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OptimistinWenn ein knorriger Apfelbaum Blüten aus seinem Gehölz sprießen lassen kann, dann ist alles möglich

Lesezeit 3 Minuten
Ein Baum blüht bei strahlendem Sonnenschein vor blauem Himmel.

Der Frühling hätte Power genug, alle Probleme zu lösen – das macht Mut.

Der Frühling beginnt mit einem Berg von Arbeit. Aber auch mit der Hoffnung, dass wir alles schaffen können. Also krempeln wir die Ärmel hoch und packen es an.

Die Aufregung nähert sich ihrem Höhepunkt. Seit Wochen bin ich schon unruhig, irgendwelche Hormone köcheln sich da in meiner Hypophyse zu einem scharfen Süppchen zusammen. Ich schlafe ein mit dem Gedanken daran, ich wache auf und das Thema scheint die Nacht in meinem Kopf einfach durchgemacht zu haben: Der Frühling ist bald da. Leider sind die Frühlingsgefühle in meinem Fall nicht ausschließlich von schmetterlingshafter Leichtigkeit geprägt, wie man das aus dem Volksmund kennt. Herzklopfen, Verliebtsein, Lebenslust und so weiter. Ich habe mehrere Kinder, einen Vollzeitjob, einen Haushalt und – was sich gerade prominent und bedrohlich in den Vordergrund drängelt – einen Schrebergarten. Wenn ich an den Frühling denke, dann bedeutet meine Aufregung vor allem: Ein Arsch voll Arbeit wuchert da auf meinen Beeten heran.

Die Wahrheit ist: Ich habe die Sache nicht unter Kontrolle. Es ist erst März, aber ich weiß: Spätestens im April wächst das Unkraut über Nacht, der Rasen schickt sich gefühlt im Wochenrhythmus an, ganze Einfamilienhäuser hinter seinem kraftstrotzenden Wachstum zu verstecken. Mein Unkraut ist wahnsinnig ehrgeizig. Es will von allen das Beste sein, das größte, das schnellste. Natürlich. Meine Schrebergartennachbarn sind schrecklich beeindruckt, wenn sie den Urwald sehen, der sich mit angriffslustigem Blick dem Gartenzaun nähert und manchmal vorwitzig gar seine Zunge durch die Maschen steckt.

Der Frühling ist natürlich zu hochmütig, um die Probleme anderer zu lösen

Ich müsste harken und eggen und Spaten in die steinharte Erde stoßen. Ich müsste vertikutieren, düngen, ganze Grasschollen rausreißen, die schon den gesamten gepflasterten Weg unter sich begraben haben. Natürlich fehlt mir die Zeit dazu. Sie gewinnen vielleicht gerade den Eindruck, der Frühlingsanfang habe sich angeschickt, sich für mich in einen Blaulichteinsatz zu verwandeln. Aber das stimmt natürlich nicht so ganz. Denn: Die Kraft der Natur, die mir jeden Frühling Arbeit beschert – ich bewundere sie über die Maßen. Und sie macht mir auch Mut.

Der Frühling hätte Power genug, alle Schwierigkeiten zu lösen, sogar die weltpolitischen, zumindest traue ich ihm das zu. Und allein diese Hoffnung macht mir gute Laune, auch wenn wir alle wissen, dass der Frühling natürlich zu hochmütig ist, um die Probleme anderer zu lösen. Aber man fragt sich ja beim Anblick des explodierenden Grüns unweigerlich: Wenn so ein knorriger alter Apfelbaum es schafft, aus seinem trockenen Gehölz die zartesten und prallsten Knospen hervorzuzaubern, dann wird ja wohl auch eine Frau wie ich noch ein bisschen Kraft für überraschende Leistungen entwickeln können. Wenn der Frühling die Dunkelheit des langen Winters besiegen, wenn brauner, steinharter Lehmboden grüne Hälmchen nähren kann, dann werde auch ich meine Arbeit geregelt kriegen. Wenn die Frühlingssonne dazu in der Lage ist, aus einem Samenkorn unter zu Hilfenahme von ein wenig Wasser ein dickes, rotes Radieschen wachsen zu lassen, dann – ja dann scheint plötzlich auch in unserem Leben alles möglich zu sein.

Der Frühling mit seiner herausfordernden Fröhlichkeit und Potenz fordert zumindest mich zum Wettkampf heraus. Ich werde keine Bäume rausreißen, aber überbordend wuchernde Grasschollen. Mir wird vieles gelingen. Ich werde Freundlichkeit und Zuversicht verbreiten können, anderen helfen, Menschen anlächeln, Kraft weitergeben an diejenigen, die es gerade brauchen können. Wir müssen dazu nur die Ärmel hochkrempeln und den Berg an Arbeit erledigen. Im Garten. In der Familie. Im Job. In der Liebe. In der Welt. Machen Sie mit? Dann können wir ja sofort loslegen.