Lernen, was Bäume könnenEine Kölnerin bietet Führungen im Beethovenpark an
Köln-Sülz – Zurück zu den Wurzeln. Dorthin hat es Rosi Wagner verschlagen im zweifachen Sinne. Die Sülzerin ist im Odenwald groß geworden. „Ich habe einen großen Teil meiner Kindheit im Wald verbracht“, erzählt sie, „habe dann in der Pubertät meinen Liebeskummer hineingebrüllt.“Wegen ihres Wirtschaftsstudiums kam Wagner nach Köln.
Corona-Pandemie brachte Kurzarbeit
Hier war sie zuletzt in einer Teambuilding-Agentur tätig. Doch ihr Arbeitsplatz veränderte sich durch die Corona-Pandemie sehr zu seinem Nachteil: Statt Veranstaltungen zu organisieren, saß Wagner im Homeoffice bei Kurzarbeit mit finanziellen Sorgen – und mehr Zeit für Besuche mit ihren beiden Töchtern im Wald, die Wissenslücken offenbarten: „Viele Fragen, sowohl die meiner Kinder als auch meine eigenen, konnte ich nicht beantworten“, erzählt Wagner. Kurzentschlossen ließ sich die 46-Jährige in der „Waldakademie“ des bekannten Försters und Autors Peter Wohlleben in der Eifel zur Waldführerin ausbilden.
Nun ist sie wieder regelmäßig im Grünen unterwegs, beispielsweise im Beethovenpark, wo sie das erlernte Wissen bei Führungen an Interessierte vermittelt – und ein wenig für ihre Entspannung sorgt. „Einfach einmal die Augen schließen und den Geräuschen des Waldes lauschen“, gehört fest zum Führungsprogramm. „Der Wald ist für die Gesundheit des Menschen sehr wichtig“, erklärt Wagner. „Es gibt Studien, die belegen, dass ein 20 Minuten langer Aufenthalt im Wald bereits das Stresshormon Cortisol reduziert.“ An ihrem Lieblingsbaum, dem großen Ahorn unterhalb des Plateaus an der Neuenhöfer Allee, stoppt Wagner regelmäßig und stellt den Führungsteilnehmern eine Frage „Wie kommt das Wasser des Baumes hoch zu den Blättern?“ Viele antworten, was auch sie noch in der Schule gelernt hat: „Durch Transpirationssog. Die Blätter verdampfen oben Wasser und ziehen von unten welches nach.“
Die Waldführerin weiß es mittlerweile besser: „Das funktioniert nach den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht“, betont sie. „Der Wasserdruck im Stamm ist im Frühling am allergrößten, das heißt, dann zieht der Baum am allermeisten Wasser, aber in der Zeit gibt es noch gar keine Blätter.“ Die richtige Antwort lautet: „Man weiß es nicht.“ Der Mensch sei nicht so allwissend wie er glaube – und könne beispielsweise auch die anstehenden klimatischen Veränderungen noch nicht richtig abschätzen. Wagner hat eine Mission: Sie möchte Wertschätzung für das Ökosystem Wald vermitteln, als Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel: Durch die Wasserverdunstung der Bäume und den Feuchtigkeitsspeicher der Ökomasse am Boden kühlt er seinen Standort enorm: „Man hat über Sommermonate hinweg Temperaturen in Berlin-Mitte mit einem nahen Wald verglichen und 15 bis 18 Grad Unterschied festgestellt“, schildert Wagner.
Bäume lernen, Wasser zu sparen
Die Bäume brauchen viel Wasser, der große Ahorn, so Wagner, benötigt 500 Liter täglich. Doch seine Wurzeln reichen tief. Der kleinere Artgenosse, der neben ihm steht, hat unter der Trockenheit sichtbar mehr zu leiden. Im unteren Bereich der Kronen sind seine Äste kahl. „Die Bäume werfen bei großer Trockenheit ihre Blätter ab“, weiß Wagner. So verringern sie ihre Wasserverdunstung. Sie seien auch sehr anpassungs- und lernfähig „Wenn es viele trockene Sommer gibt, lernen sie, ihr Wasser zu rationieren“, erläutert Wagner. Sie verbrauchen es in den ersten Frühlings- und Sommermonaten langsam, weil sie wissen, dass es noch heiß werden könnte. Dieses erlernte Wissen geben sie auch epigenetisch an ihre Nachkommen weiter.“
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Bäume würden kommunizieren und sich gegenseitig helfen, und zwar über ihre Wurzeln: „Man weiß mittlerweile, dass die letzten Wurzelenden ganz fein sind und untereinander funken“, so Wagner. Über die Wurzeln würden sie sich verbinden und unterstützen, indem sie gegenseitig Zuckerlösung austauschen, wenn Not besteht – zumindest innerhalb derselben Art. Apropos Zucker. „Was ist der wichtigste Unterschied zwischen Menschen und Bäumen?“, möchte Wagner von den Führungsteilnehmern wissen. Keiner errät ihn. „Wenn wir etwas essen wollen, müssen wir Spinat ernten oder eine Kuh schlachten“, sagt die Waldführerin, aber ein Baum braucht nur die Sonne und das Wasser und kann seine Nahrung, eine Zuckerlösung, selbst produzieren.“ Ihren jüngsten Führungsteilnehmern erklärt sie es gerne so: „Das ist so, als ob wir eine eigene Bonbonfabrik im Bauch haben.“https://die-waldgaenger.de/