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Interview

Riesige Vielfalt in Köln
„Die Volkshochschule ist die Klebetube der Gesellschaft“

Lesezeit 6 Minuten
Marie Batzel, Leiterin der Kölner VHS

Dr. Marie Batzel ist seit einem halben Jahr Leiterin der Kölner Volkshochschule (VHS).

Egal ob KI, Zen-Meditation oder Spanisch: Die Kölner VHS ist für Leiterin Marie Batzel ein Ort, wo Demokratie und Vielfalt gelebt werden.

Frau Batzel, Sie sind seit einem halben Jahr Leiterin der Volkshochschule Köln und arbeiten schon lange im Bereich der Erwachsenenbildung. Was fasziniert Sie an der VHS?

Ich bin begeistert von der Idee, dass Menschen sich hier ihr Leben lang positiv verändern und lernen können. Das finde ich sehr motivierend. Dazu kommt, dass sich Menschen in der VHS in Gemeinschaften begeben und Lust haben, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Das ist sehr wichtig und wie eine Art Selbstermächtigung. Nicht umsonst heißt unser aktuelles Programm „Wissen macht Mut“.

Vor Ihrem Engagement hier waren sie Leiterin der VHS in Meerbusch und Neuss. Was ist besonders an Köln?

Die Organisation ist hier viel größer und sehr viel professioneller – getragen von sehr vielen Spezialisten in den einzelnen Fachbereichen. Das breite Angebot, das man als Bürgerin und Bürger hier in der VHS bekommt, ist wirklich einmalig.

Viele kennen dieses dicke Buch mit dem VHS-Programm, das an vielen Orten in der Stadt ausliegt. Dabei klingt Volkshochschule sehr betulich. Wie ein Ort für Rentner, die noch mal ihre Englischkenntnisse auffrischen wollen. Stimmt das so noch?

Es ist interessant, dass dieses Bild immer noch existiert. Aber es stimmt schon lange nicht mehr. Der Altersdurchschnitt der Teilnehmenden quer durch alle Angebote liegt bei 40 Jahren. Gerade bei der kulturellen Bildung sind die Teilnehmenden sehr jung und sind oft noch in ihren Zwanzigern. Das Schöne an VHS ist ja, dass da die 25-Jährigen in einem Kurs sitzen mit 70-Jährigen. Wo hat man das schon, so einen Querschnitt der Gesellschaft, der miteinander ins Gespräch kommt. Im Segment Bildungsurlaub sind die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 30 und 50 Jahren. Da haben wir pro Jahr 320 Angebote, die hervorragend angenommen werden.

Tendenziell ist Ihr Angebot ja eher ein bildungsbürgerliches Angebot: Menschen, die ohnehin gerne lernen, lernen noch mehr. Aber wie erreichen Sie diejenigen, die Bildung noch viel dringender bräuchten?

Das stimmt, wir erreichen als freiwilliges Angebot natürlich nur die Menschen, die Lust haben, sich zu entwickeln. Um andere Zielgruppen zu erreichen, arbeiten wir in den Stadtteilen intensiv mit Koordinationspartnern zusammen. Sie kennen die Menschen vor Ort und wissen, welche zielgenauen Angebote man machen muss. Diese erscheinen dann gar nicht im Programmheft, nur im Internet.

Obwohl es die VHS schon so lange gibt, kennen viele ihr Angebot nicht. Welche Bandbreite bietet die Volkshochschule inzwischen?

Wir haben auch weiter die klassischen Kurse, die man erwartet. Aber darüber hinaus eine riesige Bandbreite: Von Chinesisch, über Grundbildungsangebote im Bereich Mathe, Kurse zu New York, bis zur Naturexkursion. Aber auch ganz vieles, das man vielleicht gar nicht erwartet. Zum Beispiel sind wir bei KI-Themen ganz breit aufgestellt und die werden sehr nachgefragt in allen Altersgruppen.

Gleichzeitig ist die VHS ja gemeinwohlorientiert. Wie unterscheidet sich ein KI-Kurs in der VHS von einer Youtube-Anleitung zu KI?

Davon abgesehen, dass die Qualität und Bandbreite der Angebote zum Thema KI bei uns riesig ist: Die Menschen kommen, um in einem KI-Kurs den Umgang mit Canva oder ChatGPT zu lernen. Gleichzeitig ist da bei uns aufgrund der Gemeinwohlorientierung immer ein bisschen politische Bildung dabei: Im Kurs geht es immer auch um Dimensionen wie ethische Grenzen, Gefahren von Desinformation und die Rahmenbedingungen von Demokratie. Das unterscheidet die VHS eben von einem Youtube-Video „So machst du die coolste Präsentation mit Canva“.

Wie ist denn allgemein die Auslastung der Kurse in der VHS?

