Meistgelesen 2022Muezzin ruft in Ehrenfeld erstmals zum Gebet – wegen Demo zunächst kaum zu hören
- Dieser Text ist zuerst am 17. Oktober 2022 erschienen.
In Köln hat am Freitag um etwa 13.24 Uhr an der Ehrenfelder Zentralmoschee unter großem medialen Auflauf zum ersten Mal öffentlich ein Muezzin zum Freitagsgebet gerufen. Er erfolgte nicht über die beiden jeweils 55 Meter hohen Minarette, die an der Moschee an der Ecke Innere Kanalstraße/Venloer Straße nur eine städtebauliche Funktion haben. Der Ruf soll am Fuße der Moschee nicht lauter als 60 Dezibel sein.
Bei der heutigen Premiere rief der Muezzin außerhalb der Moschee im Innenhof per Mikrofon und zwei Lautsprechern zum Gebet. Aufgrund der vielen Journalisten hatte die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) sich dazu entschieden. Erst ab nächstem Freitag soll der Muezzin wie üblich in der Moschee zum Gebet rufen, seine Stimme wird dann über Lautsprecher nach außen getragen. Bislang ruft der Muezzin laut Ditib per Mikrofon im Gebetsaal für 1200 Gläubige zum Freitagsgebet, das wird aber nicht nach außen übertragen.
Wegen der Demo „Solidarität mit den Frauen im Iran“, die auf der anderen Straßenseite abgehalten wurde, hat man den Ruf anfangs kaum gehört. Als die rund 30 Demonstranten ruhiger waren, war er am Fußweg der Moschee zu hören, aber nicht sehr laut.
Muezzinruf in Köln: Pilotprojekt ist auf zwei Jahre ausgelegt
Der öffentliche Muezzinruf hatte in den vergangenen Tagen erneut für viel mediale Aufmerksamkeit gesorgt, das war schon im Oktober 2021 so, als die Stadt mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) die Möglichkeit für den Ruf publik machte. Es geht dabei um fünf Minuten zwischen 12 und 15 Uhr einmal die Woche am Freitag, die genaue Zeit richtet sich nach dem Sonnenstand.
Zuvor müssen die jeweiligen Moscheegemeinden einen Antrag bei der Stadt stellen und Auflagen erfüllen, unter anderem ein Schallgutachten erstellen, wo der Ruf wie laut zu hören ist. Auch die Anwohner müssen informiert sein. Das Pilotprojekt ist auf zwei Jahre angelegt und startet jetzt, bislang gibt es keine weiteren Moscheegemeinden, die den Ruf konkret prüfen, zehn haben gegenüber der Stadt zumindest Interesse bekundet. Die Ditib kündigte am Freitag an, für weitere ihrer kleineren Moscheen Anträge zu stellen.
Rekers Ankündigung überraschte
Rekers Ankündigung war im Oktober 2021 überraschend gekommen, unter anderem diese Überraschung verärgerte Teile des Stadtrates und auch der Bevölkerung – und befeuerte die ohnehin zu erwartende emotionale Debatte. Es kamen viele Fragen auf: Wie laut wird der Ruf sein? Beschallt er einen großen Bereich rund um die Moschee? Ist der Ruf zum Gebet nicht im Gegensatz zum Kirchengeläut mit einer Botschaft verbunden? Und warum darf gerade die Ditib die erste Moscheegemeinde sein, die in Köln öffentlich zum Freitagsgebet rufen darf?
Aber was halten eigentlich die Menschen in Ehrenfeld von dem Muezzinruf? Viel Wind um nichts? Oder doch Ärger und Unverständnis? Dass der Ruf ein Thema ist, bestätigt Simon Reynders (24), er verkauft unter anderem Fleisch und Eier in seinem mobilen Marktstand rund 500 Meter von der Moschee entfernt auf der Venloer Straße. Reynders sagt: „Ich finde den Muezzinruf völlig in Ordnung. Warum sollten Muslime das nicht machen dürfen, wenn hier auch jeden Tag die Kirchenglocken läuten?“
Einige Kölner sehen die Sache entspannt
Sein Wagen steht direkt vor der Marktkapelle St. Mariä Himmelfahrt, die laut Reynders laute Kirchenglocken hat. Auch Simon Reynders hat die Eröffnung mit Erdogan mitbekommen, er sagt: „Das Thema Erdogan finde ich ein bisschen schwierig, aber das hat für mich nichts mit dem Muezzinruf an sich zu tun.“
Ähnlich äußert sich Mahdjouba Bendella, die einen Friseursalon auf der Venloer Straße betreibt: „Wir sind in Köln, wir sind doch multikulti. Es ist schön, dass die Moschee jetzt öffentlich zum Gebet rufen darf.“
Teile des Kölner Stadtrates und auch der Öffentlichkeit haben weniger ein Problem mit dem öffentlichen Muezzinruf an sich, zumal das Grundgesetz die freie Religionsausübung garantiert, sondern mit der Ditib und ihrer Rolle. Sie untersteht der Kontrolle und Aufsicht des staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten der Türkei (Diyanet), die wiederum dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan untersteht.
Erdogan eröffnete Kölner Moschee ohne Staatsvertreter
Genau jenem Erdogan nämlich, der die Moschee 2018 offiziell eröffnete – ohne Vertreter von Stadt, Bund und Land. Es war eine geschlossene Veranstaltung in Köln. Beim Bau ab 2009 engagierte sich der damalige Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) stark für die Moschee, Ehrenfelds Bezirksbürgermeister Josef Wirges (SPD) setzte sich ebenfalls ein. Die Linken im Stadtrat haben deshalb ein „Störgefühl“. Auch Zekeriya Altug von der Ditib selbst bezeichnete das Verhalten der Ditib in der Vergangenheit nicht immer als „Sternstunde“.
Einer, der die Moschee schon lange kennt, ist Stefan F. G. Strauß (54), er wohnt laut eigener Aussage seit 1992 in ihrer Nähe. Auch er spricht den Multikulti-Charakter Ehrenfelds an, er sagt: „Wenn jeder sich ein bisschen aufeinander zubewegt, kann man am Ende eine ganze Menge erreichen.“