Kitas fehlt Personal, allein in Köln sind 200 Fachkräfte-Stellen vakant. Bei einem Aktionstag in Düsseldorf demonstrieren Träger, Eltern, Erzieher: Wie NRW-Familienministerin Josefine Pauls Entlastung plant.
Personalmangel in der KinderbetreuungKönnen Quereinsteiger die Kitas retten? Stadt Köln ist skeptisch
Annika Steinforth und ihr Mann haben vier Kinder und damit viele Jahre Kindergarten-Erfahrung. Ihr jüngster Sohn absolviert gerade sein letztes Kita-Jahr in einer städtischen Einrichtung in Köln-Ehrenfeld. „Zum Glück“, sagt seine Mutter, „obwohl das sehr schade ist, so zu denken, denn die Kita-Jahre sollen ja eigentlich eine unbeschwerte, fröhliche Zeit sein.“ Das waren sie für die Steinforths aber genauso wenig wie für viele andere Kölner Familien. 200 Fachkräfte-Stellen seien aktuell unbesetzt, teilte die Stadt auf Anfrage mit. Das schlägt sich nieder auf die Stimmung in den Kitas, auf die Betreuungsqualität, auf die Zuverlässigkeit, die Eltern so dringend brauchen, um selbst ihre Jobs erledigen zu können.
Dem jüngsten Steinforth kommen ganz selbstverständlich Begriffe über die Lippen, die er gar nicht kennen sollte: Personalmangel, Streik, Corona. Und seine Eltern verbinden die Kita mit Unsicherheit, blank liegenden Nerven und dem Gefühl, ihre Kinder in eine „Aufbewahrungsanstalt“ zu bringen. Selbst darüber waren sie dann aber froh, denn zuletzt begann für sie wochenlang jeden Morgen das große Zittern. Erst um acht Uhr, zum ohnehin schon um eine halbe Stunde verspäteten Kitabeginn, gab es eine Nachricht im Elternchat, welche Gruppen an diesem Tag offen waren und welche geschlossen. „Wir saßen vor unseren Handys und dachten immer nur: Hoffentlich trifft es uns nicht“, erzählt Annika Steinforth.
Quereinstiegs-Offensive des Landes stößt bei der Stadt Köln auf Skepsis
Sie ist Heilpraktikerin, ihr Mann hat eine Internet-Agentur, beide arbeiten selbstständig. „Aktuell ist etwas Ruhe eingekehrt, aber es war immer wieder ein Drahtseilakt“, sagt die Mutter. Sie fiebert dem Sommer entgegen, wenn alle Kinder zur Schule gehen, wo die Betreuung ihrer Erfahrung nach viel zuverlässiger funktioniert. Und Steinforth hat jetzt schon Mitleid mit künftigen Eltern-Generationen: „Es wird ja so schnell nicht besser werden.“
Kinder- und Jugendministerin Josefine Paul verspricht aktuell aber Abhilfe: In einer Pressemitteilung der Landesregierung NRW wird der Qualifizierte Quereinstieg in die Kinderbetreuung (QiK) als eine „neue und vielversprechende Maßnahme“ gepriesen.
Quereinsteiger sollen nach einer Anfangsqualifikation schnell in den Kindertageseinrichtungen zum Einsatz kommen und für zwei Jahre berufsbegleitend weitere Fortbildungen absolvieren, um anschließend eine verkürzte Kinderpflege-Ausbildung aufzunehmen. An der Pilotphase ab dem kommenden Kita-Jahr nehmen die Stadt Aachen, der Rheinisch-Bergische Kreis, der Kreis Steinfurt sowie die Stadt Mönchengladbach teil.
Und Köln? Ist weder dabei noch besonders begeistert von der Maßnahme. Sie sei zum einen zu teuer und zum anderen nicht geeignet, um Personal für die 200 unbesetzten Fachkräfte-Stellen zu generieren, so eine Sprecherin der Stadt. Für den Qualifizierungszeitraum von zwei Jahren fielen für die Kommunen nicht refinanzierbare Kosten in Höhe von mindestens 50.000 Euro pro Teilnehmerin oder Teilnehmer an. Bei der Durchführung eines Modelllaufs in einer Klassenstärke mit 20 Personen beliefen sich die Kosten für Köln in den zwei Jahren auf mindestens eine Million Euro.
„Unter den vorliegenden finanziellen Rahmenbedingungen sieht die Verwaltung aktuell keine Möglichkeit, eine Teilnahme am Pilotprojekt QiK zu realisieren“, erklärte die Sprecherin der Stadt. Man begrüße aber „ausdrücklich die Bemühungen des Landes, kommunalen und freien Trägern Werkzeuge an die Hand zu geben, um dem Fachkräftemangel zu begegnen“.
