Kölner SilvesternachtFrauen in Köln feiern ohne Pfefferspray und ohne Bedenken
Köln – Wer behauptet, ein Platz sei nur ein Gebilde aus Stein aber kein Ort mit einer Seele, der kann in der Silvesternacht nicht mitten in Köln gewesen sein. Diesmal geht vom Herzen dieser Stadt etwas ganz Besonderes aus; etwas, das sich nur schwer in Worte fassen lässt, obwohl in den letzten Stunden des alten Jahres so viele treffende Worte ausgesprochen und auf Häuserfassaden projiziert werden.
Selbst jenseits des Roncalliplatzes ist eine Art von Stärke spürbar, die nichts mit dem Großaufgebot der Polizei zu tun hat. Fast hat es den Anschein, als ob insbesondere die Vertreterinnen des sogenannten schwachen Geschlechts diejenigen sind, die die Kernbotschaft aussenden: „Mer stonn zesamme“ und „Wir fürchten uns vor nichts!“
Das neue Jahr ist eine knappe Stunde alt. Ein paar betrunkene Kerls an der Zülpicher Straße haben offenbar nicht gemerkt, dass das Silvesterfeuerwerk bereits abgebrannt ist. Böllerschüsse vermischen sich mit Polizeisirenen, einzelne sprühende Leuchtkörper mit Blaulicht. Das übliche Spektakel am Rande. In „Gilbert’s Pinte“ wird friedlich gefeiert. „Ich bin mächtig stolz auf die Stadt, denn sie hat mal wieder das gezeigt, was sie ausmacht: Weltoffenheit, Fröhlichkeit und dieses Jetzt-erst-recht.“ Siggi Schilling hat das Lichtspektakel am Dom nur als Fernsehübertragung gesehen und ist begeistert. Annette Soentgen ebenfalls: „Wir haben überlegt, ob wir uns die Lichtinstallation ansehen und uns dagegen entschieden. Aber nicht, weil wir Angst hatten, sondern weil wir gerne hier in unserem Veedel feiern.“ Angst habe sie ohnehin eher vor Menschen, die unbedacht Böller werfen, sagt die junge Frau.
Das ist am Rathenauplatz gegen 18.45 Uhr bereits so heftig der Fall, dass man denken könnte, der Jahreswechsel stünde unmittelbar bevor. Ein wirklich ungewohntes Bild bietet um diese Zeit die sonst rund um die Uhr bewachte Synagoge. Ausnahmsweise nirgends ein Streifenwagen in Sicht.
Ehrenstraße in Köln wie leergefegt
Eine paar Stunden zuvor noch quirlige Meile, wirkt die Ehrenstraße jetzt geradezu verlassen. Weit und breit niemand in Sicht bis auf eine Frau in dicker Winterkleidung. Auf dem Weg zum Dom? „Auf jeden Fall. Die ganze Aufregung um die Silvesternacht erinnert mich an die Millenniums-Hysterie“, meint Silvia Haltrich. „Damals war man ja schon drauf eingestellt, dass der Weltuntergang bevorsteht. Stattdessen Friede, Freude, Eierkuchen.“
Zwischen Rhein und Dom füllen sich die Restaurants. Im Sternelokal Maibeck sind alle Tische besetzt. Salzwiesenlamm und andere Köstlichkeiten werden serviert. Luisa Sprengler und ihr Freund sind auf dem Weg in die Altstadt. „Ich hatte echt befürchtet, man fühlt sich da hinten wie im Hochsicherheitstrakt, aber es ist total schön und stimmungsvoll“, betont die junge Frau mit Blick auf den abgesperrten Bereich, wo immer wieder Menschen stehen bleiben und das Lichtspektakel des Berliner Künstlers Philipp Geist bewundern.
