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Flüchtlingshelferin fühlt sich getäuschtKölnerin fuhr mit Initiator von Rechtsextremen-Treffen in den Iran

Lesezeit 7 Minuten
Emitis Pohl mit ukrainischen Kindern bei der Arbeit für ihren Verein „Sei stark“

Emitis Pohl, hier bei ihrer Arbeit für den Frauenhilfsverein „Sei stark“, kennt Gernot Mörig seit vielen Jahren.

Flüchtlingshelferin Emitis Pohl kennt Gernot Mörig, Mitinitiator des Rechtsextremen-Treffens von Potsdam. Sie fühlt sich getäuscht.

Als sie las, dass ihr Bekannter ein Nazi sei, griff Emitis Pohl zum Handy und rief ihn an. „Ich war voller Wut und Enttäuschung“, erinnert sich die Kölner Unternehmerin, die vor zwei Jahren einen Verein für benachteiligte und geflüchtete Frauen gründete.

Gernot Mörig, Zahnarzt aus Düsseldorf, vor einigen Wochen durch eine Correctiv-Recherche bekannt geworden als Mitinitiator eines Treffens von Rechtsextremisten in Potsdam, ging nicht ran, schrieb lediglich eine ausweichende Whatsapp: „Rufe dich gern zurück, wenn ich etwas den Kopf frei habe.“ Seit bekannt wurde, dass ihr Bekannter ein Treffen über einen „Plan für die Deportation von Millionen Migranten aus Deutschland“ mitorganisiert hat, seien ihr viele Fragen durch den Kopf gegangen, sagt Pohl beim Treffen im Büro ihres Vereins „Sei stark!“.

Ich wusste, dass er rechts ist, aus der CDU austreten und die AfD wählen wollte, dass er für eine striktere Flüchtlingspolitik ist, ein sehr konservativer Mann – aber dass er in der rechtsextremen Szene aktiv ist? Ich kann das bis heute kaum glauben
Emitis Pohl

„Ich würde Gernot Mörig gern mit meinen Fragen konfrontieren – aber er meldet sich natürlich nicht“, sagt sie. Wie er sich ein Deutschland ohne Ärzte, ohne Pflegekräfte, Gastronomen, Reinigungspersonal vorstelle? Ob es für ihn gute und böse Ausländer gebe? Sei ein Österreicher ein guter Ausländer für ihn und ein Afghane ein schlechter? Warum – um Gottes Willen – habe er mit ihr in den Iran gewollt? Habe er die Iraner sympathisch gefunden, weil einige ungebildete Menschen dort bis heute Hitler verehrten? Oder habe er Geschäfte mit dem Regime machen wollen? „Und warum hat er Zahnarztpraxen in Syrien aufgebaut, wie er mir mehr als einmal erzählt hat? Weil er den Diktator Assad so sympathisch findet?“

Kölner Unternehmerin setzt sich für Geflüchtete ein

Sie wolle das auch wissen, weil er sie ja vermutlich auch „remigrieren“ wolle, als in Teheran geborene Deutsch-Iranerin, sagt Pohl. „Ich wusste, dass er rechts ist, aus der CDU austreten und die AfD wählen wollte, dass er für eine striktere Flüchtlingspolitik ist, ein sehr konservativer Mann – aber ein Nazi? Ich kann das bis heute kaum glauben.“

Emitis Pohl hat als Unternehmerin und Netzwerkerin in Köln einen Namen, seit zwei Jahren auch als Vorsitzende des Vereins „Sei stark“. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs hilft der Verein auch ukrainischen Frauen, die nach Köln geflüchtet sind. Pohl engagiert sich für Geflüchtete jedweder Herkunft – „allerdings möchte ich vor allem denen helfen, die sich hier integrieren wollen“, sagt sie. Denn: „Da ist so viel Potenzial, dass wir über Arbeitskräftemangel in Deutschland eigentlich nicht reden müssten.“ Das Potenzial würde allerdings „von der Politik durch eine falsche Integrationspolitik seit Jahrzehnten nicht gehoben“.

