraße, genau umgekehrt.“
Bislang habe ihm niemand erklären können, warum das so ist. „Weder das historische Archiv noch die Stadt Köln haben eine Erklärung“, so der Straßenforscher. Vor knapp einem Jahr ist die dritte Auflage des Buches erschienen, das Ergebnis seiner langjährigen Recherchen ist - „Das Kölner Straßennamen-Lexikon“.
Warum heißen die Straßen so, wie sie heißen?
Wie der 61 Jahre alte gelernte Schriftsetzer auf die Idee gekommen ist, sich dieser Wissenschaft zu widmen und ein Buch darüber zu verfassen? Ja, wie nur? Schünemann-Steffen muss überlegen. Lange ist es her. „Ich, glaube, das war als meine Kinder klein waren und auf die Straßenschilder zeigten und fragten: Was steht da?“ Wenn er ihnen den Straßennamen vorlas, habe ihnen die Antwort nicht genügt. Die nächste Frage folgte: „Warum?“
Und der pflichtbewusste Vater forschte nach. „Ich habe mir dann Karteikärtchen zu den Straßennamen gemacht.“ Aus Pflichtbewusstsein wurde Leidenschaft und daraus ein Buch. Im Jahr 2000 war die erste Auflage fertig. Weil immer wieder Straßen hinzukommen, mussten weitere folgen – und weil mittlerweile 5500 Stück so viel Arbeit machen, hat er seine Arbeit aufgeteilt und gibt kleinere Straßenlexika für jeden Stadtbezirk heraus.
Noch vor Weihnachten soll der Band für den Stadtbezirk Lindenthal fertig sein. Um ihn in der Sülzer Stadtteilbibliothek vorzustellen und seine Ergebnisse zu präsentieren, unternahm er sogar einen seiner seltenen Abstecher in den Westen.
„Oft ist es gar nicht so schwierig“
Das Rätsel mit den Hausnummern wird allerdings wohl ungelöst bleiben, aber die Frage, woher der jeweilige Name der 782 Straßen im Bezirk 3 stammt, wann sie ihn erhalten hat, kann Schünemann-Steffen stets beantworten. „Oft ist es gar nicht so schwierig“, sagt er. „In Klettenberg heißt eine Straße Siebengebirgsallee. Dann hat man die Verkehrsachsen, die von ihr abgehen, einfach nach den Bergen des Gebirges benannt, Drachenfels- und Petersbergstraße beispielsweise.“
In den 1950er-Jahren habe man Straßen gerne nach bekannten Widerstandskämpfern und Holocaustopfern benannt, erzählt er. Ein Beispiel sei die Schmittmannstraße in Lindenthal. Der deutscher Sozialwissenschaftler und Sozialpolitiker Benedikt Schmittmann war ein Vertreter der katholischen Soziallehre und wurde als solcher 1939 von den Nazis verhaftet und in das KZ Sachsenhausen verschleppt, wo er noch im selben Jahr aufgrund von Misshandlungen durch die SS starb.
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„Besonders schön finde ich es, wenn es für die Menschen, nach denen Straßen benannt sind, auch einen Stolperstein von Demnig gibt, wie in diesem Fall“, sagt Schünemann. Der Kölner Künstler Gunter Demnig verlegt sie zum Gedenken an Opfer des Holocaust. Ein Pflasterstein mit der Messinggedenktafel, die den Namen Benedikt Schmittmann trägt, befindet sich allerdings jeweils vor dem Hauptgebäude der Universität, wo er gelehrt, und am Sachsenring 26, wo er zuletzt gewohnt hat.
Name zeugt oft von der Geschichte des Viertels
Die Sülzer Straßen, in denen sich Kommunisten mit den Nazis manche Schlacht lieferten, tragen nicht die Namen der widerständlerischen Ex-Bewohner. „Die Gustavstraße ist nach Gustav Koschin benannt, einem Ziegeleibesitzer“, sagt der Experte. In dem Viertel standen damals viele solcher Betriebe. Insoweit zeugt auch dieser Name von der Geschichte des ehemaligen Arbeiterstadtteils.
Welche Informationen Schünemann in seinen Lexika neben der Herkunft der Straßennamen noch gibt, hängt ganz davon ab, was er selbst interessant findet. Wie lang die Straße ist, kann man dort nachlesen, wann sie ihren Namen erhielt, ob sie vorher anders hieß. Sehr gerne stellt Schünemann dazu ein Porträt der Person, nach der sie benannt ist. Nicht immer gelingt es ihm, ausführliche Informationen über den Namensgeber zu bekommen.
Eine Lieblingsstraße habe er nicht
Manchmal hat er aber Glück, wie im Fall des berühmten Mediziners und Spezialisten für Anatomie Wilhelm Waldeyer, nach dem eine kleine Straße an der Universität benannt ist. „Ich habe alle möglichen Nachfahren angeschrieben. Ein Großneffe, hat mir ein Foto geschickt“, schildert Schünemann, „das war für mich wie Weihnachten.“
Eine Lieblingsstraße habe er aber eindeutig nicht, sagt er – und klingt ein bisschen wie ein Vater, der keines seiner Kinder bevorzugen will. Aber doch, gibt er zu, es gäbe einen Platz, der eine besondere Bedeutung für ihn hat, der liegt aber nicht im Kölner Westen, sondern in Nippes. "Der Heinrich-Pachl-Platz ist ja nach dem Kölner Kabarettisten benannt. Den kannte ich persönlich."
Quiz: Wie gut kennen Sie die Kölner Straßennamen?
782 Straßen
Informationen zu allen Kölner Straßen, Wegen, Gassen, Plätzen, Parks und Brücken gibt es im „Kölner Straßennamen-Lexikon“ von Rüdiger Schünemann-Steffen. Interessierte können es bei ihm erwerben. Die kleinere Ausgabe zum Stadtbezirk 3 soll Ende des Jahres erscheinen, umfasst 782 Einträge, kostet 8,50 Euro und kann beim Autor vorbestellt werden.