Kein „Pingpong mit Geistesblitzen“Gysi und Sonneborn im „Kanzlerduell der Herzen“ in Köln

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Die beiden auf Sesseln auf der Bühne mit Journalist Hans-Dieter Schütt als Moderator

Gregor Gysi und Martin Sonneborn beim „Kanzlerduell der Herzen“ in der Stadthalle Mülheim in Köln

Satiriker Sonneborn und Linken-Politiker Gysi tasten sich in Mülheim an die Frage heran, wie weit man gehen muss, um aus dem Rahmen zu fallen – und doch etwas zu bewirken.

Im Vergleich zum Osten der Republik habe er sich „den tiefen Westen irgendwie anders vorgestellt“, betont der Satiriker Martin Sonneborn zu Beginn der Veranstaltung „Sonneborn versus Gysi - Kanzlerduell der Herzen“ am Mittwochabend in der Stadthalle Köln in Mülheim, nachdem er zuvor den Wiener Platz entlang spaziert sei. „Eher so wie... Düsseldorf“, sagt der 58-Jährige Mitbegründer von „Die Partei“ und provoziert damit Raunen und Lacher unter den einigen Hundert Gästen im Saal.

In einem tiefen Sessel neben ihm, ein Glas Wein auf dem Beistelltisch, sitzt der außenpolitische Sprecher der Partei „Die Linke“, Gregor Gysi, gebürtiger Ostberliner und vor allem seit Ende der ehemaligen DDR eine Art Star linker Politik in Deutschland. Das Licht im Saal ist gedämpft, mutmaßlich um die Gesichter der beiden Männer nicht zu deutlich zu sehen.

Denn laut Ankündigung für die Veranstaltung sollen die beiden Experten der Kommunikation und Selbstdarstellung an diesem Abend ein verbales „Pingpong mit Geistesblitzen“ vollführen und dabei „ein jeder des anderen Sparring-Partner“ sein – moderiert und begleitet von Journalist Hans-Dieter Schütt, der auch Autor des den Titel des Abends liefernden Buches aus dem Jahr 2021 ist.

Stadthalle Köln: Gysi und Sonneborn im Kanzlerduell der Herzen

Wer erwartet hat, dass die beiden Kommunikationsprofis sich, dem Titel entsprechend wie in einem Duell, gegenseitig mit Spitzen überziehen und streiten würden, wird von den Herren auf der Bühne weitgehend enttäuscht. Vielmehr arbeiten sich die beiden erfahrenen Politiker ab an den drängenden Themen der Zeit: Die wachsende politische Blockbildung auf der Welt infolge des brutalen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine, die Aufarbeitung der Folgen der Corona-Pandemie sowie die Belastung der Menschen durch Inflation und mutmaßlich falsche Entscheidungen der Bundesregierung und nicht zuletzt der Rechtsruck, der in zahlreichen Ländern auch in der EU eine Gefahr für die Demokratie birgt.

Martin Sonneborn hält ein Mikro in der Hand vor schwarzem Hintergrund und spricht

Martin Sonneborn

Gysi monologisiert, dies alles sei vor dem Hintergrund eines zentralen Begriffs zu bewerten - dem Vertrauen. Was ihn, seine Partei und die Menschen, auch und vor allem die, „die sich als Anhänger und Teil einer Politik links der SPD“ definierten, umtreibe, sei die Frage, wann und warum Vertrauen in Politik schwinde – und wie man es durch Vernunft und verständliche Kommunikation erneuern könne. „Klare Sprache, respektvoller Umgang“, hebt Gysi hervor, „sind die Schlüssel, um Menschen abzuholen“. Das müsse seine Partei (besser) schaffen, fordert der Politiker. Trotz der Sorge, durch das möglicherweise bald geändertes Wahlrecht künftig nicht mehr im Bundestag vertreten zu sein, nennt er das „machbar“.

Sonneborn: „Die Mauer wieder aufbauen und eine Jammer-Hotline für Ossis einrichten“

Ob „mehr Humor in die Politik zu bringen“ ein adäquates Mittel sei, um Krisen und Problemen zu begegnen, fragt Schütt daraufhin die Runde, oder ob man so der Ernsthaftigkeit der Dinge nicht gerecht werden könne? Sonneborn, aktuell fraktionsloses Mitglied im EU-Parlament, kontert die Frage mit dem Beispiel der sozialen Ungleichheit im Land und zwischen Ost und West, indem er zwei Vorschläge aus seiner Zeit als Titanic-Chefredakteur zitiert: „Die Mauer wieder aufbauen und eine Jammer-Hotline für Ossis einrichten.“

Gysi vor dunklem Hintergrund mit Mikro, er redet und gestikuliert.

Gregor Gysi

Ganz versierter Clown. Das macht den sonst für seine Schlagfertigkeit bekannten Oppositionspolitiker für einen Moment sprachlos. „Was soll man darauf noch sagen?“, wendet er sich an das Publikum. Die meiste Zeit zeigen sich die zwei Männer jedoch einig: im Einsatz gegen politische Routine. Gregor Gysi, der die Politik mit Witz reicher machen möchte; Martin Sonneborn, der mit seinem Witz der Politik ein Armutszeugnis ausstellt - die beiden tasten sich im Gespräch an die Frage heran, wie weit man gehen muss, um aus dem Rahmen zu fallen und trotzdem etwas bewirken zu können.

37 Euro Eintrittspreis erreicht Wähler linker Politik wohl nicht

Kurz vor der Büchersignierung in der Pause gelingt es Moderator Hans-Dieter Schütt dann in einem der wenigen Momente, so etwas wie gespannte Stimmung in den Saal zu bringen. Er fragt: „Wie gelingt es Ihnen eigentlich, sich einerseits dem Kampf gegen das Establishment zu verschreiben und sich gleichzeitig ganz passabel darin eingerichtet zu haben?“. Obwohl er eine gewisse Ähnlichkeit mit Karl Marx besäße, so die Replik von Gysi, „dürfen sie sich hier nicht herausnehmen, frech zu werden.“

Ein Funke Wahrheit in der überspitzen Provokation des Moderators lässt sich am Mittwochabend aber finden: Bei einem Eintrittspreis von 37 Euro für die Veranstaltung dürfte die Zahl der Menschen im Publikum, für die Gregor Gysi und Martin Sonneborn mit ihrer Politik eintreten, eher überschaubar gewesen sein.

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