Niedecken über großen Hit„Der Refrain ist irgendwo zwischen genial und strohdoof“
- Wolfgang Niedecken im Gespräch über Populismus, Textarbeit, Enkel, Musik und die Lust, immer weiter zu machen.
- Der bekannte Musiker feiert am 30. März seinen 70. Geburtstag.
Köln – Wir treffen Wolfgang Niedecken im Arbeitsraum seines Hauses im Kölner Süden. Bücheregale bis unter die Decke, durch ein Fenster glitzert entfernt der Rhein in der Sonne. Der Sänger sitzt vor einer Bilderwand. Ein Wim-Wenders-Foto eines Friedhofs im Mittleren Westen dominiert, daneben ein Konzertfoto, auf dem Joseph Beuys („Butter-Jupp“ ) mit Niedecken und Klaus „Major“ Heuser in ein Mikrophon singt. Eine Zeichnung von Hermann Brood („hat mir Clemens Böll mal geschenkt“) , daneben ein Bild von Hep Tentler („ein Mitstudent. Talentierter Typ, der sich umgebracht hat“) und ein Plakat von Pop-Art-Ikone Larry Rivers mit persönlicher Widmung. Der Raum ist prall gefüllt wie das Leben des Musikers, Malers, Familienvaters, Rockstars. Ehefrau Tina hat extra Teilchen besorgt und Kaffee gekocht. Der BAP-Chef krault gelassen seinen Hund.
Wolfgang, am 30. März wirst du 70 Jahre alt – wird man da sentimental?
Man wird ja nicht von einem auf den anderen Tag siebzig. Man gewöhnt sich an den Zustand, dass man älter wird, und denkt nicht die ganze Zeit darüber nach. Im Moment werde ich ständig danach gefragt, deshalb bleibt mir gar nichts anderes über. Dann wird mir klar, dass sieben Jahrzehnte schon eine Menge Holz sind. In meinem Leben ist sehr, sehr viel passiert. Es gibt zwei dicke Bände Biografie, und da ist noch nicht mal alles drin. Ich hoffe, dass ich mindestens noch ein Jahrzehnt meine Sachen machen kann. Noch habe ich keine Ermüdungserscheinungen, noch macht alles total Spaß.
Du hast jetzt Enkel – eine gute Erfahrung?
Super Erfahrung! Du hast diese kleinen Kerle und bist nur dafür zuständig, dufte gefunden zu werden. (lacht). Wenn die nachts schreien, kümmern sich die Eltern drum. Wenn die hier sind, spielst du mit denen. Kleine Sönnchen, die einen anstrahlen. Das gibt ne Menge Energie, Sonnenenergie.
Hält das jung? In „Volle Kraft voraus“ vom neuen Album „Alles fließt“ singst du „Lass dich nit hänge ahle Mann“. Ist das ein Tritt in den eigenen Hintern?
Natürlich hat man schon mal den Blues wegen des Älterwerdens. In dem Song ziehe ich mich da an den eigenen Haaren raus. Es ist aber auch eher ein Gefühl der Ratlosigkeit darüber, was weltweit so passiert. Populismus, Rechtsradikalismus. Kann man sich dagegen noch wehren, wenn die Kräfte nachlassen? Ich habe mich sehr über die Fridays for Future-Bewegung gefreut. Da habe ich nicht mehr mit gerechnet. Die Kids, die nur noch auf ihr Handy starren, Spotify hören, Videospiele spielen. Und auf einmal kommt aus der Generation so ein Aufbruch mit einer Vision. Das hatte es ja Jahrzehnte lang nicht gegeben. Da fühlt man sich auch alt. Ich habe immer Songs geschrieben, die auch mir selber Mut gemacht haben
Im Herbst ist das neue Album erschienen. Früher war es so, dass man wochen/monatelang auf die VÖ eines Albums der Stones, von Queen oder BAPgewartet hat. Das gibt es so nicht mehr.
