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Singles28 Prozent der Kölner leben allein

Lesezeit 10 Minuten

Im Köln lebt 28 Prozent der Gesamtbevölkerung allein, im Bundesdurchschnitt ist es etwa jeder Fünfte (20 Prozent).

Köln – Köln hat den Ruf, die Single-Hochburg Deutschlands zu sein – doch den Ruf hat die Stadt zu Unrecht. Laut Statistischem Bundesamt lag der Anteil der Alleinlebenden an der Gesamtbevölkerung im Jahr 2011 bei 28 Prozent – damit lag Köln in der Rangliste der 15 größten deutschen Städte gleichauf mit Hamburg, Dresden, Frankfurt und Düsseldorf, aber hinter München (29 Prozent), Leipzig und Berlin (31) sowie dem Spitzenreiter Hannover (33). Auf den nächsten Plätzen: Bremen, Stuttgart und Nürnberg. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt lebt etwa jeder Fünfte (20 Prozent) allein.

Die Angaben des jüngsten Statistischen Jahrbuchs der Stadt Köln beziehen sich auf das Jahr 2010. Danach lebten damals rund 270 000 Menschen in Einpersonenhaushalten, das waren mehr als 26 Prozent aller Kölner. Zehn Jahre zuvor waren es noch knapp 244 600. Das heißt aber auch: Von den rund 537 000 Kölner Haushalten ist jeder zweite ein Einpersonenhaushalt (50,3 Prozent). Damit liegt Köln weit über dem Bundesdurchschnitt von rund 40 Prozent. Dagegen leben in nur 3,4 Prozent aller Haushalte fünf oder mehr Personen.

Sarah M. (29) ist seit gut einem Jahr Single. Zuvor war sie fast zehn Jahre lang in einer Beziehung. „Es hat einfach nicht mehr gepasst. Wir haben uns auseinandergelebt“, sagt die Pädagogin. Immer mehr sei in ihr der Wunsch danach gewachsen, alleine zu leben und Neues auszuprobieren. Auch danach, andere Männer kennenzulernen. Für Sarah M. war die vergangene Beziehung auch die erste ernsthafte. „Natürlich“ habe sie sich gewünscht, sie möge halten. „Aber wenn man so jung zusammenkommt, hat man irgendwann das Gefühl, vielleicht etwas zu verpassen.“ Nach so langer Zeit sei es schwer zu beurteilen, ob es wirklich Liebe oder womöglich nur noch Gewohnheit ist, die die Beziehung zusammenhält. Auch wenn die ersten Wochen hart waren: Sie bereut die Entscheidung nicht. „Rückblickend weiß ich, dass wir nicht mehr zusammengepasst haben.“ Ihr Single-Dasein genießt Sarah M. nun „in vollen Zügen“. Am Wochenende geht sie häufig feiern. Mit manchen Männern hat sie sich einige Wochen lang getroffen und die Zweisamkeit genossen. „Aber momentan möchte ich keine feste Beziehung führen. Ich will mich nicht festlegen. Noch nicht.“ Sie schließt nicht aus, sich wieder fest zu binden, wenn sie sich verliebt. „Ich bin aber nicht auf der Suche. Wenn es passiert, dann passiert es.“ (kst)

Willi S. (79) war bis 1975 verheiratet und hält seine Ehe auch 37 Jahre später noch „für einen Fehler, denn ich bin eher fürs Alleinleben geschaffen“. Nicht, dass der ehemalige Lehrer kontaktscheu wäre. „Ich habe immer Freundinnen gehabt, aber nur so für ein paar Wochen, einen Urlaub vielleicht“, sagt er. In seinem Haus fühle er sich wohler, wenn ihm niemand reinrede. Auch seine Kinder nicht, die aber in anderen Städten wohnen. „Als Gesellschaft zu Hause reicht mir meine Katze“, sagt er und findet „die Trennung zwischen dem Trubel, wenn ich ausgehe, und der Ruhe zu Hause einfach ideal“. Er sei leidenschaftlicher Koch und Bäcker, versorge sich gern selbst, treibe Sport, gehe aus, wenn’s ihm passe, und finde am Singledasein nichts zu meckern. „Viele verheiratete Freunde beneiden mich.“ Allerdings sei dieses Vergnügen „nur bedingt alterstauglich“. Das hat Willi S. erfahren, als im Frühling sein bester Freund, ebenfalls allein lebend, einen Schlaganfall hatte, erst am nächsten Tag gefunden wurde und schwere Behinderungen davontrug. „Meine Kinder liegen mir damit in den Ohren, dass ich mir ein Hausnotrufsystem holen soll“, sagt der Pensionär. „Aber ich überlege mir das noch. Wenn das dazu führt, dass ich die letzten Jahre in einem Heim kontrolliert werde, würd’ ich lieber verzichten.“ (bl)

