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Achtköpfige FamilieAuf der Suche nach einer menschenwürdigen Wohnung in Köln

Lesezeit 8 Minuten

Sebastian und Constanta Busuioc suchen dringend eine Wohnung für sich und ihre sechs Kinder.

Köln-Nippes – Noch eine Woche bis zur Räumung. Am 26. Januar 2017 wird die Familie Busuioc ihre Wohnung in der Nordstraße in Köln-Nippes verlassen müssen. Falls kein Wunder geschieht. Falls das Amt für Soziales und Senioren die Wohnung nicht beschlagnahmt und den Busuiocs ein paar Wochen Luft verschafft.

Es wäre bereits das dritte Mal.

„Was sollen wir tun?“ sagt Sebastian Busuioc. Die Frage ist rhetorisch gemeint. Er hockt auf der Kante eines schmalen Sofas. Neben ihm sitzt Ehefrau Constanta. Sie hat neun Kinder geboren, die sechs Jüngsten leben bei den Eltern in Köln. In einer Ecke bollert ein Gasofen. Durch das marode Treppenhaus pfeift der Wind. Der Strom ist schon lange abgeschaltet.

Krisensitzung. Mal wieder. Die Zeit drängt. Drei Familienhelfer vom ISS-Netzwerk, unter ihnen eine Dolmetscherin, sind an diesem Nachmittag gekommen. Das Kölner Jugendamt hat den gemeinnützigen Träger „Interkultureller Sozialer Service“ im vergangenen Jahr eingeschaltet, damit der dem Ehepaar bei Behördengängen und Schulproblemen zur Seite steht. Die Reporterin sitzt mit am Tisch, der Fotograf. Sie alle wollen helfen, acht Menschen eine menschenwürdige Wohnung zu beschaffen. Und fragen sich zunehmend, wie das wohl gehen soll.

Said Boluri (l.) und Siyamak Khaledi-Paveh vom ISS-Netzwerk.

2015 wurde der Familie wegen Mietschulden gekündigt. Die Rückstände beliefen sich auf knapp 3500 Euro. Anfang 2016 klagte der Vermieter auf Räumung der Wohnung, im Mai erging das Räumungsurteil. Kurz darauf beschlagnahmte das Amt für Soziales und Senioren, Fachstelle Wohnen, die Wohnung ein erstes Mal. Eine auf zwölf Wochen befristete Notlösung, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Seitdem ist das Ehepaar auf der Suche nach einem neuen Domizil für sich und seine sechs Kinder. Bislang ohne Erfolg.

„Uns will hier keiner“

Sebastian und Constanta Busuioc sind Roma. Das sei eines der Probleme, sagt Busuioc. Vielleicht ist es sogar das größte. „Uns will hier keiner, obwohl wir EU-Bürger sind. Wir versuchen ja, uns zu integrieren. Unsere Kinder gehen in die Schule. Wir gehen in die Schule. Aber man akzeptiert uns nicht.“ Neu ist diese Erfahrung nicht für die Familie. In Rumänien sei das nicht anders gewesen.

2010 zieht Constanta Busuioc mit sechs Kindern nach Köln und findet bei Bekannten vorübergehend eine Bleibe. Die Jüngste ist fünf Monate alt, das Häuschen in Rumänien verkauft. Der Ehemann soll später nachkommen. Hinter der Familie liegen harte Jahre. „Wir haben in Rumänien keine Arbeit mehr gefunden und sind deswegen nach Polen und Italien gegangen“, umreißt Busuioc die Lage. Doch auch dort sind die Stellen für Ungelernte mit Sprachproblemen knapp. Der neunfache Familienvater jobbt auf dem Bau, in der Fabrik und in den Weinfeldern. Er stapelt Kisten und schneidet anderen Menschen die Haare. Irgendwann ist auch damit Schluss.

Im Oktober 2010 zieht Constanta in die Nordstraße. Ein Bekannter hat ihr die Wohnung vermittelt. Drei Zimmer, ein Bad nur mit Waschbecken und Toilette, keine Heizung. In den Ecken hockt der Schimmel. Nachts kriechen die Kakerlaken aus den Ritzen. Im Keller gebe es Ratten, sagt Busuioc. Erst kürzlich hat er wieder die Wände gestrichen, um den Schimmelbefall einzudämmen. Die Miete beträgt 380 Euro im Monat.