Die ganze Entwicklung geht ja in eine andere Richtung. Es gibt jeden Freitag Neuerscheinungen ohne Ende. Und durch das Streamen gibt es eine ganze Generation, die nicht mehr auf Alben abfahren, sondern die sich nur einzelne Tracks runterladen. Was dazu führt, dass viele junge Künstler gar keine Alben mehr machen. Clueso hat mir letztens erzählt, dass er nur noch einzelne Tracks veröffentlicht. Wir sind da mit BAP sehr Old School. Ich finde es viel reizvoller, ein zusammenhängendes Album rauszubringen, wo sich die Stücke gegenseitig Balance bieten. Vom politischen Song, harten Rocksong über Liebeslied zur lustigen Ballade. Vielfalt, die sich gegenseitig austariert. Das ist für mich eine sehr schöne Arbeit. Ich schreibe die Songs in Kladden. Beim aktuellen Album hat mir unser Gitarrist Ulrich Rode erstmal eine CD mit elf Songs, die schon vorarrangiert waren, geschickt. Ich höre mir die Stücke dann so lange an, bis sie zum Soundtrack meines Alltags werden, und laufe damit durch die Gegend.
Das ist heute der bei BAP übliche Weg?
Ja, ich habe für das neue Album kein Musikstück selber geschrieben. Es war alles da, wunderbare Musik, die der Ulle mir da abgeliefert hat. Der hat mir ein Bett gemacht, in das ich mich nur noch reinlegen musste. Reinlegen und träumen. Die Band ist mittlerweile unglaublich professionell geworden, das hat sich schon sehr gut entwickelt. Das sind ja auch alles gefragte Musiker. Das ist natürlich nicht mehr so ne Band wie früher in den 80ern im Chlodwigeck. Anfangs war das so: Wenn wir wussten, wir spielen am Wochenende in Wuppertal, dann haben wir Mittwoch oder Donnertag mal an der Theke rundgefragt, wer Zeit hat, den Kram da hinzubringen und aufzubauen. Wir standen da ja eh. Morgens zum Frühstück, abends sind wir wieder hin. Und dazwischen haben wir Plakate geklebt oder geprobt. Eine Amateurband, die gerade bekannter wurde. Dann haben sich über die Jahre die Familienverhältnisse geändert. Kinder kamen. Es gab auch Leute, die keinen Bock mehr hatten. Mittlerweile sind es zwischen 20 und 30 Leute, die jemals bei BAP gespielt haben. Wir haben auch schon Leute beerdigt. Es gibt eine ganz organische Fluktuation in 45 Jahren. 45 Jahre - das ist schon der Wahnsinn!
Professionell geworden ist BAP mit dem Einstieg vom Major.
Ohne Zweifel. Dem Major verdanken wir sehr viel, da gibt es kein Vertun. Der wollte allerdings ab ‘85 in eine andere Richtung. Wir haben 14 Jahre probiert, dass wir beide Richtungen hinkriegten. Am Tag, als wir hier in das Haus einzogen, 1999, hat er mich angerufen. Wir haben uns an der „Alten Liebe“ getroffen. Die hatte leider zu und wir sind am Rhein spazieren gegangen. Dann hat er gesagt, er spiele jetzt die Tour noch zu Ende und dann würde er aussteigen. „Das, was ich machen will, kann ich mit dir nicht machen.“ Dann haben wir noch eine schöne Tour gespielt und er hat aufgehört. Alles okay. Er war der erste in der Band, der wirklich gut spielen konnte, das muss man ehrlich sagen. Beim ersten Album waren wir blutige Amateure. Ich konnte ein paar Akkorde auf der Gitarre, Mundharmonika spielen und meinen Kram singen. Ich konnte auch alleine auftreten, aber mir irgendwelche Arrangements ausdenken? Garnichts. Der erste, der das konnte, war Bernd Odenthal, der heute E-Werk und Palladium betreibt. Der konnte Noten, der hatte Klavierunterricht. Wir hingen immer in dem Dilemma, dass man die Texte nicht verstand, wenn wir zu laut gerockt haben. Die waren aber wichtig. Andererseits wollten wir rocken. Der Major war der erste, der die Balance mit seinen Arrangements hingekriegt hat. Damals habe ich ja die Lagerfeuerversionen aller Songs geschrieben. „Frau, ich freu mich“ war dann auf dem dritten Album die erste Nummer, die musikalisch nicht den Ursprung bei mir hatte, die haben Alexander „Effendi“ Büchel und der Major geschrieben.
