„Sie hat die ganze Zeit geschrien”So haben Augenzeugen die Geiselnahme in Köln erlebt
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Viele Mitarbeiter am Kölner Hauptbahnhof haben die blutig beendete Geiselnahme am Montag aus nächster Nähe mitbekommen.
Eine Verkäuferin verbrachte ihre Mittagspause gerade bei McDonalds, als der Molotow-Cocktail zwei Meter neben ihr explodierte.
Viele von ihnen waren am Dienstag wieder im Einsatz. Die Redaktion hat mit ihnen gesprochen.
Köln – Einen Tag nach der blutig beendeten Geiselnahme am Breslauer Platz ist das normale Leben wieder in den Kölner Hauptbahnhof eingekehrt. Zwar ist der Bereich um den Tatort, die Apotheke am Breslauer Platz, noch weiträumig abgesperrt, aber fast alle anderen Geschäfte haben wieder normal geöffnet. Einige von denen, die heute wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt sind, haben das Geschehen am Montag aus nächster Nähe miterlebt. So wie die Verkäuferin eines Kleidungsgeschäfts, das nur wenige Meter vom Tatort entfernt liegt.
Lisa Meier saß in ihrer Mittagspause in der Mc-Donalds-Filiale am Breslauer Platz, kaute Pommes und guckte einen Film auf ihrem Smartphone, als sie den Knall hörte, die Stichflamme sah und enorme Hitze spürte. „Ich saß zwei Meter von der Explosion entfernt“, sagt die junge Frau, die eigentlich anders heißt. „Am Fenster gingen die Flammen bis zur Decke, sofort ging die Sprinkleranlage an. Alles war voller Rauch. Ich bin dann wie die anderen Gäste panisch nach draußen geflüchtet, keine Ahnung, vielleicht war der Täter neben uns, ich war nur froh, als ich draußen war und nicht schwer verletzt.“
Den Täter konnte die Verkäuferin nicht sehen, sie vermutet, dass er mit der Menge aus dem Schnellrestaurant gelaufen ist. Zunächst blieb sie auf dem Breslauer Platz stehen. Sie sah, wie Sicherheitskräfte der Deutschen Bahn aus Deutz über die Hohenzollernbrücke angerannt kamen, auch die Feuerwehr sei gefühlt innerhalb von Sekunden vor Ort gewesen: „Es war wie im Film. Und als die Polizei den Täter mit einer Pistole sah, haben sie den Menschen gesagt, sie sollen einfach nur weg“, erinnert sie sich. Sie lief runter ans Rheinufer. Am Tag nach der Geiselnahme steht die Verkäuferin wieder in der Filiale ihres Modegeschäfts im Hauptbahnhof und bedient Kunden. Ihr Chef hatte ihr angeboten, zu Hause zu bleiben. „Aber ich habe beschlossen, dass es möglichst normal weitergehen muss.“
Unweit von dem Geschäft liegt das Modegeschäft „Esprit”, in dem Christine Osterholt am Dienstagmorgen arbeitet. Auch sie stand zur Tatzeit am Montag in ihrem Laden. „Ich habe einen lauten Knall gehört, wenig später zog Rauch in den Laden. Wir haben die Tür zuerst zugemacht, mussten aber so stark husten, dass wir wieder aufgemacht haben und nach draußen Richtung Domvorplatz geflüchtet sind“, erinnert sie sich. „Sechs Stunden haben wir draußen gewartet, bis wir gegen 19 Uhr wieder zurück durften“, sagt die 32-Jährige, die ebenfalls ein mulmiges Gefühl bei der Rückkehr zu ihrem Arbeitsplatz gehabt hat.
Ungefähr zur selben Zeit, wie Christine Osterholt zum Domvorplatz rannte, lief ein KVB-Mitarbeiter in die entgegengesetzte Richtung der Bahnhofspassage. Vorbei an der qualmenden McDonalds-Filiale trat er auf den Breslauer Platz, wo er das 14-jährige Mädchen sah, der die Flammen bis zu den Knöcheln gingen. „Mit einem Bahn-Fahrgast habe ich das Mädchen dann auf eine Bank vor dem Backwerk getragen und Erste Hilfe geleistet“, sagt er. „Sie hat die ganze Zeit geschrien.“ Wegen des Durcheinanders und der Panik habe er den Täter nicht sehen können. Fünf Minuten später seien Sanitäter gekommen, die das Mädchen versorgt hätten. Auch der KVB-Mitarbeiter war am Dienstag wieder am Hauptbahnhof im Einsatz.
Während die Kunden in dem Bekleidungsgeschäft unmittelbar neben dem McDonalds am Dienstagvormittag fast komplett ausbleiben, kann Christine Osterholt aus dem Esprit-Shop keine großen Veränderungen erkennen: „Der Bahnverkehr läuft wieder halbwegs normal und Kunden sind auch da.“ Auch der Qualm sei bis Dienstagmorgen abgezogen, sodass die Ware nicht beeinträchtigt worden sei.
Der Besitzer der Currywurst-Bude am Breslauer Platz, Zeki Servar, hat die Geschehnisse am Montagmittag aus nächster Nähe verfolgt. Zunächst habe er laute Schreie gehört, erzählt er am Vormittag nach der Geiselnahme auf dem Breslauer Platz. Er habe spontan an einen Streit unter Jugendlichen gedacht. Servar erzählt, was bislang noch niemand so ausgesagt hat: „Es brannte auch am Eingang der Apotheke, eine Stichflamme. Ich dachte, der Grund sei eine defekte Gasleitung“, erinnert sich der 40-Jährige. „Ich habe sofort meinen Feuerlöscher geschnappt und bin dorthin gerannt.„ Eine Polizistin habe ihm den Feuerlöscher allerdings abgenommen und das Feuer selbst gelöscht. „Danach war nur noch großes Durcheinander.“ Servar musste seinen Laden schließen, er habe am Montag lediglich 23 Euro eingenommen, bevor er seine Bude am Mittag zusperren musste, sagt er. „An einem guten Tag in den Ferien sind es bis zu 3000 Euro. Das ist bitter.“