Tina Farina hatte in den 1950er Jahren in das Familienunternehmen eingeheiratet. Sie führte es mit viel Wissen und einem guten Geruchssinn weiter.
Nachruf auf Kölner Parfümeurin Tina Farina„Sie hatte die beste Nase von uns allen“
Kann man Angst riechen? Tina Farina war davon überzeugt. „Und Angst erzeugt Aggression. Wenn die Menschen mehr in Duftpsychologie bewandert wären, gäbe es auf der Welt weniger Auseinandersetzungen“, sagte sie. Mit der Wirkung von Gerüchen kannte sich die Parfümeurin aus, nicht nur theoretisch.
„Sie hatte die beste Nase von uns allen“, sagt ihr Sohn Johann Maria Friedhelm Farina, der lange Zeit mit ihr zusammen das Unternehmen führte, das mit dem Duftwasser Eau de Cologne berühmt wurde und als älteste Parfümfabrik der Welt gilt: „Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichs-Platz“. Im Januar vergangenen Jahres ist die Seniorchefin im Alter von 88 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.
Das Wort „Ruhestand“ gab es für Farina nicht
Bis zu ihrem letzten Tag hatte sie mitgearbeitet. In einem Gespräch, das sie und ihre Enkelin Louise Farina 2015 mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ führten, sagte sie, das Wort „Ruhestand“ gebe es für sie nicht. „Ich bin jeden Tag tätig, brauche den Erfolg, brauche die Kreativität.“ Ins Unternehmen kam sie durch Heirat. Johann Maria Wolfgang Farina, der ihr Mann werden sollte, amtierte 1952 mit seinen erst 24 Jahren als bis heute jüngster Prinz Karneval von Köln.
Bis in die „New York Times“ schaffte es die Nachricht, dass er 120.000 Miniaturfläschchen Kölnisch Wasser unter die Zuschauer und Zuschauerinnen des Rosenmontagszugs warf. Am letzten Tag jenes Jahres, bei der Silvesterfeier der Großen Kölner Karnevalsgesellschaft, der Farina angehörte, lernten er und die Studentin Tina Hüber sich kennen. „Wir sind ganz bewusst zusammengeführt worden“, sagte sie 2015 zu der Begegnung, die ihr zunächst widerstrebte: „Für mich war das erst mal eine negative Figur, dieser jüngste Prinz. Ich kam damals von den Werkschulen, einer anderen Welt.“
Im Krieg wurde die Familie in Braunsfeld ausgebombt
Doch beim Tanzen verliebten sie sich ineinander. 1954, sie hatte gerade ihr Studium beendet, folgte die Verlobung, ein Jahr danach heirateten sie. Die Welt, aus der die junge Frau kam, war tatsächlich ganz anders als die des Fabrikantensohns, der mit 23 Jahren in die Firma eingestiegen war. Tina Farinas Vater führte zusammen mit ihrer Mutter am Rudolfplatz das Geschäft „Rhein Radio“, eine der führenden Radiohandlungen Deutschlands.
Viele Jahre, bis zum Zweiten Weltkrieg, war er Vorsitzender des Kartellverbands der Radiohändler und deshalb jede Woche zwei Tage in Berlin. Außer der Tochter hatte das Ehepaar drei Söhne. Im Krieg wurde die Familie in Braunsfeld ausgebombt und zog nach Refrath um. Zeitweise lebte Tina Farina in anderen Gegenden Deutschlands, die sicher vor Luftangriffen waren.
Ausbildung zur Parfümeurin
Ihr ältester Bruder fiel 1942 als 19-jähriger Leutnant in Afrika beim Vorstoß auf die libysche Stadt Tobruk. Die Mutter konnte den Verlust nicht verwinden; ein Jahr nach Kriegsende starb sie an Krebs. Tina Farina ging in Kalk aufs Gymnasium. 1951 begann sie, an den Kölner Werkschulen Malerei, Bildhauerei, Grafikdesign und Architektur zu studieren. Sie schloss die Ausbildung als Meisterschülerin ab und war danach freiberuflich tätig. In den Jahren 1958 und 1963 kamen ihre Söhne zur Welt.
Sie ließ sich zur Parfümeurin ausbilden und brachte sich in die Firma ihres Mannes ein, blieb allerdings im Hintergrund. Ihre Fähigkeiten als Designerin machte sie sich zunutze, indem sie Packungen und Flakons für Eau de Cologne entwarf, das lange Zeit in sogenannten Rosalien abgefüllt worden war: langen, dünnen Flaschen aus grünem Glas. Anfang des 18. Jahrhunderts hatte der aus Italien stammende Vorfahr Johannes (ursprünglich Giovanni) Maria Farina das Duftwasser entwickelt.
Die Erfolgsgeschichte des Eau de Cologne
Er war der Erste, der die Bergamotte für ein Parfüm verwendete, neben anderen Zitrusfrüchten und Kräutern. Als Trägerstoff wählte er Alkohol aus; so wurde es möglich, Eau de Cologne als gleichbleibenden, reproduzierbaren Duft herzustellen. „Ich habe einen Duft gefunden, der mich an einen italienischen Frühlingsmorgen erinnert, an Bergnarzissen, Orangenblüten kurz nach dem Regen“, schrieb er voll Begeisterung. 1714 trat er in das Kommissions- und Speditionsgeschäft „Farina & Compagnie“ ein, das sein Bruder Johann Baptist 1709 in Köln gegründet hatte.