Blick auf das Gästehaus am Lehnitzsee im Potsdamer Stadtteil Neu Fahrland. Dort hatte ein Treffen radikaler Rechter stattgefunden.

Blick auf das Gästehaus am Lehnitzsee in Potsdam. Hier fand ein Treffen von Rechtsextremen statt, das der Düsseldorfer Zahnarzt Gernot Mörig mitinitiierte.

Dass die 50-jährige Kölnerin spricht, wie sie spricht – emotional, manchmal wütend, politisch längst nicht immer korrekt – liegt auch an ihrer eigenen Biografie. „Als ich als 13-Jährige allein nach Deutschland kam, habe ich keine Hilfe vom deutschen Staat bekommen, obwohl ich alles getan habe, um mich zu integrieren“, sagt sie. „Zehn Jahre habe ich nur geduldet in Deutschland gelebt – bis ich geheiratet habe. Obwohl ich alles getan habe, um hier anzukommen.“ Wenn sie nun Menschen erlebe – und das tue sie auch, aber nicht nur in ihrer Arbeit für Geflüchtete – die „sich nicht anstrengen, sondern nehmen, was der Sozialstaat bietet“, mache sie das wütend.

Viel zu lange habe der Staat Asylbewerbern für Jahre nicht erlaubt, überhaupt zu arbeiten. „Dass sich das jetzt ändern soll, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Noch sieht man davon allerdings nichts.“ Viele Menschen hätten sich in den vergangenen Jahren nicht integriert, „weil sie nicht arbeiten und ankommen durften – andere wollen es nicht, weil es nicht unbedingt nötig ist“.

Kölner Silvesternacht: In der Folge ging Emitis Pohl in Talkshows und kritisierte die Integrationspolitik

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Emitis Pohl infolge der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof zum Jahreswechsel 2015/16 bekannt, als sie in Talkshows beklagte, dass Deutschland nicht genug unterscheide zwischen „Integrationswilligen und Integrationsverweigerern“. Pohl kritisierte seinerzeit öffentlich die Flüchtlingspolitik Angela Merkels – das war für viele Medien auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte interessant.

Straffällige Flüchtlinge müssten ausgewiesen werden, die Grenzen besser kontrolliert und zu Not dichtgemacht werden, sagte sie nach der Kölner Silvesternacht bei „Stern TV“. Dafür hagelte es Kritik auf Social Media. Pohl wurde daraufhin in die extremrechte Ecke gestellt. Andere bedankten sich bei ihr, dass sie ausspreche, „was andere sich nie trauen würden“. Pohl, inzwischen Geschäftsführerin eines Vereins, der sich um benachteiligte und geflüchtete Frauen jeder Herkunft kümmert, spricht noch heute von „Menschen, die das Sozialsystem ausnutzen, ob Flüchtlinge oder Langzeitarbeitslose“.

Nach einer „Hart-aber-fair“-Sendung habe sie im Jahr 2016 „eine bemerkenswerte Mail von Gernot Mörig und seiner Frau Astrid“ erhalten, erinnert sie sich. „Die beiden haben darin meinen Mut gelobt und mich zu einem Treffen eingeladen, da sie mich mit einem interessanten Menschen bekannt machen wollten.“ Sie hätten in einem Düsseldorfer Restaurant zusammen gegessen, „und sehr nett gesprochen, über Gott und die Welt – und mit keinem Wort über Politik“, erinnert sich Pohl. Der „interessante Mensch“ sei eine Verlagsfrau gewesen, die später auch dazu beigetragen habe, dass ihre Autobiografie „Deutschsein für Anfänger – Integration ist meine Pflicht!“ veröffentlicht wurde.