Unbezahlte Rechnungen, Kakerlaken in der Wohnung und das Jugendamt vor der Tür

Constanta Busuioc richtet sich dennoch ein in der maroden Wohnung. Sie hat nie gelernt, für ihre Belange zu kämpfen. Die heute 39-Jährige ist Analphabetin, auch das mag vieles erklären in dieser Geschichte. Nur ein Jahr, sagt sie, sei sie in Rumänien zur Schule gegangen, keine Seltenheit in einem Land, in dem die Roma nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International bis heute in separaten Klassen unterrichtet werden. Das erste Kind kam, als sie noch keine 16 Jahre alt war.

Verzweifelt versucht sie nach ihrer Ankunft in Deutschland, sich und die Kinder über Wasser zu halten. Die Älteren gehen inzwischen zur Schule. Doch irgendwann sind die mentalen Ressourcen aufgebraucht: Constanta Busuioc stürzt in eine Depression. Einer der Söhne ist vor dem Haus von einem Auto angefahren worden: Beinbruch. Sie ist in höchster Sorge um das Kind. Versäumt über Monate, Miete zu zahlen. Gerät mit der Stromrechnung in Rückstand.

2013 zieht auch Sebastian Busuioc nach Köln. Eine erste Stelle verliert er nach wenigen Wochen. „Kein Deutsch“, umreißt er den Kern des Problems. Die Familie bezieht Kindergeld, ein neuer Job findet sich nicht. Das Geld vom Verkauf des Hauses in Rumänien ist längst aufgebraucht. Dass Menschen in Not in Deutschland ein Anrecht auf finanzielle Unterstützung haben, wissen Sebastian und Constanta Busuioc nicht. Die Rechnungen und Mahnungen, die immer häufiger ihren Weg in die Nordstraße finden, legen sie ungeöffnet beiseite. Sie können sie nicht lesen. „Wir haben jemanden gesucht, der uns bei der Post und den Behörden hilft“, sagt Busuioc. „Außerdem haben wir gehofft, genug Schmerzensgeld für den Unfall unseres Sohnes zu bekommen, um die Schulden zu bezahlen.“ Eine vergebliche Hoffnung.

Durch das marode Treppenhaus pfeift der Wind.

2016 eskaliert die Situation. Die Schulden bei dem Stromanbieter belaufen sich inzwischen auf unglaubliche 11 000 Euro. Ein Mobilfunkunternehmen meldet ebenfalls finanzielle Ansprüche an. Busuioc hat einen Vertrag unterschrieben, den er nicht erfüllen kann. Die Räumungsklage läuft. Als sich in der Schultasche des neunjährigen Florian (Name geändert) Kakerlaken finden, alarmiert die Schule das Kölner Jugendamt.

„Wir sind eingeschaltet worden, weil wir eine Gefährdungsmeldung hatten“, erinnert sich Jugendamtsleiter Klaus-Peter Völlmecke an den Fall. „In der Wohnung herrschten prekäre Zustände, die für Kinder nicht zuträglich sind.“ Ein Eindruck, den Sozialarbeiter Markus Gross nur bestätigen kann: „Die Wohnsituation war und ist miserabel.“ Der Vermieter, so das Jugendamt, habe sich diesbezüglich „nicht gesprächsbereit“ gezeigt. Man habe damals durchaus erwogen, die Kinder in Obhut zu nehmen, davon jedoch schnell wieder Abstand genommen, sagt Völlmecke. „Die Kinder wären auf unterschiedliche Einrichtungen verteilt, die Familie auseinandergerissen worden.“ Schlimmer noch: „Perspektivisch wäre keine Wiederzusammenführung in einem adäquaten Wohnraum in Köln möglich gewesen.“ Also habe man sich entschlossen abzuwarten. „Die Wohnung muss ohnehin geräumt werden. Wir haben die Familie erst einmal infrastrukturell durch ambulante Hilfe an das System angebunden.“

Strom- und Mobilfunkanbieter lassen sich auf einen Vergleich ein

„Das größte Problem ist, dass die Familie gar nicht weiß, welche Rechte sie hat“, sagt Said Boluri von ISS-Netzwerk. Ein- bis zweimal in der Woche besucht ein Familienhelfer das Ehepaar und seine Kinder und versucht, Ordnung in deren von Überforderung geprägtes Alltagsleben zu bringen. „Es ist unsere Aufgabe, ihnen zu sagen, welche Rechte, aber auch, welche Pflichten sie haben: Wenn ihr eine Wohnung habt, dann müsst ihr die auch bezahlen. Und wenn Schulden da sind, muss man zur Schuldnerberatung gehen und gucken, wie man damit umgeht.“

