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Gift in Kölner ApothekeDer Test, der den Tod brachte – Chronologie der Ereignisse

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Heilig Geiste Apotheke WEISER

Die Heilig-Geist-Apotheke in Köln-Longerich.

  1. Die Einnahme eines Glukose-Gemischs, das mit einem giftigen Stoff versetzt war, haben eine Schwangere und ihr Kind nicht überlebt.
  2. Die Suche nach den Ursachen gestaltet sich schwierig.

Köln – Eine 28-jährige Kölnerin und ihr Säugling sind tot, weil die Mutter vorige Woche in einer Arztpraxis eine Traubenzuckerlösung (Glukose) eingenommen hat – ein Mittel, das beim Erkennen von Schwangerschaftsdiabetes helfen soll. Wie die Staatsanwaltschaft jetzt weiß, war die Lösung mit einem Narkosemittel versetzt, das – falsch eingenommen – eine tödliche Vergiftung verursachen kann. Die Gründe sind noch völlig unklar. Die Chronologie einer Woche, in der sich die Ereignisse überschlagen haben.

Dienstag, 17. September: In einer gynäkologischen Praxis in Longerich macht eine schwangere Frau einen Glukosetest – eine gängige Methode, die üblicherweise gleich in einer Arztpraxis angewandt wird, seltener auch zu Hause. Die Frau schluckt eine Traubenzuckerlösung, anschließend soll ihr Blutzucker gemessen werden. Doch nach den ersten Schlucken bricht sie die Einnahme ab: Die Lösung schmeckt nicht süßlich, wie es sein sollte, zudem breitet sich schnell ein Taubheitsgefühl im Körper aus. Die Frau wird behandelt und bleibt zur Beobachtung im Krankenhaus.

Donnerstag, 19. September: In derselben Praxis macht eine andere Schwangere den Glukosetest – ohne Beschwerden. Schließlich nimmt auch eine 28 Jahre alte Kölnerin die Traubenzuckerlösung ein. Sie kollabiert, muss reanimiert werden und wird im Heilig-Geist-Krankenhaus erstversorgt. Der Gynäkologe schaltet die Polizei ein. „Er berichtete uns von Auffälligkeiten bei zwei Glukose-Toleranztests“, sagt Andreas Koch, stellvertretender Kripo-Chef.

Derweil holen Ärzte per Kaiserschnitt den Säugling in der 25. Schwangerschaftswoche auf die Welt. Das Baby wird in die Kinderklinik an der Amsterdamer Straße verlegt, die Mutter in die Uniklinik. Dort stirbt sie Stunden später.

Freitag, 20. September: Auch für den Säugling kommt jede Hilfe zu spät, er stirbt in der Kinderklinik. Die Ermittler stehen vor einem Rätsel: Was verbindet die 28-Jährige mit der Frau, die zwei Tage vorher nach dem Glukosetest über Beschwerden klagte? Beide haben den Traubenzucker in derselben Apotheke gekauft, die gleich neben dem Krankenhaus liegt. Die Polizei informiert das Gesundheitsamt, das in Köln die Apothekenaufsicht führt, und bildet eine Mordkommission, die „MK Geist“.

Die Kripo ermittelt in der gynäkologischen Praxis, im Krankenhaus und in der Heilig-Geist-Apotheke, befragt Angestellte, sucht Zeugen – und stellt ein großes Behältnis mit dem Glukose-Pulver sicher. Dieses wird üblicherweise fertig angeliefert, in der Apotheke füllen die Mitarbeiter lediglich die kleinen Chargen für die Kunden ab. Das Pulver geht zur weiteren Analyse in die Rechtsmedizin nach Ehrenfeld.

Dort wird noch am selben Tag die Leiche der 28-Jährigen obduziert. Das Ergebnis: Die Frau starb an multiplem Organversagen. „Woran im Detail, das wussten wir zunächst nicht“, sagt Ermittler Andreas Koch. Der Verdacht: Das Pulver könnte verunreinigt gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft leitet ein Todesermittlungsverfahren ein. Untersucht werden soll, ob ein Fremdverschulden vorliegt – das ist üblich bei ungeklärten Todesfällen.

Montag, 23. September: Um 15.37 Uhr informiert die Rechtsmedizin die Polizei über das Ergebnis der chemisch-toxikologischen Untersuchung. Demzufolge war in dem sichergestellten Eimer nicht nur harmloser Traubenzucker. „In dem Behältnis wurde ein toxischer Stoff gefunden“, sagt Koch. Offenbar ein Narkosemittel, das in vielen Apotheken vorrätig, aber nicht frei verkäuflich ist – und das bei falscher Einnahme und zu hoher Dosierung eine tödliche Vergiftung verursachen kann. Wie kam es dort hinein?

Erneut wird die Apotheke durchsucht. Gibt es noch irgendwo Überreste von der vergifteten Glukose – nun, da erwiesen ist, dass das Mittel den Tod zweier Menschen verursacht hat?

Das Problem: Da der Stoff rezeptfrei erhältlich ist, muss auch nicht dokumentiert werden, an welche Kunden welche Mengen abgegeben werden. Als erste Maßnahme erteilt das Gesundheitsamt der Heilig-Geist-Apotheke eine Verfügung: Bis auf weiteres ist es ihr untersagt, eigenproduzierte Medikamente zu vertreiben, auch selbst abgefüllte Stoffe.

Eilig kommen Vertreter von Stadt und Polizei zusammen. Sie beraten sich. Was ist zu tun? Wie kann verhindert werden, dass weitere Menschen die gefährliche Substanz einnehmen? Wie viel davon ist überhaupt in Umlauf? Und wie lässt sich das in Erfahrung bringen? Es geht jetzt darum, Menschenleben zu retten.

Um 19.51 Uhr verschickt die Polizei eine Pressemeldung: „Warnung vor tödlichem Stoff aus Longericher Apotheke“. In der Mitteilung werden ausdrücklich der Name und die Adresse der Apotheke in der Graseggerstraße genannt und Kunden gewarnt, dort gekaufte Glukose-Präparate einzunehmen. Wer im Besitz eines solchen ist, wird gebeten, das Pulver bei der nächsten Polizeiwache abzugeben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt konkret wegen eines Tötungsdelikts. „In Betracht kommt alles von fahrlässiger Tötung bis Mord“, sagt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer.

Dienstag, 24. September: Im Rechtsmedizinischen Institut wird der verstorbene Säugling obduziert. Das Ergebnis steht noch aus.

Am Mittag informieren Stadt, Polizei und Staatsanwaltschaft auf einer gemeinsamen Pressekonferenz über die Hintergründe des Falls. „Wir sind erschüttert und drücken unsere große Anteilnahme für die Familie aus“, sagt Gesundheitsdezernent Harald Rau.

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Die Apotheke am Heilig-Geist-Krankenhaus hat unterdessen weiterhin geöffnet. Einer Mitarbeiterin im Verkaufsraum steht der Schock über die Geschehnisse ins Gesicht geschrieben: „Wir sind alle entsetzt“, sagt sie. Alle Mitarbeiter werden in den kommenden Tagen noch ausführlich von der Polizei befragt – als Zeugen, wie ein Polizeisprecher betont, nicht als Beschuldigte.