AboAbonnieren

„Wir drücken uns nicht vor dem Thema“Chefarzt der Holweider Frauenklinik äußert sich zu Kritik an Umgang mit Abtreibungen

Lesezeit 6 Minuten
29.06.2023
Köln
Interview mit dem scheidenden Chefarzt der Holweider Frauenklinik, Prof. Dr. Werner Neuhaus.
Krankenhaus Holweide
Foto: Martina Goyert

Der scheidende Chefarzt der Holweider Frauenklinik, Prof. Dr. Werner Neuhaus.

Im Interview spricht Werner Neuhaus auch über die Verunsicherung von Schwangeren wegen geplanten Zusammenlegung der städtischen Kliniken in Merheim.

Das Perinatalzentrum, das zur Frauenklinik gehört, ist über die Stadt hinaus bekannt und renommiert. Was ist so besonders an der Station?

Werner Neuhaus: Unsere Aufgabe ist es, Geburten und Neugeborene vom Beginn der Lebensfähigkeit an zu betreuen. Das ist etwas, was sich in all den Jahren sehr verändert hat. Wenn für uns früher eine 30. Schwangerschaftswoche kritisch war, ist es heute die 24. Schwangerschaftswoche. Das entscheidende Prinzip ist die enge Zusammenarbeit zwischen der Pränatalmedizin, die mögliche Probleme sehr früh erkennen kann, der Geburtsmedizin, die den richtigen Zeitpunkt für die Entbindung bestimmt, und den Kinderärzten, die das Frühgeborene übernehmen und intensivmedizinisch betreuen. Wir möchten aber nicht nur als Spezialisten für die schwierigen Fälle wahrgenommen werden. Sondern wir freuen uns über jede Geburt.


Zur Person: Prof. Dr. Werner Neuhaus (66) scheidet zum 1. Juli als Chefarzt der Frauenklinik im Krankenhaus Holweide aus. Neuhaus hat in Köln studiert und übernahm 2013 die Chefarzt-Tätigkeit in Holweide. Zuvor war er bereits Chefarzt in Duisburg. Nach seinem Ausstieg wird Neuhaus weiterhin ambulant für einige Tage in der Woche im Krankenhaus tätig sein. Neuhaus selbst hat im Laufe seiner 40-jährigen Karriere tausende Kinder zur Welt gebracht. In Holweide sind unter seiner Leitung in den letzten Jahren rund 20.000 Kinder geboren. Neuhaus Nachfolge übernimmt Privatdozent Dr. Michael Mallmann (41), der von der Uniklinik Köln wechselt.


Das Perinatalzentrum wird, wie die gesamte Frauenklinik, im Zuge des sogenannten „Zukunftsmodells“ nach Merheim umziehen. Wie blicken Sie darauf?

Der überwiegende Teil der leitenden Ärzte in Holweide begrüßt diesen Plan sehr. Ich verstehe, dass die Menschen vor Ort für ihr Krankenhaus demonstrieren. Aber es erweckt immer den Eindruck, als sei das auch für uns, für die Belegschaft. Aber dem ist nicht so.

„Der Umzug nach Merheim ist auch für die Eltern ein echter Gewinn“

Was wird sich in Bezug auf die Frauenklinik in Merheim tun?

Das neue Perinatalzentrum, das wir hier in Holweide haben, ist super – viele der normalen Zimmer sind allerdings nicht so, wie wir uns das wünschen würden. Mein Nachfolger wird mit seinem Team in Merheim in ein ganz neues Mutter-Kind-Zentrum ziehen, in dem die Kinderklinik direkt neben dem Perinatalzentrum sein wird. Das ist auch für die Eltern ein echter Gewinn. Denn mit den Frühchen, die von der Intensivstation kommen, aber noch nicht nach Hause können, müssen die Familien aktuell in die Kinderklinik in der Amsterdamer Straße „umziehen“. Auch das ärztliche Team pendelt täglich zwischen den beiden Standorten. Das fällt künftig weg, wenn alle Disziplinen direkt beieinander liegen.

29.06.2023
Köln
neues Perinatalzentrum in der Frauenklinik in Holweide
Foto: Martina Goyert

Zimmer im Perinatalzentrum in Köln-Holweide.

Wie reagieren die Patientinnen und Patienten auf den Umzug?

Wir werden ständig danach gefragt. Die Überschriften „Holweide wird geschlossen“ haben uns das gesamte Jahr 2022 über begleitet. Und wir merken es auch an den Geburtenzahlen, die in der Zeit schlagartig zurückgegangen sind. Wir bekommen nach wie vor Anrufe von Schwangeren, ob man sich bei uns noch zur Geburt anmelden kann. Ich kann dann nur sagen: Natürlich, und das wird sicher auch noch die nächsten fünf bis sechs Jahre so bleiben.