Du hast 20 Studioalben veröffentlicht. Da kämen in Buchform einige Bände zusammen. Wie hat sich das Schreiben der Texte verändert?
Ich erlebe ja jeden Tag was anderes. Wenn ich merke, ich wiederhole mich, dann fange ich neu an, weil ich keine Lust habe, Songs zweimal zu schreiben. Da ist ja vieles autobiografisch. Ich habe nie auf eine Zielgruppe hin geschrieben oder versucht, den Berufsjugendlichen abzugeben, der nicht altern darf. Ich habe keine Sekunde drüber nachgedacht, mir die Haare zu färben, um jünger zu wirken. Für mich ist das nix. Die Songs kommen immer aus meiner jeweiligen Altersgruppe raus. Ich kann kein Liebeslied schreiben, als ob ich gerade zwanzig wäre. Aber das ist auch viel charmanter so. Liebeslieder müssen immer auch was Lapidares haben. Wenn du da mit „Du bist süßer als Honig“ anfängst, das haut nicht hin. Manche Songs aus der Anfangszeit singe ich auch nicht mehr, da käme ich mir komisch vor. Zum Glück muss ich mich der großen Hits aus der Anfangszeit nicht schämen, selbst wenn man sie objektiv betrachtet. Die spielen wir auch heute noch gerne.
Du hast immer auch politische Songs geschrieben, zuletzt „Ruhe vorm Sturm“. Wie wichtig ist das für dich?
Die Angst vor den Ewiggestrigen lässt einfach nicht nach. Man schreibt die Songs allerdings aus einem anderen Blickwinkel. „Ruhe vorm Sturm“ ist die fünfte Zeile aus „Kristallnaach“: „In der Ruhe vorm Sturm, wat is dat? Janz klammheimlich verlöss he die Stadt…“ Das neue Stück habe ich auf Sri Lanka geschrieben. Ich hatte Zeit und war tagsüber nicht abgelenkt. Das Thema ist genaugenommen aus mir rausgeflossen, das war wie eine Selbsttherapie. Ich musste nur meine Angst formulieren. Der Song war auf Ulles Demo der, der mich am meisten geflext hat. Die ersten Zeilen gehen dir durch den Kopf, Stimmungen werden ausgelotet und dann gibt es so einen magischen Moment, wo du dich hinsetzen musst und anfängst zu schreiben. Du musst es wieder und wieder hören, und an irgendeinem Zipfel kriegst du das Stück zu fassen, und den Zipfel musst du hauptsächlich festhalten. Dann kommt das Ausarbeiten. Der ganze Prozess hat großen Spaß gemacht.
Niedecken holt aus seinem Archiv im Nebenraum die Kladde, in der er den Text geschrieben hat, um zu zeigen, wie er arbeitet. Zwei Kladden vom aktuellen Album. Es gibt einen englischen Blindtext zur Musik, Arbeitstitel bei „Ruhe vorm Sturm“ war „Follow me now“. Dazu werden erste Textfragmente verfasst, die immer wieder überarbeitet werden. Nach vier oder fünf Bleistiftversionen wird dann erstmals der Text getippt, dann aber weiter optimiert. Die Textarbeit, das Wording, wird so anschaulich dokumentiert. Es gibt Kladden zu allen Niedecken-Alben, fein säuberlich durchnumeriert stehen sie im Regal.
Dem Dialekt bist du immer treu geblieben, obwohl sich das nicht immer gut verkauft.
