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Martin Bechler von Fortuna Ehrenfeld„Wir müssen jetzt mal alle die Nerven behalten“

Lesezeit 9 Minuten
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Martin Bechler sorgt vor allem mit seinen Texten für Fortuna Ehrenfeld für Furore.

  1. Martin Bechler sorgt vor allem mit seinen Texten für Fortuna Ehrenfeld für Furore. Doch auch im Interview nimmt er kein Blatt vor den Mund.
  2. Bechler fühlt sich in Köln-Ehrenfeld zuhause, Patriotismus ist für ihn aber „kleinkarierte Scheiße“.
  3. Im Gespräch mit uns erzählt er, wann er seine Gelassenheit gegenüber dem Coronavirus verloren hat und wie er mit der für viele Künstler existenzbedrohenden Situation umgeht.

Herr Bechler, sie sollten eigentlich bei der lit.Cologne einen Abend in der Volksbühne machen, wo es um die Textarbeit eines Musikers geht. Der sollte wie das aktuelle Album „Helm ab zum Gebet“ heißen. „Gedankentetris“ nennen sie ihre Art, Songtexte zu schreiben. Jetzt ist das alles abgesagt. Was bedeutet das für Sie?

Wir haben uns übelst darauf gefreut, weil das Theater toll ist, weil die Idee zu diesem Abend toll ist. Wir wollten darüber reden, wie ich Texte schreibe und dann hätte ich die solo am Klavier gespielt. Wir gehen mit der Absage aber genau so professionell um, wie wir das auch mit guten Nachrichten tun. Das bedeutet, dass wir trotz Corona in Ruhe weiterarbeiten. Es kann ja keiner etwas dafür, schon gar nicht die lit.Cologne. Es geht darum, dass wir beweisen, dass wir zu Solidarität fähig sind, dass wir in der Lage sind, aufeinander aufzupassen.

Gibt es Pläne, die Veranstaltung nachzuholen?

Unbedingt, aber ich denke mal die Festivalmacher haben gerade anderes zu tun, als Nachholtermine festzuklopfen. Das sind tolle Leute da, deshalb ist viel wichtiger als meine Befindlichkeiten, dass wir das Festival jetzt unterstützen und nicht rumjammern.

Sie haben auf Facebook dazu aufgerufen, dass die Leute darauf verzichten, das Geld für ihre Tickets zurückzufordern…

Ich bin kein Volkswirt, aber es ist vollkommen klar, wenn jetzt bei so vielen Künstlern alle Managements eine Ausfallgage fordern würden, dann muss man nur eins und eins zusammenzählen, was das für die lit.Cologne bedeuten würde – das muss verhindert werden. Und wenn wir es schaffen, einen Nachholtermin zu finden, dann ist ja alles gut, dann bleiben die Karten ja gültig. Wir müssen jetzt einfach mal alle die Nerven behalten und nicht an uns sondern an die Gemeinschaft denken.

Aber für ein so komplexes Gebilde wie eine Band samt Umfeld ist das schon auch eine existenzbedrohende Situation.

Ist es. Ich sehe die Band aber wie einen beschiedenen, kleinen Betrieb. Ich habe immer schon gesagt, dass das ein Musterbetrieb sein soll und kein Heiopei-Verein. Und ein Musterbetrieb hat Rücklagen. Ich habe einen ruhigen Puls.

Und die Roadies können auch nächste Woche noch ihre Miete bezahlen?

(lacht) Wir haben keine Roadies, wir schleppen noch alles selber. Wir sind drei Musiker, und haben eine Dame fürs Merchandising, die gleichzeitig das Tour-Management macht. Und wir haben einen Tontechniker dabei. Das Team ist eine Wucht und hält zusammen wie Pech und Schwefel.

Waren die Corona-Auswirkungen vorhersehbar?

Ich habe das erstmal mit großer Gelassenheit zur Kenntnis genommen. Dramatisch geändert hat sich das, als mir klar wurde, das wir mit einem Konzert den Beschleunigerprozess verstärken. Seitdem fühle ich mich verpflichtet, mich und andere zu schützen. Ein oder mehrere Konzerte zu verschieben, ist zwar ziemlich viel Arbeit, steht aber in keinem Verhältnis zu möglichen Gefahren für die Gesundheit Dritter. Vor allem die Schwächeren der Gesellschaft müssen eine Chance haben, sauber aus der Sache herauskommen.

Bis mindestens Ostern wird es keine Konzerte geben. Was planen Sie danach?

Wir starten mit einem Band-Block von zehn Auftritten, dann einige Solo-Auftritte, ein zweiter Band-Block, und dann gehen die Sommerfestivals los. Und das wir natürlich wirklich spannend, gerade wenn man an Tröpfcheninfektion denkt: alle gut gelaunt, alle leicht bekleidet, alle im Swimmingpool – mal gucken, wie weit wir dann sind. Aber das kann ernsthaft im Moment keiner sagen. Warum soll ich mir da ne schlaflose Nacht machen? Das ist für alle inklusive Medizinern eine vollkommen neue Situation, Ruhe und Übersicht sind gefragt.

