Autor Micky Beisenherz spottet im Interview über die Kölner Architektur. Und erzählt, warum er an Karneval scheitert.
Interview mit Micky Beisenherz„Zwischen Woelki und Infantino gibt es Parallelen“
Herr Beisenherz, Sie moderieren im Wechsel mit Bettina Böttinger den „Kölner Treff“ beim WDR und sind darum an vielen Wochenenden in Köln. Welchen Eindruck haben Sie von der Stadt?
Micky Beisenherz: Was ich an den Kölnerinnen und Kölnern wirklich bemerkenswert finde, ist ihre sensationelle Wirklichkeitsverweigerung. Ich kam zuletzt mal von einem kurzen Aufenthalt in Paris nach Köln und sah viele Menschen am Rheinufer mit dieser typisch kölschen Ausstrahlung. Als ob sie hundertprozentig davon überzeugt seien, dass Köln die schönste und wichtigste Stadt der Welt sei und das ... ist so nicht ganz korrekt.
Jetzt sagen Sie aber bitte auch etwas Nettes über Köln.
Die Kölner sind wahnsinnig freundlich. In Hamburg kommt zum Beispiel die Barista meines Lieblingscafés aus Köln, die ist unglaublich nett. Was aber dazu führt, dass dieses Café im Internet schlechte Bewertungen bekommt. Offenbar stößt den unterkühlten Hanseaten übel auf, dass ein Mensch so nett und aus ihrer Sicht so widernatürlich zugewandt sein kann.
Was fällt Ihnen beim Stadtbild und der Architektur Kölns auf?
Mein Lieblingszitat im Zusammenhang mit Köln ist das des ostdeutschen Comedians Olaf Schubert: „Hier wurde schlampig gebombt.“ Und wenn man sich diese ganzen gekachelten Häuserfassaden ansieht, dann kann man sich richtig vorstellen, wie hier ab 1945 wieder alles aufgebaut werden sollte, die Kölnerinnen und Kölner aber nicht so richtig hinterherkamen, weil einer im Keller ein Fässchen aufgestellt hatte. Schlussendlich war wichtig: Hauptsache, viel gekachelt. Die Stadt muss abwaschbar sein. Aber im Ernst: Es gibt auch sehr schöne Ecken, in der Südstadt oder am Rheinufer zum Beispiel. Einer der bedeutendsten Plätze ist für mich die Rheinmauer neben RTL in Deutz, wo Frauke Ludowig ihre Mode-Shootings für Instagram macht. Für mich die bestangezogene Frau in Deutschland.
Micky Beisenherz: Woelki ist der Andi Scheuer des Katholizismus
Macht denn der Dom irgendetwas mit Ihnen?
Ich weiß schon: Dem Kölner schießen die Tränen in die Augen, selbst wenn er noch Tausende Kilometer entfernt ist und den Dom nur riecht. Ich habe Respekt vor der Größe des Baus, aber er löst in mir nichts aus. Der Dom ist für mich eher ein Mahnmal der Krise der katholischen Kirche und der vielen Austritte. Ich sehe da durchaus Parallelen zwischen Kardinal Woelki und FIFA-Boss Infantino: In beiden Vereinen gibt es viele Fans und viele ehrbare Leute, die an der Basis tolle Arbeit machen. In beiden Fällen machen die Dachverbände und ihre Chefs jede Menge kaputt.
Trotz der Dauerkrise im Erzbistum Köln hält sich Woelki ja weiter im Amt …
Er hätte schon sechs- bis achtmal zurücktreten müssen, wenn man die Maßstäbe der Politik anlegen würde. Woelki ist so etwas wie der Andi Scheuer des Katholizismus. Offensichtlich definiert sich Woelki ausschließlich über sein Amt. Wenn man ihm den Stuhl, an dem er klebt, wegziehen würde, wäre er so nackt wie das Jesuskind in der Krippe.
Wir waren schon kurz bei Infantino. Gucken Sie sich die Spiele der Fußball-WM in Katar an?
Ja, einige Spiele werde ich schauen, schon aus beruflichen Gründen, weil ich ja auch an einem Fußball-Podcast beteiligt bin. Ich habe für mich beschlossen, dass ich mit dem Turnier kein Geld verdienen werde. Ich bezahle meine Mitarbeiter, will aber nicht an dieser WM verdienen. Die etatmäßigen Werbeinseln stellen wir für karitative Zwecke, für Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen zur Verfügung.
Haben Sie Verständnis für Menschen, die die WM boykottieren und kein Spiel im TV schauen?
Ja, aber über die Einschaltquoten bei der WM wird man wahrscheinlich zu wenig bewegen können. Wie wäre es denn, einfach mal die großen Sponsoren während der vier Wochen zu boykottieren? Coca-Cola, Adidas, McDonald's, um nur einige zu nennen. Wenn die Umsatzeinbußen haben, werden sie sich ganz schnell an die Fifa wenden und sagen: Bitte nie mehr Turniere an Länder vergeben, die Menschenrechte missachten.
Nach der WM ist in Köln vor dem Karneval. Wie schaut's da bei Ihnen aus?