Heute könntest du so wie wir wohl nicht mehr anfangen und bundesweit Erfolg haben. Viele der jungen kölschen Bands sind ja auch keine „native speaker“ mehr. Die haben im Proberaum alle den Wrede stehen. Das ist ein großartiges, legendäres Kölsch-Lexikon, aber ich muss da nicht nachgucken. Es gibt mir sehr geläufige Worte, die da gar nicht drinstehen. Knares zum Beispiel, das ist ein getrockneter Fleck, den man nur abpiddeln kann. Oder Knares im Auge. Das steht nicht drin. Furchtbar (lacht). Kasalla oder Cat Ballou machen das aber schon prima. Das Problem ist, dass Kölsch einfach kaum noch gesprochen wird. Beim Bäcker, beim Metzger, beim Schuster – die kleinen Gespräche gibt es nicht mehr. Im Supermarkt muss man nicht reden. Als ich Kind war, gab es keinen Obststand, an dem nicht Kölsch gesprochen wurde. Wer kein Kölsch konnte, hatte da Verständigungsprobleme. Die Dialekte sind am Aussterben. Was nicht heißt, dass ich mich dem Anpassen muss. Wenn ich einen Text geschrieben habe und den dann im Studio singe, stelle ich manchmal fest, dass ich das im Alltag so nie sagen würde. Nehmen wir „Absurdistan“ vom vorletzten Album. Da musste ich das für mich etwas hochdeutscher formulieren, damit meine Nackenhaare unten blieben. Die Nackenhaarkontrolle zeigt mir an, was geht und was nicht. Und die sind sehr sehr streng mit mir, meine Nackenhaare.
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In dem sehr aufwendig produzierten Video zu „Op Odyssee“ kruschtelst du in alten Bilderkisten. Auch deine Kunst legt nahe: Du bist ein Sammler.
Guck mal rum (lacht). Das ist ja alles Material. Ich sammle auch Eindrücke. Nebenan ist mein Archiv, da wurde das gedreht. Da stehen Fotokisten und eben auch die Polaroidkiste. Ich muss alle paar Jahre rigoros ausmisten. Das steht jetzt wieder an. Das letzte Mal habe ich das in dem halben Jahr nach dem Schlaganfall gemacht, das ist zehn Jahre her. Wenn vor dem Regal so viele Kisten stehen, dass ich da nicht mehr rankomme, dann wird’s Zeit. Sollten wir im Sommer nicht spielen können, werde ich da wohl drangehen. Ich will das den Nachkommen geordnet hinterlassen. (grinst)
Nach der Ankündigung des Ausstiegs vom Major beschloss auch Effendi, mit dem er bis heute befreundet ist, BAP zu verlassen. Und Manager Balou Temme hörte ebenfalls auf. Niedecken musste sich fortan deutlich mehr um Band und Organisation kümmern. Zeit zum Malen blieb da kaum noch. Das Studio im Haus benutzt hauptsächlich Tina zum Fotografieren.
In der Geburtstags-Edition des neuen Albums hast du den Song „Frau Herrmanns“ ausgegraben. Muss die BAP-Geschichte jetzt umgeschrieben werden?
Das war so irre. Ich wusste, dass es das Stück gibt und auch, dass es in den Ordnern drin ist. Ich habe so fünf oder sechs davon mit alphabetisch geordneten Raritäten. Beim Lesen fielen mir dann zum ersten Mal die Zahlen in den Textzeilen auf: 93 und 1883. Wenn man das addiert, gibt das 1976. Ich war bis dahin immer der festen Überzeugung, dass ich meinen ersten BAP-Song, „Helfe kann der keiner“, 1977 geschrieben hatte. Denkste! Geschrieben habe ich ihn zu Ehren einer Omi, die ich schon als Kind kannte. Sie gehörte zu einer Kirmes-Familie, die immer auf einem Trümmergelände am Karthäuserhof überwinterte und dann im Gemüseladen meiner Eltern einkaufte.
Jahre später habe ich die Frau Hermanns beim Zivildienst in einer Altentagesstätte wiedergetroffen. Morgens habe ich Essen auf Rädern rumgefahren und nachmittags in der Tagesstätte mit den Omis und Opis Karten gespielt, gemalt, gebastelt, gesungen und Kaffee getrunken. „Do bess doch dä Niedeckens-Klein“, sagte sie. Wir waren sofort ein Herz und eine Seele. Die war super, schlagfertig, mit allen Wassern gewaschen und hatte einen unglaublichen Humor. Der hatte ich ein Geburtstagsständchen geschrieben. Wir waren ja damals nur eine Cover-Band ohne eigene Stücke. Kinks, Stones, ein bisschen Beatles und Dylan. Einmal in der Woche einen Kasten Bier leerproben – das war‘s. Wir haben das auch mal geprobt, aber es stand nie zur Debatte, den Song live zu spielen – Geburtstagsständchen für eine 93-Jährige hätte im Chlodwigeck zu Stirnrunzeln geführt. Mir sind dann beim Lesen nach und nach die Akkorde wieder eingefallen und ich habe das im Alleingang im Maarweg-Studio aufgenommen. Mundharmonika, Gesang, Gitarre. Ich wollte das so pur haben, wie ich das damals gespielt habe. Mittlerweile kann man das auch spielen, ich bin fest entschlossen, das auf der nächsten Tour solo zu bringen. Sie werden es alle lieben, weil sie ja auch 45 Jahre weiter sind und wissen, was wir an unseren Omas hatten.