Zur Person und zur Band

Martin Bechler (50) ist Musikproduzent, Musiker, Komponist, Texter und lebt in Ehrenfeld. Im Studio arbeitet Bechler zusammen mit Produzent René Tinner.

Fortuna Ehrenfeld ist Bechlers Bandprojekt, das mit Jenny Thiele (32, Keyboards) und Jannis Knüpfer (32, Schlagzeug) als Trio auftritt. Markant sind die lyrischen, vielschichtigen Texte und eine mitreißende Live-Performance. Im Sommer 2017 spielten sie ihren ersten großen Auftritt beim Jubiläum ihrer Hamburger Plattenfirma Grand Hotel van Cleef vor 10000 Gästen, 2018 gingen die Indie-Pop-Band als Vorgruppe von Kettcar auf Tour. 2019 erschien das dritte Album „Helm ab zum Gebet“, das jetzt in französischer Sprache veröffentlicht wird. (stef)

Wie geht es künstlerisch weiter?

Guuut! Wir haben viel vor dieses Jahr. Ich werde eine Dozentenstelle an der Musikhochschule antreten. Ein Meisterkurs für „Sprachkunst, Metaphorik und Poesie“. Und ich freue mich riesig darauf. Die haben mich gefragt, ob ich junge Leute an der Uni ermutigen kann, sich mal was zu trauen in der Textentwicklung. Das ist für mich eins der schönsten Komplimente, das ich je bekommen habe.

Dann gehen wir nach Frankreich – ich habe die letzte Platte auf Französisch herausgebracht. Das ist gelinde gesagt ein Himmelfahrtskommando. Ich gehe davon aus, dass die Franzosen nicht darauf gewartet haben, aber es geht für mich auch da, wie immer in der Kunst, um Reibung. Positive Reibung zu schaffen, Dialoge in Gang zu setzen. Den europäischen Gedanken weiter zu tragen, weiter zu pflegen. Um den Kollegen Ingo Neumayer zu zitieren: „In Zeiten, wo die nationalistische Scheiße aus den Klos hochblubbert“.

Wieso französisch? Der Rheinländer ist sonst eher Holland-fixiert.

Ich habe über holländisch ernsthaft nachgedacht um es noch mehr auf die Spitze zu treiben. Ich wollte es mir nicht einfach machen. Englisch wäre zu hasenfüßig gewesen. Die Franzosen sind unsere direkten Nachbarn, aber finden Sie, dass jenseits von Arte, wo wir uns einmal die Woche brav einen Autorenfilm reinziehen, so etwas wie ein freundschaftlicher, unmittelbarer Austausch stattfindet? An den Unis vielleicht, und im fein gegliederten Kulturbetrieb eventuell. Aber sonst? Ich finde das wichtig, uns geht Europa flöten gerade. Dagegen müssen wir uns wehren. Ich will da hinfahren und neue Freunde finden. Und Alte besuchen.

Mein Französisch ist zu schlecht, als dass ich ihre komplexen Texte verstehen könnte. Es klingt ungewohnt, gebrochen charmant irgendwie. Sind die Texte denn eins zu eins übersetzt?

Gar nicht. Die Idee war, es nur zu machen, wenn die Texte extraordinär gut werden. Das schafft man nicht mit wortgetreuer Übersetzung. Schauen sie sich nur in der Musicalszene um, wo zuweilen eins zu eins übersetzt wird – das ist Fremdschämen hoch zehn. Deshalb habe ich Helen Karl, einer hochtalentierten jungen Designstudentin, die übrigens auch das Cover der letzten CD illustriert hat, maximale Freiheit gegeben. Die Vorgabe war: Wenn du das Bild nicht sinnvoll in die andere Sprache übertragen kannst, erfinde ein Neues. Meine Sprache zeichnet eine gewisse skurrile Bildhaftigkeit aus. Helen hat es in vielen kleinen Momenten geschafft, mich zu übertreffen. In Stichhaltigkeit, in Kreativität, in einer fantasievollen, mehrdimensionalen Sprache, dass es mir die Tränen in die Augen getrieben hat. Sie ist ein Multi-Talent.

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Haben Sie ein Beispiel?