Eine lange Erfolgsgeschichte begann. Zu den Kunden zählten Goethe und Voltaire, Kaiser und Könige wie Napoleon und Queen Victoria. Nicht nur als Designerin, die auch Accessoires wie Seidentücher und Schmuck entwarf, wirkte Tina Farina im Unternehmen mit. Sie „ist diejenige, die in den 70er Jahren konsequent auf Innovation baut“, heißt es in dem 2021 herausgekommenen Buch „Eau de Cologne. Farina 1709“. „Sie hat das richtige Gespür für den Markt, einen besonderen Geruchssinn und verfügt über das umfassende Wissen der modernen Geruchsforschung.“
Für jedes Sternzeichen das individuelle Parfüm
Jahrelang pendelte sie zwischen Köln und den USA, absolvierte eine Ausbildung in Duftpsychologie und unterrichtete das Fach in New York. Dort entwickelte sie ihre „Dufttypologie“: Für jedes Sternzeichen komponierte sie passend zu den ihm zugeschriebenen Eigenschaften ein individuelles Parfüm. „Niemand zuvor hat Duft, Astrologie und Verhaltenslehre derart in Einklang gebracht“, ist in jenem Buch über die Firmengeschichte zu lesen. 1981 kam ihre Duftkollektion „Tina Farina“ als unabhängige Parfümmarke in Deutschland, Finnland und England auf den Markt, danach in anderen Ländern wie etwa Frankreich, Saudi-Arabien und den USA.
1981 war auch das Jahr, in dem Tina Farina für einige Jahre mit Harrods zusammenzuarbeiten begann. Für das berühmte Londoner Kaufhaus entwarf und lieferte sie exklusive Sonderflakons und Düfte, die nur dort verkauft wurden. 1983 fand bei Harrods ein Galadinner mit den renommiertesten Parfümeuren der Welt statt. Gastgeberin des Abends, an dem alle Gäste einen Farina-Sonderflakon auf einem rosaroten Lederkissen überreicht bekamen, war Queen Elizabeth II.
Seit 2003 leitete Farina das Duftmuseum im Farina-Haus
1984 brachte Tina Farina den Herrenduft „Falcon“ auf den Markt, der zum Verkaufshit wurde; auch für ihn hatte sie das Gefäß entworfen. Teil ihrer Arbeit war die Beratung von Kunden nicht nur zu Düften, sondern auch zu Farben und Mode. Keine Frage, dass sie selber stets „bestens gekleidet“ war, wie ihre Enkelin Louise sagt. Eine weitere Aufgabe übernahm sie im Jahr 2003 mit dem Aufbau des Duftmuseums im Farina-Haus, das sie fortan leitete. Schon in den 1920er Jahren hatte die Firma auf der anderen Straßenseite ein Museum etabliert.
Im Krieg wurde es zerstört. 1963 eröffnete es wieder, hielt sich aber nur bis 1977. Das heutige Museum, das Johann Maria Farina „eine Art Vermächtnis“ seiner Mutter nennt, präsentiert 300 Jahre Parfümgeschichte. Zu sehen sind zum Beispiel zahlreiche Flakons, Porträts, Porzellan und die alte Inneneinrichtung des Dufthauses. Die Besucher erfahren, wie die wertvollen Essenzen gewonnen wurden, und auch einiges über die Machenschaften von Imitatoren und Fälschern in einer Zeit, als es noch kein Markenrecht gab.
Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben
Auch später noch führte das Unternehmen unzählige Prozesse um Markenrechte; erst 2006 fand der letzte Rechtsstreit mit dem Konkurrenten 4711 sein Ende. Die Mitarbeiter, die durch das Museum führen, hat Tina Farina selber ausgebildet. 2004 fusionierten die beiden bisher getrennten Unternehmen Tina Farina und Johann Maria Farina; damit waren alle Marken unter einem Dach vereint.
Im Jahr darauf starb Johann Maria Wolfgang Farina, der mit 65 Jahren als geschäftsführender Gesellschafter ausgestiegen war und sich danach in die Firmengeschichte vertieft hatte. Lange hatte das Ehepaar in einem von Tina Farina entworfenen Haus in Hahnwald gewohnt, bevor es Mitte der 1990er Jahre in die Altstadt umzog, in die Nähe des Stammhauses. Nach dem Tod ihres Mannes zog sich Tina Farina weitgehend aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Groß war ihr Freundeskreis, doch an erster Stelle stand für sie die Familie.
Enges Verhältnis zur Enkelin Louise
Eng war ihr Verhältnis zu Enkelin Louise, mit der sie oft verreiste. Die junge Frau, Tochter des Geschäftsführers, ist bereits für das Parfümhaus tätig. Tina Farinas andere zwei Enkelinnen sind Töchter ihres jüngeren Sohns. Bis zum Schluss war sie in das Tagesgeschäft involviert. „Die eine Hälfte des Lebens hatten wir ein Mutter-Sohn-Verhältnis, die andere waren wir Geschäftspartner“, sagt Johann Maria Farina. „Egal, was der eine machte, es war im Sinne des anderen.“
Die Corona-Pandemie habe seine Mutter „gebeutelt“ und ihre sonst große Lebensfreude gedämpft. Ihren ausgezeichneten Geruchssinn behielt sie bis ins hohe Alter. 2015 sagte sie im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Obwohl das im Alter stark nachlässt, kann ich im Garten noch immer die Spur einer Maus verfolgen.“ In der Todesanzeige ist ein Zitat von Goethe zu lesen: „Die wichtigste Sache im Leben ist, ein großes Ziel zu haben und die Eignung und das Durchhaltevermögen zu besitzen, es zu erreichen.“