Die Fans sind mit euch gealtert.
Logisch. Das ist aber auch schön. Was meinst du, wie viele Leute ich von der Bühne aus wiedererkenne. Die Rockerei ist ja Tennis, nicht Squash, wo du gegen die Wand spielst. Die Energie kommt vom Publikum zurück.
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Es gibt auch eine ganz andere BAP-Wahrnehmung, jenseits der Konzertgänger. In dem Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ von Heinz Strunk gibt es eine denkwürdige Passage, wo ein Schützenfest in der norddeutschen Provinz bei „Verdamp lang her“ von einer Coverband total eskaliert – alle grölen mit, ohne ein Wort zu verstehen. Das ist extrem lustig, aber fühlt man sich da nicht missverstanden?
Ich hab das gelesen. (lacht). Furchtbar. Nein, diese Situationskomik, die der da beschreibt, habe ich ja selbst schon erlebt. Auf einem Schiff bei den Kölner Lichtern. Da spielte ein Alleinunterhalter mit Rythmusmaschine „Waschsalon“ – ich habe mich weggeworfen. Irre. Und die Leute haben alle Wischwasch gemacht. (wischt mit den Händen in der Luft und lacht) Ist doch super. Wunderbar. Aber der Strunk hat ja recht, auch mit der Kritik an dem Song. Dieser Refrain ist strohdoof. Ich hatte dieses Stück für meinen verstorbenen Vater geschrieben. Fünf oder sechs traurige Strophen, kein Refrain. Beim Proben für’s Album haben wir den Song immer weiter rausgeschoben. Der hatte noch nicht mal einen Namen. Wir waren schon am Abbauen im Bahnhof Ahrdorf, als ich gefragt habe, was wir denn jetzt mit dem Lied für meinen Vater machen sollen. Dann sagte der Major: „Willste da jetzt allen Ernstes sowas wie „Verdamp lang her, verdamp lang, verdamp lang her“ drauf singen? Und dann womöglich noch so ein Gitarrenlick dazu (simuliert Majors Gitarre mit der Stimme)?“ Das war Under my Thumb auf Police gespielt. Und die anderen guckten und sagten: „Lasst es uns wenigstens mal probieren“. Dann haben wir das probiert, es kam auf die Platte und wurde unser erster großer Hit. Wahnsinn. Dieser Refrain ist irgendwo zwischen genial und strohdoof. Jeder konnte da etwas reininterpretieren, was für ihn verdammt lang her ist: Klassenfahrt, FC-Sieg, egal.
Die Strophen hat eh kaum einer verstanden.
Eben. Wir haben das anfangs bei den Gigs straight durchgespielt, bis ich irgendwann gesagt habe, lasst uns doch wenigstens bei „Verdamp lang her, dat ich bei dir ahm Jraav woor“ vom Gas gehen und runterkommen, damit man den Leuten zumindest die Möglichkeit gibt, diese Trauer nachzuempfinden. Das ist ja eine traurige, sehr intensive Textstelle. Seitdem bin ich damit auch happy. Ich habe das immer gerne gespielt, weil an dieser Stelle mein Vater immer kurz vorbeigeschaut hat, mit seinem grauen Kittel und seinem Kordhütchen. Der hat sich immer Sorgen um mich gemacht. Wenn man selbst Kinder hat, kann man das sehr gut nachvollziehen. (lacht)
Apropos Verdamp lang her. Wann hast du zuletzt ein Bild gemalt?
