AboAbonnieren

„Enorme“ PräzisionKölner Meteorologe Schwanke mit Lobeshymne auf Wetter-Apps

Lesezeit 6 Minuten
21.08.2023, Köln: Porträt von Karsten Schwanke, der ein deutscher Meteorologe und Fernsehmoderator ist.

Foto: Michael Bause

Der Kölner Meteorologe und Fernsehmoderator Karsten Schwanke

Der Kölner Meteorologe Karsten Schwanke verrät, welches Wetter ihn nervt, warum dieser Sommer so nass ist und wie man sich vor Gewitter schützt.

Herr Schwanke, am 21. Juli wurde der weltweit heißeste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen. Die Durchschnittstemperatur soll 17,09 Grad Celsius betragen haben...

Karsten Schwanke: … der Rekord wurde einen Tag später schon wieder übertroffen. Jetzt sind es 17,16 Grad Celsius. Das sind 0,3 Grad mehr als an den heißesten Tagen 2022. Schon 0,1 mehr wäre außergewöhnlich gewesen.

Das ging schnell. Mein Eindruck ist, dass die Hitzerekorde in den vergangenen Jahren nur so purzeln.

Ihr Eindruck täuscht nicht. Vor allem seit 2023 erleben wir eine verschärfte Entwicklung der globalen Erwärmung. Sie findet deutlich schneller statt, Rekorde gibt es nun häufiger, und sie sind deutlich höher als bisherige Werte.

Wie lässt sich das erklären?

Die globale Erwärmung läuft nicht linear ab. Im vergangenen Jahr hatten wir das Wetterphänomen El Niño als zusätzlichen Treiber. El Niño findet unabhängig vom Klimawandel statt: Alle paar Jahre erwärmt sich das sonst eher kalte Wasser im Pazifik vor Südamerika schlagartig um mehrere Grad, weil eine Warmwasserblase aus dem westlichen Pazifik vor Indonesien und Papua-Neuguinea herüberschwappt. Das hat erhebliche Auswirkungen: Die Temperaturen steigen auch an Land, es gibt mehr Gewitter, Regengüsse und Erdrutsche. Der Einfluss von El Niño lässt sich global nachweisen. Üblicherweise steigt nach El Niño die globale Temperatur für ein Jahr an. Klimaforscher sind davon ausgegangen, dass sie 2024 wieder zurückgeht. Aber die Temperaturen bleiben auf hohem Niveau – und es könnte sein, dass sie sich nicht mehr auf halbwegs normalem Niveau einpendeln.

Was bedeutet das für uns?

Zunehmend hohe Temperaturen, es verdunstet deutlich mehr Wasser aus den Ozeanen, die Starkniederschläge nehmen stark zu.

Sie erklären im Fernsehen den Deutschen sachlich das Wetter. Können Sie sich auch mal aufregen über drei Tage Dauerregen?

Ja klar. Vor allem, wenn ich frei und Pläne habe, Fahrrad fahren will. Wenn es dann nur regnet, geht es mir auf die Nerven. Bei der Arbeit ist das anders: Wenn der Regen mir Geschichten liefert, nervt er mich nicht. Aber ich verstehe alle, die sagen, es geht mir auf den Geist. Wir haben uns in den letzten 20 Jahren daran gewöhnt, dass Frühlings- und Sommermonate immer sonniger geworden sind.

Wie empfinden Sie das Wetter in diesem Sommer bislang?

Ich fange beim vergangenen Winter an. Da gab es sehr wenig Sonnenschein. Das lag auch an den hohen Temperaturen. Bei kalten Luftmassen kommt die Sonne raus. Die Wintertage, an denen es so kalt ist, dass der Decksteiner Weiher zufriert und Schlittschuhfahren möglich ist, das sind die schönsten Tage, weil sie meist sonnig sind, der Himmel ist den ganzen Tag blau. Aber es war zu dunkel, mit zu viel Regen.

Den Sommer empfinde ich als ganz gut, weil er ohne extreme Hitzetage ausgekommen ist
Karsten Schwanke

Das Frühjahr ging so weiter.

Vor allem im nassen Mai hatte ich große Sehnsucht nach mehr Sonnenschein. Da gab es 226 Prozent so viel Regen wie im langjährigen Mittel. Den Sommer empfinde ich aber als ganz gut, weil er bisher ohne extreme Hitzetage ausgekommen ist. Eine etwas stabilere Wetterlage mit ein paar Tagen Sonnenschein am Stück hätte mich gefreut. 2024 gab es in Köln bis Ende Juli schon 88 Prozent des durchschnittlichen Jahresniederschlags. Und wir hatten schon jetzt mehr Regen als im ganzen Jahr 2018.

