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Illegales Wettrennen in Köln„Todesraser“ fuhren mit 100 km/h über den Auenweg

Lesezeit 4 Minuten

Das weiße Fahrrad steht als Gedenken an Raser-Opfer Miriam am Auenweg.

Köln – In jenem Augenblick, als er in der Kurve des Auenwegs die Gewalt über seinen BMW verliert, ist Erkan F. annähernd hundert Stundenkilometer schnell. So wird es später ein Gutachter rekonstruieren. Das rechte Vorderrad berührt die Bordsteinkante, Luft zischt aus dem Reifen. Der Wagen bricht aus, schleudert über die Fahrbahn in die Gegenspur. Er lässt sich nicht mehr steuern, dreht sich, überfährt die Bordsteinkante und den Gehweg und kracht in ein Gebüsch.

Miriam S. (19), die gerade auf dem Weg von der Universität nach Hause auf dem Fahrrad entgegen kommt, hat keine Chance. Beim Zusammenstoß an jenem Abend des 14. April erleidet sie schwerste Kopfverletzungen; obwohl sie einen Fahrradhelm trägt. Zwei Tage später stirbt die Studentin im Krankenhaus. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Erkan F. (22) und einen weiteren Mann, Firat M. (21), wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

Nach Überzeugung der Ermittlungsbehörden haben sich die beiden kurz vor dem Unglück ein Wettrennen geliefert. Ungewöhnlich: Die Staatsanwaltschaft will den Fall vor dem Landgericht verhandeln lassen. Dort können höhere Strafen verhängt werden als beim Amtsgericht, das normalerweise für Verkehrsunfälle zuständig ist, in der Regel auch dann, wenn es um fahrlässige Tötung geht. Aber zwei weitere, ähnliche Unfälle mit Toten – einer wenige Wochen vor dem Raserunglück am Auenweg, der andere einige Wochen später – hätten die Öffentlichkeit stark verunsichert, argumentiert die Staatsanwaltschaft. Der Unfall vom Auenweg habe eine „besondere Bedeutung“ und gehöre daher vor das Landgericht.

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Reifenquietschen und Motorgeheul

Insgesamt 21 Zeugen führt die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift auf. Mehrere haben den Ermittlern nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ von einem Rennen berichtet. Ein Mann will gesehen haben, wie die beiden Angeklagten kurz vor dem Unfall vor einer Rot zeigenden Ampel an der Deutz-Mülheimer Straße mit dem Gas gespielt und bei Grün stark beschleunigt hätten. Eine Frau schilderte, dass der BMW und der Mercedes deutlich zu schnell und sehr dicht hintereinander gefahren seien. Eine weitere Zeugin berichtete in ihrer Vernehmung, wie die Fahrer versucht hätten, sich gegenseitig zu überholen. Eine andere sprach von Reifenquietschen und Motorgeheul.

Der Aussage eines Beifahrers im Mercedes von Firat M. dagegen schenkt die Staatsanwaltschaft keinen Glauben: Der Mann behauptet, man sei nicht zu schnell gewesen und auch kein Rennen gefahren. Eine „Whats-App“-Nachricht, die er am Unfalltag verschickt hat, nährt Zweifel an seiner Aussage. Sinngemäß schrieb er darin, das Spiel gehe jetzt los. Zweieinviertel Stunden später lag Miriam S. im Rettungswagen und kämpfte gegen den Tod.

Knapp drei Wochen vor dem Unfall am Auenweg lieferten sich am 26. März zwei Autofahrer (beide 19) laut Polizei ein Rennen über die Aachener Straße. Einer fuhr über Rot, krachte gegen ein Taxi. Ein Fahrgast (49) erlag seinen Verletzungen. Am 10. Juli starb ein Radfahrer (26) an der Inneren Kanalstraße/ Aachener Straße, als ein Mietwagen gegen ihn schleuderte – laut Polizei womöglich als Folge eines illegalen Rennens.

Seit April gehen Stadt und Polizei massiv gegen Raser vor. Inzwischen wurde die Geschwindigkeit von fast 50000 Autos gemessen. Das Ergebnis: 4570 Verwarngelder, fast 1000 Ordnungswidrigkeits-anzeigen und 227 Fahrverbote. (ts)

Beide Angeklagten hatten vor dem Unfall je einen Eintrag im Verkehrsregister wegen zu schnellen Fahrens. Erkan F. soll zudem schon wegen Einbruchs aufgefallen sein, Firat M., weil er ein Auto fuhr, dessen Betriebserlaubnis erloschen war. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest. Bislang schweigen die Beschuldigten zu den Vorwürfen.

Eine gewisse Wut können die Eltern von Miriam S. nicht verhehlen, sagte die Mutter dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Bis heute fahren sie und ihr Mann regelmäßig zum Auenweg. Stellen Blumen auf und Kerzen.

Immer noch zu schnell unterwegs

Die Stadt hat dort inzwischen Bodenschwellen verlegen lassen, um Raser auszubremsen. Nach Ansicht von Marita S. fehlt aber mindestens eine Schwelle in der verhängnisvollen Linkskurve. „Die wird nach wie vor mit hohem Tempo angefahren.“ Erst vorige Woche habe sie wieder einen Beinahe-Unfall beobachtet.

Am Prozess wollen die Eltern als Nebenkläger teilnehmen. Wenn die Aufmerksamkeit, die der Tod ihrer Tochter verursacht hätte, helfen könnte, weitere Opfer der „offensichtlich immer weiter fortgeführten Raserei“ zu vermeiden, sagt die Mutter, hätte das Geschehen wenigstens „auf irgendeine Art einen gewissen Sinn“.