Ich mache ja manchmal illustrative Collagen zu den einzelnen Stücken. Im Booklet zur Geburtstagsedition sind einige davon drin. Zum richtigen Malen komme ich nicht. Dafür müsste ich erstmal wieder ins Trainingslager. Klar, das ist wie Schwimmen, man verlernt das nicht, aber es wird ungelenker. Ich konnte ja mal malen wie ein Fotoapparat. Der Fotorealismus war für mich als Kunststudent damals wunderbar, weil man das Handwerk lernte, aber im künstlerischen Sinne ist das natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber ich kann nicht sagen, dass ich das großartig vermisse. Das Arbeiten an Stücken, vor Leuten auftreten, diese wunderbaren Feste zu erleben, das ist ein Privileg. So eine Tournee ist ja wie jeden Abend in einer anderen Stadt ein Fest zu feiern. Bei mir kommt da keine Routine auf. Soll es auch nicht - dafür ändere ich manchmal sogar die Songreihenfolge. Und das Konzertpublikum ist mir auch lieber als ein Etepetete-Vernissagenpublikum, die schlau daherreden, aber eigentlich keinen Plan haben. Die Reaktionen beim Konzert sind dagegen komplett unverfälscht, aus dem Moment heraus. Das ist großartig.
Umso schwieriger ist es, im Moment nicht auftreten zu können.
Ganz schwierig. Vor allem wissend, dass es noch ein ganzes Jahr dauern wird. Mal gucken, ob wir im Sommer überhaupt noch was machen können. Die großen Festivals sind ja sowieso abgesagt, aber das ist eh nicht unser Thema. Also wir denken, dass wir den 70pluseins-Geburtstag in der Lanxess-Arena feiern können, am 30. März 2022. Den haben wir mal blockiert
Da sollten auch Gäste auftreten.
Konkrete Gäste sind noch nicht angefragt, aber ich habe einige Ideen. Leute, die ich mag. Das muss sich jetzt entwickeln, alles fliesst. (lacht) Das muss ja auch für mich spannend bleiben. Wenn ich jetzt schon wüsste, mit welchem Stück ich dieses Konzert anfangen würde, wäre mir das zu langweilig. Den Begriff Langeweile kenn ich eigentlich nicht. Ich bräuchte eher den 48-Stunden-Tag. Ich habe so viele Sachen, die mich interessieren. Ich würde am liebsten drei, vier Bücher gleichzeitig lesen. Wenn ich nachts nicht schlafen kann, lese ich lieber als mich darüber zu ärgern, dass ich wach rumliege.
Was hast du zuletzt gelesen?
Eurotrash von Christian Kracht. Popliteratur. Und ich habe nochmal John Steinbeck vorgeholt. Das liest sich heute total anders als vor 40 Jahren. „Jenseits von Eden“ wirkt viel betulicher und man merkt, dass der Film ja nur das letzte Drittel des Buches zeigt. Dafür ist „Reise mit Charlie“ absolut bezaubernd. Das hat er nach seinem Schlaganfall geschrieben, 1960. Ich habe das nach 40 Jahren nochmal gelesen, nachdem mein Buch über „Bob Dylan“ fertig war, das ja auch ein Reisebericht ist. Und festgestellt, dass wie in meinem Buch auch bei Steinbeck vorne eine USA-Karte drin ist. Witzige Parallelen.
Über den Chlodwigplatz als deiner Homebase hast du 2012 einen Song geschrieben
„He benn ich jeboore, he wohr ich zohuss,/ Enn däm Aachhundertmeter-Radius…“ Wenn ich überlege, wo eigentlich mein Mittelpunkt der Welt ist, dann ist das der Chlodwigplatz. Da, wo früher die Marlboro-Uhr stand. Von da aus, vom Gemüseladen meiner Eltern, über dem wir auch gewohnt haben, bin ich ausgeschwärmt, die Welt zu entdecken. Was da alles passiert ist: sogar Rory Gallagher hat in dem 800 Meter Radius gespielt. In der Annostraße gab es früher ein Kino, das Metropol. Das hat der WDR dann als Studio übernommen und der Gallagher hat da seinen ersten Rockpalast aufgenommen. Die Kunsthochschule am Ubierring. Mein erstes Atelier hatte ich mit Christian Maiwurm direkt am Chlodwigplatz. Über ner Eisdiele an der Bushaltestelle in einem eigentlich abbruchreifen Haus, in dem die Wohnungen nicht vermietbar waren. Die waren nicht beheizbar, aber im Sommer konnte man darin malen. Später habe ich dann mit Schmal Boecker in der Teutoburger Straße gewohnt und gearbeitet. Zwirnerstraße, wo ich zur Schule gegangen bin. Dann der Hafen. Sogar mein erster Gymnasium-Versuch am Schillergymnasium, das damals im Humboldt aufgebaut wurde. 1961 war das.