Ich habe es zweimal versucht und bin komplett gescheitert. Es gibt drei Dinge, auf die ich nicht so wirklich stehe: Enge, laute Musik und kölsche Musik. Da ist man im Karneval nicht so richtig gut aufgehoben. Meine offizielle Sprachregelung ist aber, dass ich wahnsinnig gerne Straßenkarneval feiern würde, aber unseren Gesundheitsminister Karl Lauterbach an dieser Stelle unterstütze (lacht).
Sie arbeiten auch für den WDR, der sich derzeit wie der gesamte Öffentlich-Rechtliche Rundfunk Kritik ausgesetzt sieht …
Man hat den Eindruck, der ÖRR habe sich selbst zum Ziel gesetzt, sich zur größtmöglichen Zielscheibe aufzubauen. Vom Finanzskandal um RBB-Intendantin Patricia Schlesinger bis zu Vorwürfen einer manipulativen Bildauswahl bei Friedrich Merz haben die Sender sich angreifbar gemacht. Da müssen sie sich Kritik auch gefallen lassen. Es ist gut, dass sie jetzt auch von innen kommt, zum Beispiel von Jan Böhmermann. Bei jeder Art von Steuerausgaben wird kritisch drauf geblickt, natürlich muss sich das auch eine gebührenfinanzierte Senderanstalt gefallen lassen. Ein Laden, der sich so viele Klopper geleistet hat, muss sich den Vorwürfen stellen, sie ernst nehmen und sich entsprechend reformieren. Die Frage ist ja zum Beispiel, ob wir in der ARD wirklich neun einzelne Landesrundfunkanstalten brauchen.
Nicht nur der ÖRR steht in der Kritik, sondern in Teilen der gesamte Journalismus, spätestens seit dem Buch von Richard Precht und Harald Welzer, die von einer „Selbstangleichung“ der Medien sprechen …
Ich teile die Ansätze von Welzer und Precht dahingehend, dass es in der Debatte um den Ukraine-Krieg oder andere Themen oftmals zu schnell darum geht, Personen zu diskreditieren. Und eben nicht darum, die unterschiedlichen Positionen sauber zu filetieren. Alice Schwarzer beispielsweise, die ich sehr schätze, hat mit dem von ihr initiierten offenen Brief an Olaf Scholz, der sich gegen weitere Waffenlieferungen wendete, eine Position vertreten, die ich nicht teile, die aber in der Diskussion einen Platz haben sollte. Es darf nicht der Eindruck entstehen, man dürfe seine Meinung nur noch dann sagen, wenn sie absolut mehrheitsfähig ist. Das wäre das Ende jeglicher Debattenkultur, die für unsere liberale Demokratie so wichtig ist. Apropos Alice Schwarzer: Ich würde mir von ihr wünschen, ihr Netzwerk und ihre gesamte Power auch für die Unterstützung der demonstrierenden Frauen und Männer im Iran einzubringen. Das ist doch ihr ureigenstes Thema!
Micky Beisenherz: Donald Trump ist keine so große Schreckensfigur mehr
Krieg in der Ukraine, Revolution im Iran, und jetzt will es auch Donald Trump noch einmal wissen …
Dass er für die Präsidentschaftskandidatur seinen Hut in den Ring wirft, war absehbar. Sein Ego ist getrieben vom Gewinnen und vom Überwinden nie eingestandener Niederlagen. Er hat eine Fanbase, die ist zwar kleiner geworden, aber immer noch stabil. Rückgratlos, wie sie sind, werden die Republikaner eine Kosten-Nutzen-Rechnung machen und schauen: Gehen wir mit ihm 2024 nochmal ins Rennen? Abschreiben würde ich ihn nicht. Er ist aber auch keine so große Schreckensfigur mehr wie 2016.
Zum Schluss noch ein Blick ins politische NRW. Kennen Sie Hendrik Wüst?
Sehr sympathisch! Sehr gutaussehend! Als hätte man Jens Spahn zu Outfittery geschickt!
Wird er der nächste Kanzlerkandidat der Union?
Das ist eine sehr, sehr gute Frage! Ich sage mal so: Friedrich Merz wird es jedenfalls nicht.
Warum?
Weil die CDU auf seine Popularitätswerte schauen wird und ihm diese irgendwann mit der Botschaft hinlegen wird: Du bist ein Mann für den Übergang, aber mit dir werden wir die Wahl nicht gewinnen. Die CDU wird nach Armin Laschet nicht noch einmal den Fehler machen, sich für den Vorsitzenden als Kanzlerkandidat zu entscheiden, weil man das ja so macht. Aber es ist noch ein langer Weg. Dazwischen liegen schlimmstenfalls noch zwei Pandemien und einmal China, das Taiwan überfällt. Vielleicht zieht es ja auch Ursula von der Leyen aus Brüssel zurück. Oder Markus Söder will es nochmal wissen und zieht sich die „Make Bavaria great again“-Kappe auf.
Micky Beisenherz, geboren in Recklinghausen und aufgewachsen in Castrop-Rauxel-Henrichenburg, ist TV-Autor, Hörfunk-, Podcast- und Fernsehmoderator. Seit 2017 moderiert er im Wechsel mit Bettina Böttinger die WDR-Talkshow „Kölner Treff“. Seit 2020 seziert er in seinem Podcast „Apokalypse & Filterkaffee“ die Schlagzeilen des Tages.