Vermieter, Umweltamt und Unternehmen schlossen eine Antennenanlage als Lärmquelle aus – der „Kölner Stadt-Anzeiger“ bewies das Gegenteil.
„Da geht man innerlich kaputt“Zehn Monate litten Mieterinnen in Sülz unter einem quälenden Geräusch
In dem Moment, in dem der Ton nicht mehr zu hören ist, verschlägt es Agnes Schumacher die Sprache. „Ich kann das kaum ausdrücken, es ist eine Erlösung“, sagt die 85-Jährige eine gefühlte Ewigkeit später mit belegter Stimme: „Immer das gleiche Geräusch in meiner Wohnung, keine Nacht konnte ich mehr durchschlafen, selbst mit Ohrstöpseln nicht, da geht man innerlich kaputt“, ergänzt die Gehbehinderte.
Ihre Nachbarin Hildegart Scholten ist ähnlich angefasst. „Das war nicht mehr auszuhalten, seit etwa zehn Monaten für 24 Stunden am Tag dieser an- und abschwellende Tüüüt-Ton, da wird man verrückt.“ Im Flur, im Badezimmer oder in der Küche. „Überall habe ich versucht zu schlafen, aber das hat alles nichts genutzt, der Ton war überall.“
Techniker und Experten des Kölner Umweltamtes fanden Störquelle nicht
Im Oktober vergangenen Jahres hatten die Mieterinnen die Lärmbelästigung gemeldet. Auf dem Dach ihres siebenstöckigen Hauses an der Berrenrather Straße in Sülz stehen meterhohe Antennenanlagen. Der Verdacht, dass der Ton daher kommt, lag nahe. Doch die Techniker des Vermieters, der Betreiber der Antennen und Experten des Kölner Umweltamtes fanden die Störquelle nicht.
Die Anlagen auf dem Dach jedenfalls seien es nicht, behaupteten sie. Von den Bewohnern des Hauses zu Hilfe gerufen, entdeckte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor etwa zwei Wochen jedoch einen Kasten auf dem Dach, der exakt das Geräusch machte, das in den Wohnungen zu hören war. Und der zum Kühlsystem einer der Antennenanlagen gehörte.
Verhalten der Stadt Köln grenzt an Ignoranz
„Das zeigen wir den Verantwortlichen einfach, und dann wird das Problem schnell gelöst“, lautete von diesem Zeitpunkt an der Plan unserer Redaktion. Bei seinen weiteren Recherchen traf der Autor dieses Artikels dann auch auf kooperationswillige Vermieter sowie die Telekommunikationsunternehmen Telefonica und Vodafone, die die Antennenanlagen auf dem Haus betreiben und unmittelbar auf alle Hinweise reagierten. Allerdings auch auf ein Verhalten der Stadt, das verstörend wirkt und zahlreiche Fragezeichen hinterlässt.
Mieterin bat Stadt um Hilfe
Die Geschichte beginnt am 31. Oktober 2022. „Auf unserem Mietshaus sind Mobilfunksendeantennen, deren Kühlungsanlagen defekt sind und in den gesamten oberen Stockwerken Tag und Nacht ein tieffrequentes Brummgeräusch verursachen“, bat Hildegart Scholten (Name geändert) in einer Online-Mitteilung die Stadt um Hilfe.
Der Eigentümer des Hauses, der den Hausmeister und einen Techniker vorbeigeschickt hatte, konnte die Lärmquelle zuvor nicht identifizieren. Zwischenzeitlich wurde vermutet, dass die Heizung der Verursacher sein könnte. Zwei defekte Umwälzpumpen wurden ausgetauscht, doch der Ton blieb.
Fall wird von der Stadt ungelöst abgeschlossen
„Sehr geehrte Frau Scholten, ich habe nun sowohl mit den Firmen Telefonica (O2) als auch Vodafone gesprochen. Beide Antennenanlagen wurden in den letzten Wochen mehrfach überprüft und laufen einwandfrei. Sie kommen als Ursache für den Brummton nicht in Frage“, antwortete eine Mitarbeiterin des Umweltamtes am 14. November 2022 auf den Hilferuf der Mieterin.
Als die Angeschriebene protestierte, ließ die städtische Bedienstete am 18. November wissen, sie könne sich „nur noch einmal wiederholen: Die Antennentechnik beider Anlagenbetreiber läuft ohne Beanstandung, dies wurde mehrfach von verschiedenen Seiten überprüft und bestätigt.“ Zudem hätten die Anlagen schlichtweg „kein Aggregat, das geeignet ist, ein tieffrequentes Geräusch zu erzeugen“, so die Expertin der Stadt: „Der Fall ist damit für mich abgeschlossen.“
Geräusch sei auf Dauer nicht auszuhalten
Akte geschlossen, aber der Ton war weiterhin zu hören. Mit einer durchgehenden Lautstärke von 55 Dezibel in der Wohnung von Hildegart Scholten, wie sie damals mit einem speziellen Schallpegel-Messgerät gemessen habe, berichtet eine Hörakustikerin. „Etwa 40 Dezibel entsprechen einem tropfenden Wasserhahn. Und auch dieses Geräusch ist zum Schlafen und Leben auf Dauer ja nicht auszuhalten“, ergänzt die Expertin.
