Das Kölner Pflegeheim hat sich auch eine Alternative zu oft heteronormativem Fernsehen überlegt.
Jung, queer, PflegefallIm Frida-Kahlo-Haus nimmt man Rücksicht auf die sexuelle Orientierung
Wenn Anette Rohde nach dem Aufstehen ihr Zimmer verlässt und mit dem Rollstuhl ins Foyer des Frida-Kahlo-Hauses am Alten Militärring 95 fährt, begrüßt sie ihre Mitbewohner und Mitbewohnerinnen oft mit demselben Spruch: „Eine Lesbe am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen!“ Die 53-Jährige macht aus ihrer sexuellen Orientierung keinen Hehl. Im 21. Jahrhundert sollte das ja auch eine Selbstverständlichkeit sein.
Nicht selbstverständlich ist aber, dass queere, homo- und transsexuelle Menschen die Möglichkeit haben, ihr Leben adäquat zu gestalten, wenn sie aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit plötzlich zum Pflegefall werden und in einem Heim betreut werden müssen. Dann besteht die Gefahr, dass der Kontakt zu ihrer Community abreißt, dass sie keine Ansprechpartner mehr haben, niemand, der sie dabei unterstützt, noch am Leben der LGBTQI-Szene teilzuhaben. Das ist im Frida-Kahlo-Haus anders. In der Einrichtung des Clarenbachwerks werden junge Menschen zwischen 18 und 50 Jahren betreut, die aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen auf Pflege angewiesen sind.
Köln-Müngersdorf: Frida-Kahlo-Haus offen für LGBTQI
Das Haus wurde vor 30 Jahren gegründet, damit junge Menschen mit Pflegebedarf nicht in Seniorenheimen wohnen müssen, wo es schwer ist, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Irina Rasimus, Pressesprecherin des Clarenbachwerks, sagt: „Es handelt sich meist um Menschen, die mitten in ihrer Gestaltungsphase herausgerissen wurden aus ihrem Leben, sei es durch einen Unfall, eine Hirnblutung, einen Schlaganfall oder ähnliches.“
Im Frida-Kahlo-Haus bemühen die Mitarbeiter sich, ihnen noch so viel Teilhabe am Leben wie möglich und eine individuelle Weiterentwicklung zu ermöglichen. Dazu gehört auch, dass sie sich auf die Diversität der jungen Menschen einstellen, auf ihre sexuelle Orientierung, ihre Geschlechtsidentität.
Einige der Pfleger und Pflegerinnen sind selbst homosexuell und kennen die damit einhergehenden Bedürfnisse in einer Pflegesituation, wie Heilerziehungspflegerin Steffi Schlag: „Menschen, die zur LGBTQI-Community gehören und ihr Leben ‚out‘ gelebt haben, also offen homosexuell, machen sich meist Sorgen wie das im Pflegeheim möglich sein wird.“ Beim Einzug kommt dann die Frage, ob es im Heim ein Problem ist, die jeweilige sexuelle Orientierung zu leben und wie das für die Mitarbeiter ist. Das Team des Frida-Kahlo-Haus kann sie beruhigen. Sie gehen überaus offen damit um. „Wir holen die Menschen da ab, wo sie Unterstützung brauchen und passen die Angebote dementsprechend an“, sagt Schlag.
Wahlfamilie oft wichtiger als Herkunftsfamilie
Die Unterschiede zu heterosexuellen Bewohnern und Bewohnerinnen sind vielfältig. Es beginnt schon damit, dass die Patientenverfügungen entsprechend angepasst werden müssen. Oft sind bei den nicht-heterosexuellen Menschen weniger die Eltern oder ein Ehepartner Ansprechpartner als der gleichgeschlechtliche Partner, die gleichgeschlechtliche Partnerin oder der Freundeskreis ist als „Wahlfamilie“ wichtiger als die Herkunftsfamilie.
„Es ist wichtig für die Menschen, dass sie mit ihrer Peer-Gruppe in Verbindung bleiben können, schildert Schlag, „dass es da nach wie vor Angebote gibt.“ Sie nennt konkrete Beispiele: „Im Fernsehen läuft viel Heteronormatives. Wir machen dann auch einmal ein anderes Filmangebot und besuchen mit den nicht-heterosexuellen Bewohnern und Bewohnerinnen Veranstaltungen.“
So begleiten Schlag und ihre Kollegen sie zu LGBTQI-Veranstaltungen, wie etwa dem Fußballturnier Come-Together-Cup, dem CSD oder Lesbian-and-Gay-Parties. „Auch ein Mensch, der körperlich eingeschränkt ist, hat ein Recht auf Sexualität“, betont Schlag. „Das muss akzeptiert und dafür muss Raum geschaffen werden. Wir greifen als Pfleger so weit in die Intimsphäre ein, dass wir da auch eine Akzeptanz ausstrahlen müssen.“
Bewohner des Frida-Kahlo-Hauses haben unterschiedlichste Biografien
Derzeit leben fünf nicht heterosexuelle Menschen im Frida-Kahlo-Haus. Es sind solche mit ganz unterschiedlichen Biografien. Annette Rohde war Berufsschullehrerin und lebte mit ihrer Freundin zusammen, bevor sie an MS erkrankte. Auch für ihre Schüler und Schülerinnen hatte sie einen Begrüßungssatz parat: „Ich bin eure Klassenlehrerin, und ich muss euch gleich sagen, dass ich lesbisch bin.“ Ihre fröhliche Art und ihr offener Umgang mit ihrer sexuellen Orientierung haben sich seitdem nicht geändert, auch wenn sie jetzt im Frida-Kahlo-Haus lebt und es sich an manchen Tagen darauf beschränkt, dass sie ihre Sprüche klopft und Nagellack in Regenbogenfarben trägt.