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Abmahnungen, KündigungenMieter in Nippes fühlen sich von neuem Eigentümer „terrorisiert“

Lesezeit 5 Minuten
Porträt der 84-jährigen Luise Rühl-Schlömer, auf ihrem Balkon, davor ein Baugerüst

Die 84-jährige Luise Rühl-Schlömer erhielt nach 44 Jahren in dem Haus die Kündigung. Vor einigen Jahren erkrankte sie schwer an Krebs.

Seit der neue Eigentümer sie mit Abmahnungen und Kündigungen überzieht, ist eine Hausgemeinschaft in Nippes in Sorge. Ein Ortsbesuch.

Am Wohnzimmertisch von Clemens Erbach sitzt eine Hausgemeinschaft, die in den vergangenen Monaten zur Schicksalsgemeinschaft geworden ist. Da ist Luise Rühl-Schlömer, die seit 44 Jahren in dem Mietshaus in Nippes wohnt und vor einigen Wochen eine „fristgerechte“ Kündigung erhalten hat. Bis Ende 2024 soll sie ausziehen.

„Aber wo soll ich hin? Ich habe nicht viel und es ist ja überall so teuer geworden“, sagt die 84-Jährige, die in den vergangenen Jahren schwer an Krebs erkrankt ist. „Es ist menschlich nicht in Ordnung, so mit Mietern umzugehen, um ein Haus leer zu kriegen“, sagt die 79-jährige Anita Berkule. „Wir haben jetzt ständig Angst, bald hier raus zu müssen.“

Ein Mieter erhielt mehrere Abmahnungen an einem Tag

Halil Sojeva zeigt Briefe, die er mehr als regelmäßig vom neuen Eigentümer erhalte: Zehn Abmahnungen und drei Kündigungen allein zwischen Anfang April und Ende Mai. Einmal gleich mehrere an einem Tag. Später wird er seine Wohnung zeigen, den breitflächigen Schimmel an der Küchendecke, „den der Eigentümer nur überstreichen wollte“, den entkernten Balkon. „Der Mann will uns so lange terrorisieren, bis wir ausziehen, aber das werden wir nicht tun“, sagt Sojeva, seit 18 Jahren Mieter. „Wir werden uns wehren.“ Die anderen in der Runde nicken. „Wir werden ungemütlich bleiben“, sagt Clemens Erbach, seit 20 Jahren im Haus. „Aber es ist natürlich für alle sehr nervenaufreibend. Vor allem für unsere älteren Damen.“

Halil Sojeva und seine Tochter Melisa im Porträt

Halil Sojeva und seine Tochter Melisa. Sojeva sagt, er habe zehn Abmahnungen und drei Kündigungen binnen zwei Monaten erhalten.

Viele Mieterinnen und Mieter haben bereits die Miete gemindert. Weil die Gerüste die Wohnungen über ein Jahr verdunkelt haben, sie die Balkone nicht nutzen können und den Garten. „Der nächste Schritt wäre eine Mängelbeseitigungsklage“, sagt Hans Jörg Depel vom Kölner Mieterverein. Das Vorgehen des Eigentümers hält er für „besonders rücksichtslos, aber leider nicht völlig exotisch“.

Immobilienbesitzer, „die in Goldgräberstimmung sind und ohne Rücksicht auf Mieterinnen und Mieter Geld machen wollen, erleben wir leider immer wieder“. Besonders pikant ist in diesem Fall, dass der private Eigentümer des Hauses beruflich für die Immobilienverwaltung eines öffentlichen Trägers arbeitet. „Das ist schon sehr ungewöhnlich“, sagt Depel.

Auf einen Anruf reagiert der Eigentümer unwirsch und droht mit seinem Anwalt

Eine Mail mit Fragen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ lässt der Eigentümer unbeantwortet. Auf einen Anruf reagiert er unwirsch mit der Frage, woher der Reporter seine Nummer habe. „Denken Sie an meine Persönlichkeitsrechte“, mahnt er, und droht mit seinem Anwalt. Die Fragen habe er erhalten, werde aber nicht darauf antworten.

