Der Kölner Mieterverein spricht von einem „selten erlebten Grad von Unverfrorenheit“.
Neuer Eigentümer zieht Kündigung vorKrebskranke Kölnerin (84) soll schon zum Jahresende ausziehen
„Wo soll ich hin, wenn ich hier raus muss?“ Diese Frage treibt Luise Rühl-Schlömer um, seit sie am 14. Mai 2023 vom neuen Eigentümer die „fristgerechte“ Kündigung ihrer Wohnung in Nippes für den 31. Dezember 2024 zugestellt bekam. Luise Rühl-Schlömer ist 84 Jahre alt, an Krebs erkrankt und eingeschränkt mobil. Vor 44 Jahren hat sie eine Wohnung des Mietshauses bezogen – seit der neue Eigentümer im Frühjahr das Regiment übernommen hat, haben die meisten der acht Mietparteien Abmahnungen und/oder Kündigungen bekommen. Ein Mieter erhielt gleich mehrere Abmahnungen an einem Tag. Die Wohngemeinschaft fühlt sich „terrorisiert“.
Kölnerin soll nun schon Ende 2023 ausziehen
Jetzt hat Luise Rühl-Schlömer eine neue Kündigung vom Eigentümer erhalten: Sie soll nun nicht mehr in eineinhalb Jahren, sondern bereits zum 31. Dezember dieses Jahres ihre Wohnung räumen, heißt es in der neuen Kündigung, die Rechtschreib- und Grammatikfehler enthält. Im Zeitmietvertrag (von 1978) sei eine Kündigungsfrist von sechs Monaten festgesetzt worden. Für den Fall, dass sie die Wohnung nicht rechtzeitig verlasse, kündigt der Eigentümer eine Räumungsklage an. Mit freundlichen Grüßen.
„Action im Leben ist ja ganz schön – aber auf diese Art von Action hätte ich gern verzichtet“, sagt Luise Rühl-Schlömer und lacht. „Ich hatte in meinem Leben genug Action und wollte jetzt eigentlich mal meine Ruhe haben. Aber schauen wir einfach, was passiert.“
Nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ am 19. Juni über den Fall berichtet hatte, wurden vor gut einem Jahr aufgestellte Gerüste vor den Balkonen auf der Hinterseite des Hauses tags darauf abgebaut. Der mit Bauschutt zugemüllte und kaum noch zugängliche Garten wird seit Dienstag dieser Woche entrümpelt. „Einige der Gründe für eine Mietminderung, die viele der Mieter in Anspruch nehmen, sind inzwischen weggefallen“, sagt Mieter Clemens Erbach. „Aber längst nicht alle.“
Auf eine schriftliche Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatte der Eigentümer nicht geantwortet. Am Telefon hatte er auf seine Persönlichkeitsrechte verwiesen und mit einem Anwalt gedroht.
Stromleitungen nicht abgedeckt, Drähte ragen aus der Wand
Bis heute sind Stromleitungen im Treppenhaus und im Keller nicht abgedeckt, ragen blanke Kupferdrähte aus der Wand. Mieter ringen auf bürokratischem Wege um dringend nötige Sanierungen in ihren Wohnungen. Die Kommunikation mit dem Eigentümer bleibe „unterkühlt bis unfreundlich“. Der Umgang mit Luise Rühl-Schlömer „offenbart menschliche Abgründe“, sagt Clemens Erbach.
Für den Kölner Mieterverein sind die Schriftsätze „mit heißer Nadel gestrickt worden“, der Eigentümer versuche, „eine Hausgemeinschaft einzuschüchtern, sie langsam mürbe zu machen, um das Haus zu entmieten“, sagt deren Sprecher Hans Jörg Depel dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er rät den Mieterinnen und Mietern, die Kündigungen „ins Leere laufen zu lassen und die Ruhe zu bewahren, auch wenn das schwerfällt“.
Luise Rühl-Schlömer habe einen alten Kettenmietvertrag, der zwar gültig sei, in dieser Form aber nicht gekündigt werden könne. Einer alten, kranken Frau den Mietvertrag nun noch ein Jahr früher zu kündigen, bedeute „einen Grad von Unverfrorenheit, den auch wir beim Mieterverein zum Glück selten erleben“, so Depel. Dass der Eigentümer des Hauses für die Immobilienverwaltung eines öffentlichen Trägers arbeitet, sei „besonders bizarr“.
Gelegentlich passiere es in ähnlich gelagerten Fällen auch, dass Eigentümer selbst irgendwann mürbe werden, weil die Hausgemeinschaft hartnäckig ihre Rechte verteidige, sagt Depel. „Das gab es mal vor ein paar Jahren bei einem ähnlich gelagerten Fall in der Innenstadt.“ Als der Eigentümer es nicht schaffte, die Mieterinnen und Mieter rauszubekommen, verkaufte er das Haus wieder – weil es nicht die erhoffte Rendite brachte. Er sei gespannt, wie der Fall in Nippes ende. „Belastend ist es für die Mieter auf jeden Fall.“
Vor allem für die 84-jährige Luise Rühl-Schlömer, die 79-jährige Anita Berkule und Renate Gerstmann, die 1969 mit ihrem Mann und der damals zweijährigen Tochter in das Haus einzog. Gerstmann hat einen ähnlich gelagerten Fall mit einem anderen Eigentümer bereits erlebt. „Am Ende haben wir gewonnen und konnten bleiben“, sagt sie. „Ich hoffe, dass irgendwann wieder Ruhe einkehrt“, sagt Luise Rühl-Schlömer. Action wolle sie zwar nicht mehr, „aber wenn es nicht ohne diese Action geht, dann ist das eben so“.