Eil – Antonia Gerasimidou und Erik Preibisch haben nie infrage gestellt, dass sie am Ende einer globalen Nahrungskette stehen und nehmen müssen, was abfällt. Was sollten sie auch machen? Die Schneiderin und der Tabakwarenverkäufer sind abhängig von Weltkonzernen wie Philip Morris oder Benetton, deren Produkte sie instand setzen beziehungsweise verkaufen.
Sie sind abhängig von Moden, Konsumgewohnheiten und Gesundheitsbewusstseinszuständen, die sich eben ändern. In ihren winzigen Ladenlokalen an der Bergerstraße in Eil sind sie weit weg von den Hauptschlagadern der Weltwirtschaft. Sie wollen bloß, als feine Äderchen in diesem pulsierenden Kreislauf, durchblutet werden. Ihre Lebensläufe sind die Geschichten von harter Arbeit, die sich – ohne dass sie das gewollt hätten – mit den Zeitläufen der Weltwirtschaft vermischt haben. So klein, so groß.
Erik Preibisch und seine Mutter Hannelore, die kürzlich einen Schlaganfall überstanden hat, sind etwas blass um die Nasenspitze, als sie hinter der alten Kurbelkasse stehend erzählen. Antonia Gerasimidou sieht hinter ihrer dritten Nähmaschine in 39 Jahren sitzend rosiger aus. Die 54-Jährige hat sich etwas Mädchenhaftes bewahrt, gleichwohl die Arbeit sich eingeschrieben hat in ihr Gesicht. Sie kann noch vom Nähen leben. Erik Preibisch hat eine Dreiviertelstelle als Altenpfleger. Der Laden wirft längst nicht mehr genug ab.
Zigaretten wurden uncool
Als Erik Preibisch ein Junge war, galt rauchen als schick. Noch in den 1980ern, als er begann, im Laden zu helfen, klebten die Leute Ich-rauche-gern-Aufkleber auf ihre Autos. Der Laden hatte Heiligabend bis 14 Uhr auf, dem Kölner war wenig heiliger als der Tabak. Längst gelten Zigaretten als ungesund, für viele auch als uncool. „Im Kommen sind die E-Zigaretten“, sagt der 1966 geborene Preibisch, der das Geschäft von Vater Edwin übernahm, als der vor zwei Jahren starb. „Auch Zigarren gehen noch gut.“ Er überlege, eine Raucherlounge für Zigarrenfreunde zu eröffnen, im hinteren Teil des Ladens, in dem Abertausende Feuerzeuge liegen, die sein Vater von den Herstellern bekam, als die pleitegingen, weil es plötzlich hässliche, billige Einwegfeuerzeuge gab.
Das Feuerzeug-Museum, das Vater Edwin 1999 hier eröffnete, erzählt Geschichten aus der großen Zeit des Rauchens; der Wirtschaftswunderzeit, die auch die Zeit der langsamen Globalisierung der Märkte war. Edle Feuerzeuge aus der ganzen Welt stehen in den Vitrinen. Edwin Preibisch war einer der wenigen, der sie reparieren konnte.
„Warum wir irgendwann Feuerzeuge aus der ganzen Welt zur Reparatur bekamen, kann ich nicht sagen“, sagt Hannelore Preibisch. „Es muss sich rumgesprochen haben. Heute wissen die Leute wohl übers Internet von uns.“
Mit den Kunden alt geworden
Antonia Gerasimidou, die zehn war, als sie mit ihren Eltern aus dem griechischen Kavala nach Köln kam, kennt niemand übers Internet.
In Eil wissen die Leute einfach, dass sie da ist. „Die Kunden sind mit mir alt geworden“, sagt die zurückhaltende Frau, neben deren Arbeitsplatz eine Marienikone, dazu Bilder der Söhne und Enkelkinder hängen. „Die meisten kommen schon sehr lange, man lebt von Mund-zu-Mund-Propaganda.“ Nicht gerade üppig, sie muss viel arbeiten.
50 Meter Köln heißt unsere Serie, in der die Redaktion die Vielfalt der Stadt ergründet. Nachbarn, die dem ersten Anschein nach Welten trennen, sprechen über ihren Alltag - regelmäßig im Lokalteil. (uk)
Mit 15 hat sie hier angefangen, mit 18 übernahm sie den Laden. Als sie ihre Kinder bekam, hat sie jeweils vier Wochen ausgesetzt. Für 14 Tage im Jahr sperrt sie zu, sonst sitzt sie wochentags an der Nähmaschine und schaut auf die Bergerstraße. Der Daumen tut ein bisschen weh und der Nacken – Schneiderinnen-Schwachstellen. „Man kann immer zu ihr kommen, wenn es schnell gehen muss, arbeitet sie auch mal nachts. Sie ist einfach eine gute Seele“, sagt Hannelore Preibisch.