Porträt von Renate Gerstmann

Renate Gerstmann lebt seit 1969 als Mieterin in dem Haus

Zu weiteren Fragen – etwa dazu, ob er bei Bewohnern geklingelt und beim Eintritt ins Treppenhaus gerufen habe „Die Post“, wie sich eine Bewohnerin erinnert, oder eine Mieterin ohne Vorankündigung um Einlass in deren Wohnung gebeten und dort indiskrete Fragen gestellt habe („Haben Sie etwas zu verbergen?“, „Leben Sie in einer so großen Wohnung allein?“) kommt es nicht. Der Mann legt auf. Die Bewohnerinnen bestätigen die Aussagen – samt eidesstattlicher Versicherung. Sämtliche Kündigungen und Abmahnungen zeigen sie vor. Vom Müll im Garten, dem Zustand der Balkone, Schimmel an Wänden, nicht abgedeckten Kupferkabeln, haben sie Fotos gemacht.

Nur die Ratten fühlen sich in diesem Garten inzwischen noch wohl
Mieter Clemens Erbach

Die Hinterseite des Hauses war seit mehr als einem Jahr eingerüstet, an den nicht begehbaren Balkonen sei nicht gearbeitet worden, sagen die Bewohner übereinstimmend. Einen Tag, nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Eigentümer anrief, wurden die Gerüste abgebaut.

Der Garten, eigentlich ein Kleinod, in dem früher viele Sommerfeste gefeiert wurden, ist kaum begehbar: Vor der Tür stapeln sich Bauschutt, Müllsäcke, ein alter Herd, eine Toilettenschüssel, Holzsparren. „Nur die Ratten fühlen sich in diesem Garten inzwischen noch wohl“, sagt Clemens Erbach.

Der Garten ist mit Bauschutt zugemüllt.

Der Garten ist mit Bauschutt zugemüllt.

Der neue Eigentümer kenne sich offenbar „mit allen perfiden Methoden aus, um ein Haus zu entmieten“, sagt Erbach. Als da wären: „Abmahnungen, Drohungen, Anwaltsschreiben, Mieterhöhungen, Kündigungen, Räumungsklagen – ohne Rücksicht auf die Menschen, die hier seit vielen Jahren leben – und die zum Teil gesundheitlich angeschlagen sind.“

Wenn die Sicherheit im Haus unmittelbar gefährdet ist, können die Mieter auch die Bauaufsicht einschalten
Hans Jörg Depel, Kölner Mieterverein

Halil Sojeva hat auch Abmahnungen erhalten, unter anderem, weil er sein Kellerabteil baulich abgetrennt habe und dort private Gegenstände gelagert waren. Eine andere Abmahnung sei eingetrudelt, weil etwas im Hausflur abgestellt worden war. Andererseits kümmert sich der neue Eigentümer offenbar nicht ausreichend darum, den Garten begehbar zu machen oder die Elektrik vorschriftsmäßig zu sichern: Sowohl im Keller wie im Hausflur sind Kabel nicht abgedeckt, ragen zum Teil unverkleidete Kupferdrähte aus der Wand.

„Wenn die Sicherheit im Haus unmittelbar gefährdet ist, können die Mieter auch die Bauaufsicht einschalten“, rät Hans Jörg Depel. Wenn notwendige Reparaturen trotz mehrfacher Abmahnung nicht geleistet würden, könnten selbst Handwerker beauftragt und dem Eigentümer die Kosten in Rechnung gestellt werden.

Der Mieterverein sagt, der Eigentümer versuche „eine Hausgemeinschaft einzuschüchtern“

Die Kündigungen seien „ganz offensichtlich mit heißer Nadel gestrickt worden. Am besten ist es oft, sie einfach ins Leere laufen zu lassen, rechtlich sind sie nicht haltbar“, so Depel. „Hier versucht ganz offensichtlich ein Eigentümer, eine Hausgemeinschaft einzuschüchtern, um das Haus schnellstmöglich zu entmieten.“

Mieter Clemens Erbach auf seinem maroden Balkon

Mieter Clemens Erbach auf seinem maroden Balkon

Für Angst und Unruhe zu sorgen, hat der Eigentümer längst geschafft. „Ich habe schon seit langem jeden Abend die Sorge, dass ich irgendwann raus muss und dann nicht weiß, wo ich bleibe“, sagt Anita Berkule, die seit 38 Jahren im Haus wohnt. „Es ist nicht schön, mit so einem Gefühl zu leben.“

Renate Gerstmann, die 1969 mit ihrem Mann und der damals zweijährigen Tochter in das Haus einzog und längst allein dort lebt, versucht, ihre Nachbarin zu beruhigen: „Wir hatten vor vielen Jahren mit einem anderen Eigentümer schonmal Stress, der auf Eigenbedarf geklagt hatte. Wir haben damals gewonnen und sind geblieben. Das schaffen wir auch dieses Mal.“