Vieles hat sich zum Guten gewendet in den vergangenen Monaten. Mit dem Strom- und dem Mobilfunkanbieter kam man zu einem Vergleich. Die Familie bezieht Arbeitslosengeld II und ist in Besitz eines Wohnberechtigungsscheins mit hoher Dringlichkeitsstufe. Das Ehepaar besucht einen Sprachkurs. Busuioc macht den Führerschein, was seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern soll. Er sei dankbar für die Hilfe durch das Jugendamt und die Familienhelfer, sagt er. „Alles ist besser.“

Bei Wohnungsbesichtigungen wird die Familie angepöbelt

Allein eine neue Wohnung hat sich nicht gefunden. Warum das so ist, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. „Weil sich in Köln bislang trotz unserer Bemühungen nichts Adäquates für eine achtköpfige Familie gefunden hat“, sagt Dirk Schumacher, Abteilungsleiter der Fachstelle Wohnen. „Weil uns niemand will“, sagt Busuioc.

Zwei Versuche der Stadt Köln, die Familie in Belegrechtswohnungen der GAG Immobilien AG unterzubringen, sind bereits gescheitert. Sie habe mit ihrer Tochter im vergangenen Jahr eine Adresse in Chorweiler aufgesucht, die das Amt genannt habe, erzählt Constanta Busuioc. „Ich wollte mir schon mal die Umgebung ansehen. Jemand kam aus dem Haus und hat uns beschimpft. Wir hätten hier nichts zu suchen und sollten wieder nach Hause gehen.“ Eine zweite Wohnungsbesichtigung wird von der GAG bereits im Vorfeld mit der Begründung abgesagt, es gebe Aggressivitäten.

Jörg Fleischer, Pressesprecher der GAG, bestätigt, dass es bei dem Besuch in Chorweiler zu Auseinandersetzungen gekommen sei. „In dem Haus lebt eine Sintifamilie“, so seine Erklärung. „Zwischen Sinti und Roma scheint es grundsätzlich immer irgendwelche Probleme zu geben.“ Eine Sozialarbeiterin der GAG habe zudem die Familie zu Haus besucht und anschließend deren Wohnverhalten bemängelt.

Wenn Obdachlosigkeit droht

Die Fachstelle Wohnen hat die Aufgabe, Wohnungslosigkeit zu verhindern und zu beseitigen. Sie wird aktiv, wenn Mieter mit Zahlungen im Rückstand sind, die Wohnung gekündigt wurde oder ein Räumungstitel besteht. Bei Mietrückständen wird versucht, das Mietverhältnis zu retten. Von Obdachlosigkeit bedroht waren 2016 in Köln 5872 Menschen. 2014 waren es 5909, im Folgejahr 6052 Menschen. Wenn die Räumung droht, kann die Wohnung beschlagnahmt und der Mieter wieder eingewiesen werden. 2014 war das in Köln 353 Mal der Fall, 2015 waren es 320, 2016 nur noch 312 Fälle. Bei Verlust der Wohnung wird Einzelpersonen ein Zimmer in einem Einfachhotel angeboten. Familien versucht die Fachstelle eine Wohnung oder eine andere Unterkunft zu vermitteln. Letztes Mittel ist die Wiedereinweisung. (PP)

Bei der zweiten Wohnung, die von der Stadt vorgeschlagen worden sei, habe die gleiche Problematik bestanden. „In dem Haus leben eine oder mehrere Sintifamilien. Also wurde gesagt: Ne, das hat auch da keinen Zweck.“ Generell nehme die GAG durchaus Sinti und Roma als Mieter. „Das ist kein Hinderungsgrund.“ Nur eben nicht zusammen in einem Haus, „wenn dadurch im täglichen Zusammenleben Konflikte entstehen“. Schumacher von der Fachstelle Wohnen kennt das Problem. Er nennt es „den Faktor Mensch“. Für das Amt sei es nicht immer einfach, solche Animositäten bei den Angeboten zu berücksichtigen.

Und jetzt? Man bemühe sich um eine Unterkunft in einem städtischen Sozialhaus, versichert Schumacher. „Niemand will, dass eine achtköpfige Familie auf der Straße steht.“ Doch es gebe keine Kapazitäten. Das Amt, so viel steht zwei Tage vor der Räumung fest, wird die Wohnung der Familie Busuioc ein drittes Mal beschlagnahmen.

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