Schwangerschaftsabbrüche: „Es werden immer weniger Praxen, die das anbieten“

Sie haben Ihre Kernaufgaben gerade umrissen. Schwangerschaftsabbrüche nach Beratungsregel gehören (wir berichteten) Ihrer Meinung nach nicht dazu. Warum?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen: Der operative Abbruch im frühen Stadium ist ein unkomplizierter Eingriff, der als ambulante Leistung im niedergelassenen Bereich umgesetzt werden kann. Natürlich ist ein Schwangerschaftsabbruch, ob nun medikamentös oder operativ, eine Spezialleistung, die nicht jede gynäkologische Praxis erbringen kann oder auch will. Man hat den Eindruck, es werden immer weniger Praxen, die dies anbieten. Wenn das nicht so wäre, hätten wir ja gar kein Problem. Das ist nicht als grundsätzliche Kritik an den Kolleginnen und Kollegen in den Praxen zu verstehen. Aber es ist eben eine ambulante Leistung in unserem Gesundheitssystem. Wir im Krankenhaus sind primär für Behandlungen verantwortlich, die stationäre Aufenthalte bedingen.

29.06.2023
Köln
Interview mit dem scheidenden Chefarzt der Holweider Frauenklinik, Prof. Dr. Werner Neuhaus.
Krankenhaus Holweide
Foto: Martina Goyert

Chefarzt Werner Neuhaus im Gespräch.

Sie haben doch in der Klinik aber die gesamte Infrastruktur, die es für die operativen Abbrüche braucht.

Natürlich können wir ambulante Operationen durchführen. Nun ist es aber so, dass die OP-Kapazitäten begrenzt und auch nicht beliebig ausbaubar sind, wir haben nicht genug Räume und Personal dafür. Wenn wir nun diese kleinen Eingriffe, die nicht selten sind, zusätzlich bei uns übernehmen würden, belegen wir damit OP-Kapazitäten, die ich für operative Eingriffe benötige, die nicht in den Praxen umgesetzt werden können, sondern nur im Krankenhaus. Bei einer mehrstündigen Tumoroperation werden OP und Personal unter Umständen den ganzen Tag benötigt. Es ist ein Verteilungsproblem. Hinzu kommt: Durch die enge Verknüpfung mit der Pränatalmedizin finden sowohl bei der Uniklinik als auch bei uns in Holweide in viel höherem Maße als in anderen Krankenhäuser Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischen Gründen statt.

„Wenn der Abbruch spät stattfinden muss, lassen wir die Frauen nicht hängen“

Heißt, das Kind ist beispielsweise aufgrund einer Behinderung nicht lebensfähig oder für die Schwangere besteht Lebensgefahr?

Richtig. Diese Abbrüche sind erheblich aufwendiger als die frühen Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregel, die in der Regel zehn bis 15 Minuten dauern. Die medizinischen Indikationen werden in aller Regel später entdeckt. Es folgt eine stationäre Behandlung der Frau, die in einer sehr schwierigen Situation steckt, die sich über Tage hinziehen kann. Mit solchen Behandlungen sind wir nicht selten, sondern durchaus mehrfach in der Woche konfrontiert. Und darin sehen wir unsere genuine Aufgabe: Diese Behandlungen können nicht in den Praxen stattfinden, sondern nur bei uns. Daher finde ich die Vorgaben vernünftig, dass Krankenhäuser die komplexen Behandlungen durchführen und die kleinen ambulanten Eingriffe im niedergelassenen Bereich stattfinden.

In Köln verfügen allerdings kaum gynäkologische Praxen mehr über einen eigenen OP-Raum, geschweige denn über einen eigenen Anästhesisten.

Für die Praxen ist es schwierig, das verstehe ich. Zumal ist es für die Praxen immer mit Risiken verbunden, sollten Komplikationen beim Eingriff auftreten. Für die betroffenen Frauen wird es darum immer schwerer, einen Platz zu finden. Wir sehen uns bei der Beratungsregelung in der Reserve. Wenn der Abbruch spät, also zwölfte Woche plus, stattfinden muss, lassen wir die Frauen nicht hängen. Mit dieser Regelung kann man uns nicht vorwerfen, dass wir uns vor dem Thema drücken würden. Hinzu kommt: Einzelne Ärzte und Ärztinnen können nicht dazu angehalten werden, Abbrüche durchzuführen. Das ist ihre eigene Entscheidung.

Es gibt die Idee, eine Art OP-Zentrum für Schwangerschaftsabbrüche unter städtischer Trägerschaft einzurichten, in dem Ärztinnen und Ärzte sich einbringen könnten. Was halten Sie davon?

Das finde ich durchaus sinnvoll. Das Thema wird in der Stadt diskutiert, wir machen uns auch unsere Gedanken dazu und schließen nichts aus. Aber wir sind mit den medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen räumlich ausgelastet, der Engpass ist und bleibt in Krankenhäusern der OP.