- Michael Mittermeier hat seine durch die Corona-Pandemie entstandene freie Zeit genutzt und ein Buch geschrieben.
- In „Ich glaub, ich hatte es schon – Die Corona-Chroniken“ schreibt der Comedian über das, was um ihn herum passiert.
- „Die Kunst ist, trotz eines schweren Themas die Menschen zum Lachen zu bringen“, sagt er.
- Zudem spricht Mittermeier im Interview über Schreibblockaden, die Vorteile von Corona und das Leiden seiner Branche.
Köln – Herr Mittermeier, Sie haben ein Buch geschrieben: „Ich glaube, ich hatte es schon – Die Corona-Chroniken“. War Ihnen langweilig?
Als Corona losging, hab ich erstmal drei Monate gar nichts gemacht. Dann begannen die Autokinos und die ersten Open-Air-Auftritte im Juni. Es ist eine Herausforderung, vor Autos zu spielen. Oder vor hundert Leuten da, wo eigentlich 3000 hinpassen. Ich habe angefangen, das zu erzählen, was so um mich herum passiert. Ein paar Autokinogeschichten. Oder wie es daheim war, Wortgefechte mit meiner Tochter, wenn wir Star Wars guckten oder Hausaufgaben machten. Ich habe dann gemerkt, dass die Leute sooo drauf abgefahren sind. Ich hab uns beide abgeholt damit – das Publikum, aber auch mich selber. Die Leute waren verwundert, dass einer fast zwei Stunden nur darüber redet, was um uns herum passiert. Uns umgibt ja ein neuer, seltsamer Alltag. Der ist heftig, crazy, aber er hat auch seine guten Seiten, weil man etwa für Familie viel mehr Zeit hat. Und jeder kennt das. Das Gefühl, die Welt steht still. Diese Dimension. Du rufst Freunde im Ausland an, und die sagen: Ja, ich sitz auch gerade daheim. Das Authentische hat die Leute so zum Lachen gebracht, dass schnell klar war, dass ich da ein Programm draus mache.
Und wie wurde ein Buch daraus?
Ich dachte, es wäre schön, die Geschichten aufzuschreiben, sonst verliert man die auch. Und dann bin ich Ende Juni mit der Idee zu meinem Lektor hier in Köln gegangen. Das war natürlich sehr spät fürs Herbstprogramm. Aber ich habe gesagt, das will man wenn jetzt lesen, nicht erst im Frühjahr. Jetzt oder gar nicht. Wer weiß, was bis März passiert. Der Lektor sagte dann grinsend, das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre ein neuer Lockdown im Herbst. Wir mussten beide herzlich lachen. Und dann kam das genau so. Zwei Tage, bevor das Buch erschien, war wieder alles zu.
Verkauft hat es sich trotzdem...
Die Leute haben umso mehr gedacht: Jetzt lass uns doch mal drüber lachen. Du sitzt im Zug, dein gegenüber muss niesen, und reißt sich die Maske vom Gesicht, „weil da sonst alles reingeht“. Unglaublich, aber jeder hat etwas Vergleichbares erlebt. Wenn ich mal einen Clip aus dem Programm gepostet habe mit der Frage: Ist euch das auch schon passiert?, dann haben Hunderte ihr eigenes Ding erzählt.
Das Programm wurde dann für 3Sat aufgezeichnet.
Das war total gaga, eine Programm aufzuzeichnen, was man nur ein paarmal gespielt hat. Aber ich wollte nicht feige sein. Es wurde Mitte September aufgezeichnet und zwei Wochen später gesendet. Das war einfach sehr aktuell. Und es hat sich gelohnt, denn auf meine alten Tage habe ich dafür den Deutschen Kleinkunstpreis bekommen.
Nach 30 Jahren zum ersten Mal?
Ja, wir Comedians waren nicht immer die erste Wahl in Kabarett und Kleinkunst. Natürlich mache ich in dem Sinne nicht Tageskabarett, weil ich nicht die R-Zahl aufschreibe und die Gesetze, aber ich rede und schreibe über die Zeit, und das ist auch politisch. Die Haltung ist ja da. Wenn ich etwa über die Verschwörer spreche, zeige ich ganz klar, wo meine Grenze ist.
Bekämpft man denn durch das Aufschreiben auch seine eigene Depression?
Mir hat’s geholfen, geb’ ich zu. Ich bin aber eher nicht der depressive Typ. Wenn eine Herausforderung kommt, funktioniere ich am besten. Das geht schon mal auf Kosten von Schlaf und Körper, aber ich nehme die Herausforderung an. Ich habe mir im Juni gesagt: Corona, du nimmst mir meine Auftritte und die Welt da draußen, aber du nimmst mir nicht mein Herz und meine Kreativität. Ich werde dich verarbeiten, Corona, du Virensohn. Ich habe mich hingesetzt und jeden Tag acht Stunden geschrieben. Dann waren wir Baden im See oder sind Essen gegangen – im Sommer ging das noch – und dann habe ich oft noch eine Nachtschicht eingelegt. Das liebe ich. Ich bin total eingetaucht in diese Welt des Buchs.