Jene Fachkräfte, an denen es an allen Ecken und Enden mangelt, also Erzieher und Sozialarbeiter, werden mit dem neuen QiK-Modell allerdings nicht ausgebildet, sondern Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger. Sie sind als Ergänzungskräfte nicht mehr wegzudenken in den Kitas, ersetzten aber eben keine voll ausgebildeten Erzieher. Sie dürfen eine Gruppe nicht allein beaufsichtigen und sorgen somit nicht für Entlastung, wenn aufgrund von Personalmangel eine Gruppenschließung droht. An den städtischen Kitas in Köln gibt es derzeit nur 22 freie Stellen in der Kinderpflege – und diese befinden sich nach Angaben der Stadt in laufenden Nachbesetzungsverfahren.
Mehr als 30.000 Unterschriften für Forderungen des Kita-Bündnisses
Die prekäre Situation in den Kitas setzt nicht nur die Stadt Köln, sondern auch die schwarz-grüne Landesregierung zunehmend unter Druck. Bei einem Aktionstag des Kita-Bündnis NRW, einem Zusammenschluss von sechs freien Trägern und der Bildungsgewerkschaft GEW, protestierten Erzieher und Eltern am Mittwoch in Düsseldorf gemeinsam gegen den Personalmangel und Notbetreuung. „Ich bin keine Basteltante, ich bin Bildungsbeauftragte“, stand auf einer Tafel, die die Erzieherin Magdalene Trybus aus Essen mitgebracht hatte.
Mehr als 30.000 Menschen haben die Forderungen des Kita-Bündnisses unterschrieben. Jutta Thomas, Regionalleiterin der Stepke-Kids-Kitas , erklärt, wie die Unterfinanzierung des Betreuungssystems den Einrichtungen die Luft abdrückt. „Wenn die Sach- und Personalkosten steigen, müssen auch die Pauschalen angepasst werden. Die nächste Erhöhung soll aber erst zum August 2024 kommen, obwohl viele freie Träger bereits seit Sommer letzten Jahres die höheren Tarife zahlen müssen.“
Kölner Fröbel-Geschäftsleiter: „Wenn wir nur Notbetreuung anbieten, stellt das berufstätige Eltern vor enorme Herausforderungen“
Arnd Kortwig Geschäftsleiter von 13 Fröbel-Kitas in der Region Köln, schätzt, dass den Kitas rund 400 Millionen Euro fehlen. „Wenn es durch Krankheiten zu Personalengpässen kommt, können wir oft nur eine Notbetreuung anbieten“, so Kortwig. „Das stellt berufstätige Eltern vor enorme Herausforderungen.“ Demo-Mitorganisator Marcus Bracht sieht Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in der Verantwortung. „Es bringt nichts, in Sonntagsreden auf die Wichtigkeit der Frühkindlichen Bildung hinzuweisen. Wer sich das auf die Fahne schreibt, muss auch die nötigen Mittel zur Verfügung stellen“, so der Geschäftsführer vom Träger Educcare.
Um 11.40 Uhr kommt NRW-Familienministerin Josefine Paul zu den Protestierenden vor dem Landtag und nimmt die Unterschriften entgegen. Die Grüne zeigt Verständnis für den Unmut der Kita-Mitarbeitenden. Versäumnisse der letzte 25 Jahre könne man aber nicht in 25 Wochen aufholen, ruft Paul den Demonstranten zu. „Das Tischtuch ist derzeit zu kurz. Das lässt sich nicht wegdiskutieren“, räumt die Ministerin ein – und wirbt um Geduld.
Das kommt bei den Zuhörern allerdings nicht gut an. Eine Gruppe von Erzieherinnen, die mit Kindern vor die Bühne sitzt, unterbricht die Rede der Ministerin mit wütenden Zwischenrufen. „Wir fühlen uns veräppelt“, empört sich eine Demonstrantin. „Sie müssen jetzt endlich etwas unternehmen Wir können nicht nochmal 25 Jahre warten.“
Marcel Hafke (FDP): „Wir rutschen wieder in ein Rollenverständnis wie in den 50er-Jahren zurück“
Unter die Demonstranten mischen sich auch die Fachpolitiker der Opposition. „Unseren Kindern wird durch die erzwungene Schließung von Kitas ein wichtiger Teil ihrer Kindheit genommen“, kritisiert Marcel Hafke, familienpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger.“ Die hart erkämpfte Vereinbarkeit von Familie und Beruf stehe wegen des Betreuungsnotstands auf dem Spiel. „Familienministerin Josefine Paul sorgt durch ihre Untätigkeit dafür, dass wir wieder in ein Rollenverständnis wie in den 50er-Jahren zurückrutschen. Es ist völlig inakzeptabel, dass Eltern gezwungen sind, zwischen Beruf und Familie zu wählen, weil die Regierung ihre Hausaufgaben nicht macht, so Hafke.
Dennis Maelzer sieht das ähnlich. „Die Lage ist so prekär, dass die Träger bereits von staatlich verordneter Insolvenzverschleppung sprechen“, sagte der Familienexperte der SPD. Betreuung in Randzeiten bleibe für viele Eltern in NRW „ein Traum“.