Die ist sehr gut. Wir haben als Zielquote, dass wir nicht mehr als 20 Prozent absagen müssen. Es ist bei der Planung immer die Frage, wie viel Neues traut man sich und wie viel setzt man auf Altbewährtes. Eine gewisse Ausfallquote hat man immer, sonst hat man nicht risikofreudig genug geplant. Je nach Thema gibt es auch schon Kurse, die mit fünf Personen stattfinden, die Regel sind Kurse zwischen acht und 16 Personen. Die Kunst ist, das Angebot immer wieder den sich wandelnden Bedürfnissen und Zielgruppen anzupassen. Da gibt es etwa einen Rhetorik-Kurs speziell zur Vorbereitung auf die mündliche Abiturprüfung. Oder einen Kurs zur Vorbereitung auf das Mathe-Abitur. Der muss natürlich zeitlich genau abgestimmt sein.

Klingt erst mal ungewöhnlich, dass die VHS jetzt die Arbeit der Schulen mit übernimmt. Es gibt bei der VHS sogar Kurse, die auf die Zentralen Prüfungen nach der 10. Klasse vorbereiten, für die die Schulen bei den Eltern werben…

Das finde ich nicht. Wir sind nicht die bessere Schule, darum geht es nicht. Es geht darum, dass Schülerinnen und Schüler für Prüfungen zuhause lernen müssen und dass das eben vielen in sozialen Kontexten wie der VHS viel leichter fällt. Es ist ja außerdem anlassbezogenes Lernen auf eine Prüfung hin. In der VHS setze ich mich freiwillig hin, um meine private Lernzeit zu organisieren.

So einen VHS-Kurs zu besuchen, das bedeutet ja auch einen Schritt raus zu wagen aus der vielzitierten eigenen Blase. Dort begegne ich Menschen verschiedenen Alters und verschiedener Einstellungen, mit denen ich ins Gespräch komme. Das gelingt in diesen Zeiten nicht mehr vielen Institutionen. Ist das nicht schon Demokratiebildung an sich?

Ganz genau. In einem geschützten Rahmen, quasi moderiert aus der Blase herauszutreten, war wohl selten gesellschaftlich wichtiger. Wir reden viel vom Zusammenhalt der Gesellschaft, den wir wieder schaffen müssen. Wir sind die Klebetube. Aber es funktioniert eben auf indirekte Art. Wir sagen nicht: Hier bekommt ihr politische Bildung. Das Grundbedürfnis der Menschen, die hierher kommen ist, dass sie etwas lernen möchten. Etwa wie sie für ihren Verein eine Homepage kreieren. Das konkrete Lernziel hilft mir beim Überspringen der Hürde. Aber in den Kursen passiert dann quasi nebenher Zusammenhalt – auf der Basis eines gemeinsamen Grundinteresses.

Und wie geschieht dann Demokratiebildung konkret?

Auch indirekt: In Sprachkursen auf höherem Niveau geht es um die britische Regierung oder Klimaschutzprogramme. Darüber wird in einem geschützten Rahmen angeleitet gesprochen und diskutiert. Für eine Anleitung, wie ich auf Word einen Serienbrief schreibe, brauche ich keine VHS mehr. Wir sind ein Raum für Bildung, Begegnung und Diskussion.

Gibt es im Hinblick auf die Bundestagswahl besondere Formate?

Durchaus. Eines von mehreren Beispielen ist zum Beispiel die Demokratie-Party am 20. Februar in Mülheim im Bezirksrathaus. Ein politisch-kultureller Abend mit einem Impulsvortrag des Politikwissenschaftlers Ray Hebestreit, Poetry Slam, Musik und Gespräch, um sich gegenseitig Mut zu machen. Aber wir haben auch eine weitere Art der Seminare verstärkt: Wie kommuniziere ich mit Populisten, wie reagiere ich auf Fake News – oder auch Seminare, wie ich reagiere, wenn ich selbst zu einer Minderheit gehöre und nicht respektvoll behandelt werde.

Angesichts der klammen kommunalen Kassen ist gerade der Bereich Soziales und Bildung unter Druck. Haben Sie nicht Sorge, dass das breite Angebot der VHS bald zum Luxus wird, den sich die Stadt nicht mehr leisten kann?

Da habe ich überhaupt keine Angst: für den Haushalt ist es wegen der Kostendeckung keine Belastung, wenn unser Programm wächst. Außerdem gehört die VHS zu den kommunalen Pflichtaufgaben. Das bedeutet zum einen, dass wir ein Pflichtangebot haben, zum anderen trägt das Land auch einen Teil der Kosten einer Volkshochschule. Unsere Preise sind natürlich sehr moderat, da wir gemeinwohlorientiert sind. Das sorgt einerseits dafür, dass Bildung über die VHS nicht zum Luxusgut wird, sondern viele sich diese leisten können. Und dass die Kurse andererseits durch die geringen Kosten auch gut gebucht werden.