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Raserunfall in Köln„War ihr bewusst, dass sie sterben musste?“

Lesezeit 6 Minuten

Miriam S. starb durch einen Raserunfall am Auenweg in Deutz.

Köln – Miriam S. kam bei einem illegalen Autorennen auf dem Auenweg um, weil sie auf dem Radweg von einem Wagen erfasst wurde. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ schildert die Mutter der 19-Jährigen erstmals ihr Leben ohne ihre Tochter:

Länger habe ich gezögert, bevor ich mich entschlossen habe über unsere Tochter Miriam zu berichten, die durch den Unfall im Auenweg getötet worden ist. Sie wurde am 14. April 2015 durch ein auf den Fahrradweg schleuderndes Auto so schwer verletzt, dass sie am 17. April 2015 in der Uni-Klinik Köln starb.

Was ihr Tod für uns bedeutet, versuche ich deswegen zu schildern, weil vielleicht ein Blick von der „Opferseite“ – oder darauf – eine Möglichkeit sein könnte, ähnliche Vorfälle dieser Art zu verhindern. Wenn daraufhin nur ein Einziger von der Raserei Abstand nähme, hätte der Tod von Miriam auf irgendeine Art ein wenig Sinn – wenigstens für Andere. Versuche ich mir zumindest einzureden.

Uns als Eltern ist durch Miriams Tod das Schlimmste passiert, das man erleben kann, wir haben eines unserer beiden Kinder verloren. Dies ist nicht vergleichbar mit irgendeiner bis dahin gemachten Erfahrung. Zu der unfassbaren Trauer kommt hinzu, dass wir uns immer für unsere Kinder verantwortlich gefühlt haben, immer versucht haben sie zu beschützen. Wir empfanden ihr Sterben phasenweise als eigenes Versagen, man fragt sich, warum man in dem Moment des Unfalls nicht da sein konnte für sie.

Dazu kommen die Überlegungen, ob sie das Auto noch kommen sehen konnte, ob sie den Horror der Situation noch erfasste. Hatte sie noch Zeit, entsetzt zu sein? Was waren Ihre letzten Gedanken? Hatte sie doch noch Schmerzen, trotz schneller Bewusstlosigkeit? War ihr bewusst, dass sie sterben musste? Darum kreisen unsere Gedanken, immer und immer wieder.

„Schon immer das Gefühl, sie beschützen zu müssen“

Miriam ist einer der wichtigsten und liebsten Menschen in unserem Leben, durch Nichts und Niemanden zu „ersetzen“. Sie hatte ein sehr liebevolles Verhältnis zu uns, sie vertraute uns und fühlte sich verstanden. Sie war in unserer Familie immer „die Kleine“, wesentlich jünger als ihr Bruder, von klein an ein eher abwartendes Kind mit einer genauen Beobachtungsgabe und sehr schnell und ausdauernd beim Lernen, bei sozialen Kontakten eher zurückhaltend. Immer schon hatten wir das Gefühl, sie beschützen zu müssen. Immer war sie schon sehr an ihrer Familie orientiert, hier fühlte sie sich sicher. Miri war auch als Jugendliche ein liebes, ein freundliches Mädchen, sehr intelligent, hübsch, immer ein wenig zurückhaltend, immer abwägend, etwas zögerlich, sehr dünnhäutig. Erst überlegend, dann handelnd, mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Miriams Mutter schildert den Tag des Unfalls.

Als sie sterben musste, war sie grade 19 Jahre alt geworden, auch in dem Alter uns immer noch sehr verbunden. Sie hatte im Frühjahr vorher ein sehr gutes Abitur gemacht, eben das erste Semester an der Uni studiert, schon mit erfolgreichen Klausuren und einer guten Hausarbeit. Deren Ergebnisse konnte sie leider nicht mehr alle erfahren. Wir haben die Unterlagen nach ihrem Tod abgeholt. Es war uns wichtig zu sehen, wofür sie gearbeitet hatte. Sie schien im Studium gerade angekommen, die Umstellung von einer Lebensphase in die nächste fiel ihr gedanklich immer schwer, das war ihrer Mentalität geschuldet, so war sie einfach. Miriam war ein sehr strukturierter Mensch, sie brauchte klare Regeln und war gewohnt sich an solche zu halten.