Was die gute Seele bedauert, ist nicht die Mode, die findet sie nur „hässlich, weil viele Frauen sich nicht mehr fraulich anziehen“. Schade findet sie, dass die Menschen so viele Kleider nicht mehr abholen, die sie bis heute ohne Vorkasse ausbessert. Erst neulich wieder hat sie vier blaue Säcke zur Altkleidersammlung gebracht. Die Entwicklung der globalen Textilindustrie ist nicht schlecht für ihr Geschäft: „Die Qualität ist schlechter geworden, die Sachen gehen schneller kaputt, auch die von teuren Marken“, sagt Gerasimidou.
Sie stopfe inzwischen oft Jeans, „das musste man früher fast nie machen“. Sie bearbeitet heute Textilien aus Bangladesch, Indien und China, früher waren es Stoffe aus Deutschland. „Auch die deutschen Firmen stellen ja seit langem in Asien her“, sagt sie. Sie will das nicht bewerten. „Aber man merkt es am Stoff.“
Damals, als das Geschäft boomte
Die Arbeit der Preibischs hat sich viel früher mit dem Weltmarkt verwoben. Ihren Lauf nahm die Geschichte kurz nach dem Krieg: Edwin Preibisch, Jahrgang 1930, suchte Arbeit und fand eine Lehrstelle bei Paul Kirsch, der mit seiner Firma Feuerzeuge Kirsch („Feu-Ki“) an der Neusser Straße 1945 zunächst vor allem Feuerzeuge reparierte, weil Tabak rar war.
„Anfang der 1950er Jahre eröffnete Kirsch dann meinem Mann, dass er künftig auch Waffen herstellen wollte“, erinnert sich Hannelore Preibisch. „Wenn Sie das tun, bin ich weg“, habe ihr Mann gesagt. Er war dann also weg, und reparierte selbst Feuerzeuge. 1968 kaufte er das Grundstück an der Bergerstraße, 1970 zog er mit seinem Laden dort ein. Und das Geschäft boomte. „Damals“, sagt Hannelore Preibisch, „waren wir der größte Posteinlieferer von Porz, wegen der Feuerzeuge.“
Es lag immer ein Hauch der großen weiten Welt in der tabakgeschwängerten Luft des Ladens. Schon lange, bevor er sein Museum eröffnete, orderten Filmcrews bei Preibisch Feuerzeuge. Anlässlich einer Genussmittelmesse hatte der Senior-Chef im Hinterhof Tabakpflanzen gezüchtet. Indianer, die auf der Messe zu Gast waren, interessierten sich für die Pflanzen – Preibisch lud sie nach Eil ein, wo sie vor dem Geschäft zwischen den Tabakpflanzen tanzten. Man darf sich Edwin, Erik und Hannelore Preibisch wie auch Antonia Gerasimidou als offene und sehr freundliche Kölner vorstellen.
„Das Schlimmste ist die Ohnmacht“
Ins Mark getroffen hat den friedliebenden Unternehmer, als er im Jahr 2012 binnen 24 Stunden zweimal überfallen wurde. Jugendliche schlugen den nur 52 Kilo schweren, über 80-jährigen Mann zusammen, einer hob ihn hoch und hielt ihn über die Theke wie eine Trophäe. Sie stahlen dann nur ein paar Zigaretten. „Ich hatte selbst Tabakladen und bin zweimal überfallen worden“, sagt Edwins Bruder Edgar (86). „Das Schlimmste daran ist die Ohnmacht.“
Antonia Gerasimidou hat damals nur die Polizei vor dem Laden gesehen. Edwin Preibisch hat nach den Überfällen schwer abgebaut und kaum mehr zwei Jahre gelebt. Sein Sohn Erik führt sein Erbe weiter, derweil die anderen Tabakläden in der Gegend längst dichtgemacht haben. Seine Mutter Hannelore sagt, sein Vater würde sich im Himmel freuen, dass der Sohn auch weiter Feuerzeuge repariert.
Erik Preibisch ist, seit 39 Jahren neben der Schneiderin Antonia, die er nur flüchtig kennt, inzwischen so etwas wie der letzte Mohikaner von Eil. Er will es noch eine Weile bleiben, auch wenn man mit dem Zigarettengeschmack der großen weiten Welt kaum noch werben darf, er nicht mehr vom Tabak leben kann und kaum noch jemand sagt: Ich rauche gern.