Claudia und Nicole, zwei Freundinnen, die vorm Brauhaus „Sion“ stehen, zeigen sich von den Ereignissen der Silvesternacht vor einem Jahr ziemlich unbeeindruckt. „Wer meint, er könne die gleiche Scheiße noch einmal hier machen, der kann ja nur saudumm sein.“ Fragt man die beiden Kölnerinnen, wie sie sich an diesem Abend fühlen, kommt von Nicole die Antwort: „Super, Ausrufezeichen, Herzchen, Daumen hoch.“
Auf dem Weg zum Alter Markt treffen wir auf Angie. „Angie wie die Kanzlerin, aber ich hab nicht gesagt: Wir schaffen das!“ Die junge Frau lacht und balanciert ein Tablett mit frisch gebackenem Apple-Crumble und eine Schüssel mit Spinatsalat zu Freunden, die eine Privatparty feiern. Die Laune ist perfekt. Genauso wie bei dem Damenquintett, das im „Alter Markt Treff“ vorglüht und um Mitternacht auf der Domplatte sein wird: „Ohne Pfefferspray, ohne Keuschheitsgürtel und ohne Bedenken“, wie Jacqueline versichert.
Die Temperatur sinkt. Das bekommen vor allem die Leute zu spüren, die am Rheinufer Schlange stehen und warten, an Bord des KD-Schiffes Loreley gelassen werden, wo die „Ahoi-Party“ in vollem Gange ist. Trotz abgefrorener Finger fröhliche Gesichter.
Düsseldorferin verewigt sich in Köln
„Marco é freddo!“ wiederholt eine italienische Mutter, die sich den Schal bis über die Nase gezogen hat und drängt zum Weitergehen. Marco stört sich nicht an der Kälte. Mit ausgebreiteten Armen steht der Siebenjährige vor dem Römisch-Germanischen Museum und lässt Hunderte von schillernden Luftgebilden an sich abprallen. „Heute fliegen die Blasen super, ideale Bedingen, es macht wirklich Spaß, hier zu sein“, betont Michail Lewandowski, der die Lichtinstallation am Platz mit seiner Seifenblasen-Sinfonie auf zauberhafte Weise bereichert. Etliche Kinder mit bunt glühenden Schuhsohlen rennen den fragilen Kugeln hinterher und versuchen, sie zu fangen.
Was für eine Wonne – um nur eines der Wörter aufzugreifen, das in gelben Großbuchstaben vor dem Hauptportal der Kathedrale aufleuchtet. Wie viele Herzen dort im Laufe der Stunden mit Kreide gemalt werden, wie oft das Wort Liebe hervorsticht, lässt sich allenfalls erraten.
Ganz in der Nähe von „Lieblingsmensch“ hat sich die Düsseldorferin Karin Bergmann verewigt. „Ein Platz für alle“ hat sie geschrieben und noch ein „serenity“ für Heiterkeit und Klarheit darunter gesetzt. Was sie zunächst ein bisschen beunruhigt habe, sei der ständig kreisende Hubschrauber gewesen“, bekennt die Silvester-Besucherin und fügt hinzu: „Das, was mir hier Sicherheit vermittelt, sind auch nicht die Polizisten. Das bin ich selbst. Und das sind die Leute hier am Platz und die besondere Atmosphäre.“
Besondere Atmosphäre auf der Hohenzollernbrücke
Besonders ist die Atmosphäre auch auf der Hohenzollernbrücke, auf der nicht ein einziges verliebtes Paar wandelt, dafür aber Tausende von Liebesschlössern im Scheinwerferlicht glänzen. Am Fuße der abgesperrten Brücke füllen sich in der letzten Stunde vor Mitternacht allmählich die Panorama-Plätze mit Blick auf Altstadt und Dom. Vor dem „Hyatt“ stehen zwei Frauen und prosten sich zu: „Ich bin komplett ohne Erwartungen hierhergekommen und war auf einen Abend zu zweit eingestellt, erklärt Andrea, die am Barbarossaplatz wohnt und von ihrem Mann die Nacht im Hotel geschenkt bekommen hatte. „Und nun habe ich hier supernette Menschen kennengelernt.“ Claudia aus Castrop-Rauxel, ebenfalls mit Mann und noch zwei Kleinkindern für eine Nacht in Köln, bestätigt, „dass dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden kann“.
Über dem Rhein sprühen die ersten Lichtfontänen. Rosa und Friederike, zwei Wirtschaftspsychologie-Studentinnen, sitzen in dicke Schals und eine rosafarbene Fleecedecke ein gemummelt am Deutzer Ufer und schauen lächelnd zum Feuerwerk hoch. Alles ist gut.
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