Sie hatte verschiedene Hobbys, wir hatten ihr ermöglicht zu Reiten, Klavierunterricht zu nehmen, sie ging Tanzen, las gerne, hörte sehr viel und gerne Musik und hatte noch diverse andere Interessen. Gerne wäre sie noch einmal zu einem Konzert der Iren „The Script“ gegangen („Mama, der hat ja sooo eine schöne Stimme...“), das sie schon einmal besucht hatte. Einen derer Songs, „No Good in Goodbye“ haben wir dann auf ihrer Beerdigung gehört.

„Dieses Leben gibt es nun nicht mehr“

Bücher las sie gerne im englischen oder französischen Original, auch sah sie Filme am liebsten in der Originalsprache. Sie liebte die Nordsee, die sie seit Kleinkindertagen kannte. Mit ihrem Freund hatte sie für Mai 2015 ein langes Wochenende in London gebucht, auf das sie sich sehr freuten. Es war sein Weihnachtsgeschenk. Sie hatte Pläne für ihre Zukunft, ihr Leben, sprach über Examen, über Heirat und über Kinder, später, irgendwann einmal, aber ganz bestimmt, ganz sicher.

Dieses Leben gibt es nun nicht mehr, durch diesen „Unfall“. Und wir können nicht mehr ertragen, am Meer zu sein, und wir können keine Musik mehr hören.

Miri hat an jenem verfluchten Dienstag morgens gegen 9 Uhr unser Haus verlassen, um zur Uni zu fahren. Ahnungslos wussten wir und sie nicht, dass dieser Morgen ihr letzter bei uns sein sollte. Zum letzten Mal aufstehen, zum letzten Mal duschen, zum letzten Mal frühstücken, zum letzten Mal von mir verabschieden, um mit dem Fahrrad zur Uni zu fahren. Zum letzten Mal die SMS: „Bin gut angekommen“. Alles zum letzten Mal.

Wir werden sie nie wieder bei uns haben können, nie wieder sehen können; nie mehr, wenn sie lacht, nie mehr wenn sie sich ärgert, nie wieder von Plänen hören, die sie hatte. Wir können Sie nie wieder in den Arm nehmen, sie ist nie mehr bei uns, ihrer Familie.

Wir vermissen sie unendlich und das wird immer so bleiben. Es fehlt tatsächlich ein Teil von uns, das ist das Besondere beim Tod eines Kindes. Unsere Traurigkeit kann ich nicht beschreiben. Und ich wünsche mir, es könnte jemand nachfühlen, was es für uns bedeutet hat, der Tochter, Schwester, Freundin tagelang beim Sterben zusehen zu müssen, aber ich kann die Gefühle nicht wirklich beschreiben.

Als Miriam dann tatsächlich in der Uni-Klinik gestorben war, haben unser Verstand und unser Gefühl sich lange geweigert, diese Tatsache anzuerkennen; ständig der Gedanke: Es kann nicht sein, es darf nicht sein.

„Es fühlt sich an, wie der böseste aller Albträume“

Es war so unfassbar für uns, es ist so fürchterlich, es fühlt sich an, wie der böseste aller Albträume, der ganze Körper schmerzt. Es dauerte unendlich lange, bis ich akzeptieren konnte, dass es kein Aufwachen gibt; dass Miri wirklich tot ist. Es ist die Hölle, es ist ein Schock, den wir in unserem Leben nie überwinden werden. Und in der Zeit nach Miriams Tod ist es nicht mehr besser geworden, bis heute. Die Gedanken kreisen immer wieder und wieder um Miris Unfall. Und um das Endgültige ihres Todes; darum, dass sie nie mehr zurück kommen kann. Das Phänomen, dass die Zeit still zu stehen scheint, das gibt es tatsächlich.

Im Alltag ist unsere alte Normalität, die mit Miriam, einfach weg; eine neue haben wir für uns noch nicht finden können. In den Monaten seit Miris Tod ist für uns kein Tag vergangen ohne Weinen, Trauer, Resignation, Fassungslosigkeit.

Was unsere Trauer noch verstärkt, ist die absolute Sinnlosigkeit ihres Sterbens. Was der Verlust unserer Tochter für uns bedeutet kann sich niemand vorstellen, der nicht selber Ähnliches erlebt hat, der nicht selber ein Kind verloren hat. Unser Leben wird nie wieder das sein, das es vor dem Unfall war; und es kann nie das werden, das es in der Zukunft mit Miri hätte sein können. Es wird alles nie wieder gut; wir werden Miriam unser Leben lang unendlich vermissen.