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Es gibt Autoren, die sagen, sie hätten jetzt viel Zeit, aber auch eine Schreibblockade ob der Umstände.
Hatte ich anfangs auch. Ich habe drei Monate wirklich nichts getan. Mir wollte nichts einfallen. Aber das hatte ich für mich so akzeptiert. Erst diese wirklich absurde Idee mit den Autokinos hat das verändert. Das hat meine Challenge getriggert. Autokino? Echt jetzt? Dann noch Möbelhaus und dann kann ich aufhören? Aber dann sind mir nachts im Bett lauter blöde Wortspiele eingefallen. Das hat nur so gerattert. So wie: ich wollte immer schon vor Autos spielen, ich habe eine Autoimmunkrankheit. Das sprudelte dann nur so. Worüber könnte ich noch reden? Star Wars gucken mit meiner Tochter, das war lustig. Oder die Whatsapp-Elterngruppe. Da bin ich explodiert vor Kreativität. Der Witzestau musste raus. Das Buch hätte auch doppelt so dick werden können, aber dafür hat die Zeit nicht gereicht.
Wenn man das liest, sieht man sie auf der Bühne stehen und reden.
Wenn ich schreibe, sind die Worte wie ein Auftritt vor mir selbst. Ich weiß am Anfang eines Kapitels nicht, wo es hingeht. Ich unterhalte mich selber damit. Am Abend ist man dann sehr zufrieden: man hat was geschafft und sich gut unterhalten. Mit so einem Erfolg habe ich allerdings nicht gerechnet. Von Null auf Zwei in den Spiegel-Bestsellerlisten. Und die Resonanz war riesig. Das Buch war kaum raus, da bekam ich schon Unmengen von Posts, wie lustig das wäre. Und die Welle geht immer weiter.
Und bald auch als Programm auf der Bühne?
Wenn ich dann wieder darf, aber das wird nix bis Sommer. Die Leute glauben immer, wir machen die Bühne auf und spielen einfach weiter. Freunde, SO einfach ist das nicht. Ich würde überall spielen, nur um es zu tun. Aber die Masse kommt halt nicht. Obwohl alle Veranstalter, die ich kenne, Konzepte gemacht haben, neue Lüftungen eingebaut, Plexiglasscheiben, neue Sitzordnung – die haben alle viel Geld investiert. Man würde ja auch nicht freiwillig vor 200 Leuten spielen in einem Raum, wo Tausend reinpassen. Aber es hat funktioniert. Ich als Künstler muss diese Lücke schließen. Die wenigen, die kamen, wollten alle lachen.
Aber aktuell siecht die Branche dahin.
Wir brauchen auf lange Sicht ein Grundkonzept. Es muss Regeln für die ganze Branche geben. Das war kein Witz, als ich bei Maybrit Illner in der Sendung gesagt habe: Gebt mir die Nummer von Olaf Scholz, ich ruf den an und wir setzen uns an einen Tisch. Ich bin ja nicht der Einzige. Herbert Grönemeyer und Till Brönner haben auf das Thema aufmerksam gemacht, und die Aktion „Alarmstufe Rot“ hat auch was losgetreten. Das bringt nur alles so lange nichts, bis die Verantwortlichen mit uns an einem Tisch sitzen. Auge in Auge. Ich kenne Künstler, die sagen: Novemberhilfe? Schön, ich hab noch nichts fürs Frühjahr bekommen. Ich will nicht jammern, ich will machen!
Gibt es denn schon konkrete Kontakte?
Ich hab telefoniert, und jetzt schau´n mer mal. Olaf hat mir schon mal Grüße ausrichten lassen (lacht). Kurzarbeitergeld für alle Kulturarbeiter wäre schon ein Ansatz. Nimm den Durchschnitt vom letzten Jahr, davon 70 Prozent, deckel das auf eine bestimmte Summe, denn die Großen brauchen das Geld ja nicht. Das funktioniert in anderen Bereichen auch. In unserer Branche arbeiten 1,5 Millionen Menschen, das ist die viertgrößte Umsatzbranche im Land. Und die findet gerade nicht statt. Ich wollte nie systemrelevant sein. Ich bin Comedian, ich hab die Politiker immer ins Knie geschossen. Was wir sind, ist seelenrelevant, wie meine Frau es ausdrückt. Menschenrelevant. Ich werde oft gefragt: Darf man über Corona Witze machen? Man muss! Du musst immer über das, was dunkel ist, etwas machen, das die Seele erhellt. Die Kunst ist nicht eine Pointe zu Trump, die ist einfach. Die Kunst ist, trotz eines schweren Themas die Menschen zum Lachen zu bringen.