Joline, 16 Jahre alt, fallen eigentlich nur Vorteile des Single-Lebens ein. „Ich kann feiern ohne Ende und ich habe keine Verpflichtungen niemanden gegenüber.“ Seit anderthalb Monaten ist die Schülerin wieder zu haben, nachdem sie sich von ihrem Freund, mit dem sie anderthalb Jahre zusammen war, getrennt hat. „Er war extrem eifersüchtig und ist dann ausgerastet. Das hat mich total runtergezogen.“ Davor war sie schon einmal mit einem Jungen zusammen. Die Beziehung dauerte zehneinhalb Monate. „Der hat mich aber irgendwann einfach nicht mehr interessiert.“ Wie sie jetzt lebt, gefällt ihr besser. „Ich genieße meine Freiheit.“ Sie habe jetzt mehr Zeit für sich selbst. „Ich kann machen, was ich will, habe keine Verbote und vor allem keine Eifersucht mehr.“ Und: Sie lernt wieder viel mehr neue Leute kennen. Ob in der Disco oder im sozialen Netzwerk. „Mein Freund hat irgendwie alle vergrault.“ Wenn beim Status über die eigenen Person in Facebook „in einer Beziehung“ stehe, „schreibt dich keiner mehr an“. Kein Junge habe mehr ihre Fotos kommentiert. Seit da wieder „Single“ steht, „kommen die Nachrichten wieder“. Wenn sie so darüber nachdenkt, findet sie das eigentlich „ziemlich traurig“. Auf der Suche nach einem Neuen ist sie momentan trotzdem nicht. (kaz)

Vor zwei Jahren trennten sich Dirk N. (35) und seine Freundin. Das lag nicht daran, dass er Beziehungen grundsätzlich ablehnt. Nach vier Jahren hatte sich das Paar einfach auseinandergelebt. Ob er nun zufriedener ist? „Beides hat Vor- und Nachteile“, sagt N., „aber je länger man in einer Beziehung ist, desto mehr fallen einem die Nachteile auf.“ Dem Anwalt aus Köln sei immer deutlicher geworden, dass er keine Zeit mehr für sich gehabt habe. Wenn er spätabends aus der Kanzlei nach Hause kam, war seine Partnerin schon seit mehreren Stunden daheim. Heute kann er „ins Wochenende sacken, ohne dass ich mir seit Donnerstag Gedanken gemacht habe, was das Programm für das Wochenende sein soll.“ Auf ein Glas Wein aus dem Haus – oder doch Fußball-Bundesliga auf der Couch? N. entscheidet spontan. Was er oft als Vorteil empfindet, kann aber auch ein Nachteil sein: „Nicht alles Organisierte ist schlecht. Manchmal fehlt mir eine geregelte Zweisamkeit.“

Die Dauer des Single-Lebens bestimmt womöglich auch die Chance, einen neuen Partner zu finden, glaubt N.. Er sei wählerischer geworden: „Wenn man in den Zwanzigern ist, lässt man sich vielleicht einfach mal so auf eine Beziehung ein. Das würde ich heute wahrscheinlich nicht mehr machen.“ (chl)

Anni W. (84) ist seit elf Jahren alleinlebend, wie sie es ausdrückt, das Wort „Single“ treffe auf sie nicht zu. „Singles sind doch Menschen, die einen Partner suchen“, findet sie – sie suche nicht. Die letzten Jahre mit ihrem demenzkranken Ehemann seien so anstrengend gewesen, dass sie nach seinem Tod „bei aller Liebe jetzt sehr gern nur so für mich“ lebe. Sie ist in ihrem 120-Quadratmeter-Reihenhaus aber nicht wirklich allein. Ihre drei Kinder samt Familien wohnen in derselben Siedlung; Söhne und Tochter und Enkel halten die Seniorin auf Trab. „Ich führe den Hund meines Sohnes aus, hüte abends oft das Baby meiner ältesten Enkelin, und die jüngeren Enkel, die noch studieren, kommen nachmittags, um beim Kaffee von ihrem Tag zu erzählen.“ Sie freue sich über diesen Trubel – genieße aber auch die Möglichkeit, sich abends zurückzuziehen und für niemanden mehr verantwortlich zu sein. Jede Zeit ihres Lebens habe schöne Seiten gehabt, sagt die Frau, die früh geheiratet und die Familie neben dem Beruf als Sekretärin in einem Industriebetrieb gemanagt hat. Aber sie habe nie Zeit für sich gehabt. Ihre Leidenschaft fürs alte Ägypten könne sie jetzt erst ausleben. Gerade deshalb „ist es jetzt besonders schön“, sagt sie – mit der Einschränkung: „so lange ich gesund bin und keinem zur Last fallen muss“. (bl)