Immer wieder rief Scholten deshalb beim städtischen Umweltamt an. Am 10. März dieses Jahres endlich kam die Sachbearbeiterin mit einem Kollegen dann doch zum Ortstermin, am 30. März zum zweiten Mal. Die beiden Besuche hätten erneut ergeben, „dass kein Zusammenhang zwischen den Antennenanlagen und dem Sie belästigenden tiefen Resonanzton besteht“, schrieb die städtische Bedienstete am 4. April. „Die Ursache des tiefen Resonanztons“ sei unklar, könne „aber im Rahmen unserer Möglichkeiten nicht weiter ermittelt werden“. Der Fall werde „damit abgeschlossen“, so die Sachbearbeiterin.
Reporter findet die Ursache für das Störgeräusch
Als der „Kölner Stadt-Anzeiger“ von der Angelegenheit erfuhr, setzte sich der Autor dieses Artikels etwa eine halbe Stunde auf das Dach des Hauses. Das Störgeräusch war anfangs nicht hörbar, weil es von der Abluft anderer Antennen-Belüftungskästen übertönt wurde. Langsam aber konnte das Geräusch eingekreist werden. Bis zu einem Kasten, der exakt den Ton produzierte, der in den Wohnungen zu hören war.
Auf das mehrfache Angebot des „Kölner Stadt-Anzeiger“, die vermutliche Quelle des quälenden Tones zu zeigen, ging das städtische Umweltamt wochenlang aber nicht ein. „Das Umwelt- und Verbraucherschutzamt wird die Angelegenheit nochmals prüfen und die Beschwerdeführerin danach erneut kontaktieren“, ließ Stadtsprecherin Katja Reuter zunächst wissen. Auf erneute Nachfragen hieß es Mitte Juli dann, „das zuständige Amt“ werde „in der kommenden Woche“ die Lärmbelastung messen.
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hakte wieder nach. Ob denn auch auf dem Dach gemessen werde? „Um Belästigungen, die in einer Wohnung bestehen sollen, beurteilen zu können, müssen diese Messungen auch am Immissionsort durchgeführt werden“, belehrte die Stadt daraufhin im Behördendeutsch: „Nur in der Wohnung befinden sich die maßgeblichen Immissionsorte gemäß Ziffer 2.3 der TA-Lärm bezogen auf die Immissionsrichtwerte innerhalb von Gebäuden (Ziffer 6.2 TA-Lärm).“
Kurioses Vorgehen bei der Lärmmessung
Aha, die „Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ (kurz TA-Lärm) also. Geht es noch verrückter? Anstatt mit dem Reporter des „Kölner Stadt-Anzeiger“ kurz aufs Dach zu klettern, sollte jetzt in der Wohnung von Hildegart Scholten „für mindestens 124 Stunden“ ein Ton gemessen werden, der doch immer schon deutlich hörbar war.
Mal abgesehen davon, dass die angebotene Messung nicht bei der eigentlichen Frage helfe, wo der Stör-Ton entsteht: Warum wurde diese Aktion denn nicht schon im vergangenen Jahr durchgeführt, wenn sie angeblich doch so entscheidend ist, wollte der Stadt-Anzeiger am Donnerstag vergangener Woche wissen. Eine Antwort der Stadt steht bisher noch aus.
Ursache durch Ortstermin identifiziert und behoben
Diese wird wohl auch nicht mehr nötig sein. Angesichts der Zweifel, dass das Lärm-Problem mit Hilfe der Stadt gelöst werden könnte, hat unsere Redaktion den Verwalter des Hauses an der Berrenrather Straße angeschrieben. Benjamin Kilian, ein Vertreter der Eigentümergesellschaft, war sofort einverstanden, sich mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor Ort zu treffen. „Wir sind für jeden Hinweis dankbar, haben schon überlegt, ob die Ursache für den Ton vielleicht bei einem Nachbarhaus liegt.“
Die Lautstärke des Brummens in den Wohnungen überrasche ihn, sagte Kilian dann bei dem Termin. „Das hätte ich nicht gedacht, wie deutlich das ist.“ Auch auf dem Dach war er schnell überzeugt. Der Kasten, den der Autor dieses Beitrages ihm zeigte, sei die Ursache für den Ton. „Ganz bestimmt“, so Kilian. Auf Anfrage kamen einige Tage später auch Telefonica und Vodafone noch einmal zum Ortstermin. Die Anlagen wurden probehalber ausgeschaltet. Und als die Vodafone-Antenne vom Netz ging, war auch der Ton in den Wohnungen verschwunden.
Die Vermutung des „Kölner Stadt-Anzeiger“ habe sich bewahrheitet, teilte Volker Petendorf, der Sprecher des Telekommunikationskonzerns, anschließend mit. Eine der Klimaanlagen sowie ein Lüfter hätten die Störgeräusche verursacht. Die Anlagen seien, ohne die passenden Dämmplatten, auf einer Stahlkonstruktion instaliert worden, wodurch sich der Ton auf das Dach sowie die oberen Etagen übertragen hätte. „Der Fehler“ sei „umgehend behoben“ worden. Um auch zukünftig sicher zu gehen, würden die Geräte demnächt zudem ausgetauscht.
„Wir bitten die betroffenen Anwohner um Entschuldigung für ihre Unannehmlichkeiten“, betonte Pettendorf dann noch. Und die Stadt, was sagt die jetzt? Statt sich der Entschuldigung anzuschließen, brilliert Konrad Peschen, Leiter des Umwelt- und Verbraucherschutzamtes, durch eine atemberauende Sicht auf die Realität. Seine Mitarbeitenden hätten sich „über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus engagiert“. Und er freue sich, dass die „die gemeinsamen Anstrengungen des engagierten Reporters“ sowie der städtischen Bediensteten „nun wohl zum Erfolg geführt“ hätten, so der Behördenchef.