Warum ist diesen Sommer nach wenigen Tagen Sonne verlässlich der Regen da?

Die Großwetterlage verändert sich seit Monaten nur wenig. Es fehlt ein Hochdruckgebiet, das die Tiefdruckgebiete des Atlantiks zu uns abblockt. 2018 hatten wir sechs Monate lang ein solches Hochdruckwetter, 2022 auch. Die Folge waren Hitzewellen und Trockenheit. Im Sommer 2024 keimen über dem nördlichen Atlantik immer wieder Islandtiefs auf, die dazu führen, dass nach zwei Tagen Sonnenschein der Regen kommt. Das blockende Hoch steht dieses Jahr über dem Mittelmeer: In Marokko gab es Todesopfer bei 48 Grad, in Algerien waren es 50 Grad. Das ist die Kehrseite.

Gilt nach wie vor, dass die Sommer heißer und trockener werden? Nach den Regensommern 2023 und 2024 ist das schwer nachzuvollziehen.

Ja, man mag es kaum glauben, wenn man in diesem Sommer steckt, aber es gilt nach wie vor. Die Klimamodelle sind eindeutig. Die Sommermonate werden im Durchschnitt immer trockener und heißer. Es können dann auch ein, zwei Jahre dazwischenknallen, die das Gegenteil zeigen. Über das Jahr gesehen bekommen wir zwar mehr Regen, aber es regnet nicht gleichmäßig mehr, sondern vor allem im Winter. Und die größte Zunahme des Niederschlags findet aufgrund des Klimawandels in Form von Starkregen an den fünf nassesten Tagen des Jahres statt.

Die Frage aller Fragen: Wie wird das Wetter im Rest des Sommers?

Wenn ich das wüsste!

Aber wenn Sie es nicht wissen, weiß es doch keiner.

Nein, es weiß auch keiner.

Wer im Frühjahr sagt, wie das Wetter im Sommer wird, ist also…

…ein Scharlatan. Das kann keiner wissen.

Jeder einzelnstehende Baum ist gefährlich. Und zwar nicht nur, weil mir ein Ast auf den Kopf fallen könnte
Karsten Schwanke über Gewitter

Wetter-Apps erzählen mir regelmäßig, draußen scheine die Sonne, dabei regnet es – oder andersrum. Sind die Apps unzuverlässig?

Nein. Aber es fällt ihnen wahnsinnig schwer, bei Regenschauern und Gewitterlagen exakt zu zeigen, was an welcher Postleitzahl passiert. Ich halte aber dennoch eine Lobeshymne auf die Apps für angebracht: Vor 15 Jahren hatte kein Mensch eine Wetter-App. Was sich seitdem getan hat, ist enorm. Wir haben Wettervorhersagen für die ganze Welt, Satellitenbilder, Regenradare.

Wenn es mal ein paar Tage heiß ist, entladen sich heftige Gewitter. Stimmt da zum Schutz eigentlich: „Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen“?

Schnickschnack. Jeder einzelnstehende Baum ist gefährlich. Und zwar nicht nur, weil mir ein Ast auf den Kopf fallen könnte. Wenn ein Blitz einschlägt, rauscht er am Stamm entlang Richtung Erde. Das elektrische Feld, das er dabei bildet, ist mehrere Meter groß. Selbst wenn ich also einen Meter entfernt sehe, kann der Baum intakt bleiben, ich aber tödlich getroffen werden.

Wohin also bei Gewittern?

100-prozentige Sicherheit gibt es nur in Gebäuden. Wenn es nicht anders geht, sollten Sie sich draußen hinhocken, in eine Mulde begeben oder im Auto sitzen bleiben – solange das nicht unter einem Baum steht, auf den ein Ast fallen kann. Sehr gefährlich sind auch freie Wiesen. Wenn ich da noch einen Schirm aufspanne, freut sich der Blitz sehr. Werden Sie lieber nass und suchen sich schnell einen Schutz.

Wie sieht es mit Menschenmengen aus?

Große Menschenmengen sind ein Problem. Oft finden Partys und Festivals auf einer offenen Fläche statt. Ein klassisches Beispiel sind auch Dorffußballturniere. Wenn es dann stark regnet, wird oft weitergespielt, alle sind nass. Wenn dann ein Gewitter hinzukommt, wird es gefährlich. Schlägt ein Blitz in einen Baum am Spielfeldrand ein, geht er oft durch den nassen Boden und in die klitschnassen Spielerinnen und Spieler. Die fallen um wie die Fliegen, das kommt regelmäßig vor, mit vielen Verletzten. Also: Wenn der erste Blitz kommt, sofort das Spiel unterbrechen.