Gemeinsame Reise in den Iran

Da sie seinerzeit auf der Suche nach einem Zahnarzt war, wechselte Pohl zu Mörigs Privatpraxis nach Oberkassel. Zu Ostern, Weihnachten und Geburtstagen schickten sie sich jetzt nette Nachrichten. 2019 organisierte Pohl mit ihrer damaligen Agentur eine Kulturreise in den Iran. Neben einigen Politikerinnen, Führungskräften aus der Wirtschaft und Journalisten fuhren auch Gernot und Astrid Mörig mit.

Die Mörigs hätten die Eindrücke im Iran „sichtlich genossen“, sagt ein Kölner, der ebenfalls zu der Reisegruppe gehörte. „Sie waren charmant, offen und lebensfroh.“ In Shiraz hätten Einheimische unter einer Brücke gesungen und getanzt. „Gernot Mörig hat spontan mitgetanzt und gesungen. Er war sehr ausgelassen.“ Im Nachhinein, sagt der Mann, könne er sich Mörigs Interesse am Iran höchstens damit erklären, dass Iran übersetzt auch „Land der Arier“ heiße und sich in manchen Kreisen bis heute eine Faszination für Hitler gehalten habe. „Die Mörigs waren sehr höfliche, neugierige Menschen“, sagt der Kölner. „Es ist eigentlich Wahnsinn, dass auch in Düsseldorf nicht viel früher durchgesickert ist, dass die Familie seit vielen Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv ist.“

Im Jahr 2018 hatte die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität Mörig der Lehrauftrag entzogen, nachdem Studierende von seiner rechtsradikalen Vergangenheit berichtet hatten. Öffentlich bekannt wurde der Vorfall nicht. Auch, dass Mörig bereits in den 1970er Jahren Bundesführer im rechtsextremen Bund heimattreuer Jugend war, dass seine Kinder Verbindungen zu Rechtsextremen haben und große Teile der Familie mit völkischem Gedankengut sympathisieren, kam erst im Zuge der Recherchen zu dem Rechtsextremen-Treffen in Potsdam auf.

„Er hat die Spuren immer geschickt verwischt“, sagt Pohl. Sie könne Sahra Wagenknecht gut verstehen, die kürzlich in der Talksendung von Markus Lanz erzählt hatte, über ein oder zwei Jahre Mails mit Mörig ausgetauscht und nichts von seiner rechtsextremen Gesinnung geahnt zu haben. „Sahra Wagenknecht hatte Mörig genauso kennengelernt. Nach einem Talkshow-Auftritt wollte er ihr jemanden vorstellen. Beim ersten Mal haben sie sich in einem Restaurant getroffen. Das scheint seine Masche gewesen zu sein.“

Ich hätte gern früher gewusst, dass dieser nette, konservative Zahnarzt in der rechtsextremen Szene aktiv ist
Emitis Pohl

Im Rückblick glaubt Emitis Pohl, dass Gernot Mörig den Kontakt mit ihr wohl gesucht habe, „weil ich als Unternehmerin ein gutes Netzwerk habe“. Über Flüchtlingspolitik oder „Geheimpläne für ein anderes Deutschland“ habe er nie mit ihr gesprochen. „Ich hätte ihm dann auch sofort die Bekanntschaft gekündigt“, sagt Pohl. „Rassismus und völkisches Denken sind mir zuwider – so eine Haltung ist menschenverachtend und demokratiefeindlich.“ Menschen wie Mörig halte sie für „brandgefährlich. Leute wie er, Unternehmer mit Geld und Kontakten, haben damals auch Hitler zur Macht verholfen“.

Sie sei jeden Tag dankbar, in einer Demokratie mit Menschen aus allen Kulturen zu leben. „Und ich finde es gut und sehr wichtig, dass so viele Menschen jetzt für den Erhalt der Demokratie auf die Straße gehen. Ich bin dabei“, sagt sie. „Menschen wie Gernot Mörig wollen die Demokratie abschaffen. Ich hätte gern früher gewusst, dass dieser nette, konservative Zahnarzt in der rechtsextremen Szene aktiv ist.“