Wieso der Hafen?
Der Rheinauhafen war ja noch in Betrieb. Mit einer Schranke abgesperrt. Da konnte man nicht einfach rein wie heute. Die Dosenmilch wurde damals mit dem Schiff angeliefert. Und mein Vater wusste ganz genau, wann die kamen. Er hat dann gewartet, bis ich aus der Schule kam und mich mitgenommen. Das war total abenteuerlich, rechts und links lagen die Schiffe, man fuhr über die Bahngleise rückwärts an eine Rampe, dann wurde eingeladen. Ich denke heute noch, wenn ich da bin, immer an diesen uralten Lieferwagen, den Opel P 4 meines Vaters, ein Vorkriegsmodell. Eigentlich eine Schrottmühle, aber hat noch funktioniert. Heute wäre das ein seltener Oldtimer.
Wie hat sich die Südstadt verändert?
Ich muss sagen, die Gentrifizierung ist nicht ganz so schlimm geworden, wie ich befürchtet habe, als ich „Südstadt verzäll nix“ geschrieben habe. Die Südstadt kriegt man irgendwie nicht schick getuned, was ich sehr angenehm finde. Natürlich sind die Mieten eskaliert, es gibt viele Eigentumswohnungen, die sich Normalverdiener nicht leisten können. Aber es sind immer noch viele einfache Leute da. Das ist nicht Schicki-Micki. Geh im Sommer die Severinstraße hoch, da laufen noch richtige Menschen rum. Nur im Rheinauhafen hat man es versäumt, dass da auch normal verdienende Leute leben können. Da hätte die Stadt mehr Einfluss nehmen müssen. Ich hoffe, das wiederholt sich nicht beim Umbau des Deutzer Hafens. Gut ist andererseits, dass man heute bis zum Dom am Rhein entlang spazieren kann.
Die Mittelmäßigkeit von Politik und Verwaltung in Köln sucht ihresgleichen. Hinzu kommt diese gleichgültige Hinnahme diese Zustands durch die Bürger. Annette Frier hat es Wachkoma genannt. War das früher anders?
Sehr schöner Begriff. (lacht) Die politisch bewegten Zeiten gingen von Ende der 60er bis in die 90er Jahre. Die, die sich damals engagiert haben, sind natürlich auch älter geworden. Dann arrangiert man sich irgendwann anstatt sich zu engagieren. Nun ist die kölsche Mentalität so eine, die nicht so schnell an die Decke geht. „Dann es dat halt esu“, solange es nicht allzu schlimm wird. Man ist gemütlich, was andereseits ja auch schön ist. Dieses Gemütliche, das Freundliche, das hast du in anderen Städten nicht so. Von gemütlich bis lethargisch ist kein großer Schritt.
Was würdest du dir für deine Stadt wünschen?
Ich werde das nicht mehr erleben, aber eine autofreie Innenstadt innerhalb der Ringe wäre großartig. Das ist schwer, denn man kann die Pferde ja nicht mitten im Fluß wechseln, wie Bob Dylan es mal in einem Song ausgedrückt hat. Es gibt alte Fotos, aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg, mit breiten Straßen und wenig Autos, wo die Ringe noch ein Boulevard sind. Sehr schön. Da müsste aber auch der Nahverkehr passen. Ich fahre gerne Straßenbahn, das ist für mich auch Material sammeln. Menschen beobachten. Ich mag die Kölner. Wenn sie abdrehen, muss ich ja nicht dabei sein. Und sie lassen mich in Ruhe, das ist sehr angenehm.