Wir haben ein Lied, das heißt „Zuweitwegmädchen“. Da hat Helen „La reine de l’absence“ draus gemacht, „die Königin der Abwesenheit“. Daran sieht man, wie sehr sie meinen Schnack verstanden hat. Meinen Twist, den es immer in der Fortuna-Sprache gibt. Und so etwas hat sie an 200 verschiedenen Positionen gemacht. Toll. Anderes Beispiel: in dem Song „Guten Morgen, Ehrenfeld“ heißt es: „Der Morgen spült die ungebumsten Wahrheiten ans Licht.“ Für die letzten, die morgens um fünf an der Theke sitzen, gibt es eine französische Redewendung: Man sagt, „da wird der dreckige Fischschwanz ausgewaschen.“ Jetzt werden die Letzten aus der Kneipe, aus dem dreckigen Fischschwanz ausgespült. Da fange ich schon beim Erzählen fast wieder an zu Heulen. Diese Frau hat ein Meisterwerk abgeliefert. Und ich habe es dann halt im Rahmen meiner Möglichkeiten dahergenuschelt.

Im Text von „Guten Morgen, Ehrenfeld“ heißt es auch „der letzte klare Funkspruch,/ kam so circa kurz nach drei,/ und wer sich dran erinnern kann,/ der war nicht dabei“ – tolle Zeile. Das hat ja jeder schon mal erlebt.

Das ist allerdings ein abgewandeltes Falko-Zitat. Auf seine Drogeneskapaden angesprochen, hat er mal gesagt: „Wer sich an die Achtziger erinnern kann, der war nicht dabei.“

Ich habe mich gefragt, ob man diesem streitbaren Viertel Ehrenfeld mal ein Lied auf den Herzlappen schreiben kann, ohne in dieses Kölsch-Tümelnde zu verfallen. Ich habe da gar nichts gegen, aber die Aufgabe war: das muss doch auch mal anders gehen. Hier sind ja eh keine Kölner mehr.

In kölschem Dialekt zu schreiben war nie ein Thema für Sie?

Ich bin ja heimatlos, ne Immi! Ich komme aus dem Bergischen Land, das heißt, mein Kölsch ist nicht stilecht. Und im Bergischen Dialekt willst du nicht wirklich eine Platte machen. (lacht) Das wäre zu hart. Es war mir aber auch insgesamt zu eng. Ich habe große Lust an der Vielfalt, die die deutsche Sprache hergibt. Das würde ein Dialekt einschränken. So wundervolle Farben das Kölsch auch hat – ich liebe das –, aber ich wollte eine größtmögliche Spannbreite haben von dem Malkasten, an dem ich mich bediene.

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Aber Heimat spielt schon eine Rolle?

Ehrenfeld ist für mich Heimat. Aber das verleitet mich nicht zu einem Ehrenfelder Patriotismus. Wenn es mich aus irgendwelchen Gründen – Familie, Beruf – etwa nach Paderborn verschlagen hätte, dann wäre jetzt Paderborn meine Heimat. Auch ohne Patriotismus. Ich find’s spannend, wenn wir gegen Paderborn spielen, aber die Rivalität dauert dann neunzig Minuten, und dann geht man einen zusammen trinken. Alles andere ist für mich kleinkarierte Scheisse.

Fortuna Ehrenfeld haben sie erst mit Mitte vierzig begonnen – auch, weil sich niemand fand, der ihre Texte singen wollte. Auf der Bühne sind Sie ein Spätberufener.

Spätburgunder? (lacht) Ich bin mit Fortuna Ehrenfeld mit einem eklatanten Mangel an Erfahrung angetreten. Aber das war und ist eine enorm lehrreiche Zeit, die ich maximal genieße. Alles entwickelt sich aus sich selber heraus. Ich habe keine Lust, mich zu verstellen. Schlafi an und ab dafür!

Sie gehen im Pyjama mit Federboa und Plüschpantoffeln auf die Bühne. Ist das eher Selbstschutz oder Kunstfigur?

Wir arbeiten hier in einer Entertainmentbranche. Auch wenn manche Indie-Leute das nicht gerne hören: Man hat eine gewisse Verpflichtung dem Publikum gegenüber, einen optischen und/oder akustischen Leitfaden anzubieten. Künstler sagen gerne: Mich kann man in keine Schublade stecken. Quatsch. Du kannst jeden Scheißkünstler in eine scheiß Schublade stecken. Du kriegst ein Etikett und Bumm! Und zwar von denen, die Geld damit verdienen wollen. Dann beginnt der unterhaltsame Kampf, dich dagegen zu wehren. Ich nehme mich dabei nicht sonderlich ernst. Je mehr du das kannst, umso weniger musst du dich erklären. Ich habe keine Lust, mich zu erklären. Wann sind wir endlich fertig? (lacht)

Ihre Mitmusiker sind ja deutlich jünger als Sie. Zufall?

Nein, das war eine der klügsten Entscheidungen meines Lebens, so ein junges Team zusammenzustellen. Die der Welt was beweisen wollen. Die sich nicht in ihrer selbstgefälligen Bequemlichkeit ahlen. Ich brauche Raketen! Und ich habe sie gefunden.