Marita L. (57) ist äußerst unfreiwillig Single. Nach ihrer Scheidung vor acht Jahren hat sie lange gebraucht, um sich von der Zurücksetzung zu erholen, gegen eine jüngere Frau eingetauscht worden zu sein. Schönes Haus, repräsentatives Auto, großer Bekanntenkreis aus lauter Paaren – das war dahin. Inzwischen hat sie sich in ihrem neuen Leben eingerichtet und gelernt, auch Vorzüge zu sehen: „Ich brauche meine Freizeit nicht mehr komplett den Vorlieben eines anderen zu widmen.“ Aber das wiege die Nachteile nicht auf. „Für Sonntage muss ich mir immer ein Programm machen, sonst werde ich schwermütig. Da treffe ich mich mit anderen Single-Frauen, denn Paare sind sonntags nie verfügbar. Und was mir jeden Tag richtig fehlt, ist ein Gegenüber am Tisch. Ich esse so ungern allein.“ Auf alle Zeiten Single bleiben will Marita L. nicht. „Ich habe Angst vor der Einsamkeit im Alter.“ Ihre Aussicht, einen Lebenspartner zu finden, beurteilt sie selbst als gering: „Sogar viele 80-jährige Männer auf Partnersuche wollen ja nur Frauen unter 40.“ Trotzdem hat sie die Suche nicht aufgegeben, surft abends über Seiten von Partnerbörsen. Realistischer aber sei folgender Plan: „Ich habe eine Schwester in der Eifel, in deren Freundeskreis ich mich wohlfühle. Wenn ich in Rente gehe, kann ich bei ihr einziehen.“ (bl)

„Du bist zu wählerisch“, vermute ihre Mutter, sagt Tanja W. Die 37 Jahre alte Nippeserin ist seit sechs Jahren Single und glücklich damit. „Wenn ich mitbekomme, wie Pärchen sich vor anderen streiten, bin ich schon ganz froh, diesen Stress nicht am Hals zu haben“, sagt die Lehrerin. „Einmal hat eine Frau gemeint, sie müsste in einem Café lautstark mit ihrem Freund ausdiskutieren, warum der die letzte Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Das ist natürlich höchst peinlich.“ Tanja gefällt es, sich nicht absprechen zu müssen, ob man an einem bestimmten Tag zum Beispiel ins Kino gehen kann. „Ich muss nicht ständig Rücksicht auf jemanden nehmen.“ So entschied sie sich vor etwa drei Jahren auch nur für sich, beruflich etwas Neues zu wagen. Die Honorarkraft in einer sozialen Einrichtung sattelte um auf Lehrerin. Nun unterrichtet sie Chemie und Deutsch an einer Realschule. Einsam fühlt sich Tanja nicht. „Irgendwas ist immer.“ Und seit zwei Jahren nimmt sie Gitarrenstunden. „Es ist nur schwierig, Freunde mit Kindern zu treffen. Die sehe ich kaum noch, weil sie häufig verhindert sind.“ Drängt der Kinderwunsch mit Ende dreißig? „Manchmal denke ich, es wäre schön, welche zu haben. Und dann finde ich es aber auch okay so, wie es ist. Wenn es nicht funkt, geht es eben nun mal nicht.“ (Nah)

Harald W. (61) ist niemand, der mit Begeisterung allein lebt. Aber er sucht auch nicht mehr. „Das bringt eh nichts.“ Nachdem ihn seine langjährige Lebensgefährtin wegen eines anderen verlassen hatte, habe er sich in mehreren Partnerschaftsbörsen angemeldet, berichtet er. Je schneller er jemand anderes kennenlernte, desto weniger würde er unter der Trennung leiden, dachte er damals. Dann stellte er fest, dass auf kaum einen anderen Gebiet „mehr Bullshit erzählt wird als im Internet“.

Die Frauen, mit denen sich W. verabredete, hatten entweder beim Alter oder beim Foto oder beim Gewicht oder bezüglich der gesamten Lebenssituation geschummelt. „Ich verstehe das nicht. Früher oder später kommt doch für jeden der Moment, wo man die Karten auf den Tisch legen muss“, findet der Physiotherapeut, der in einer Kölner Gemeinschaftspraxis tätig ist und kürzlich aus der ehemaligen gemeinsamen Wohnung in ein großzügiges Appartement zog. Abgesehen von den falschen Angaben hätten ihn die zum Teil arg überzogenen Erwartungen gestört. „Die stellen 100 Bedingungen oder Forderungen, die man erfüllen soll, anstatt erst mal zu gucken, wie der andere tickt. Ich glaube, unsere Gesellschaft ist langsam so ichbezogen, dass Partnerschaften gar nicht mehr funktionieren können.“ (she)

Der Blick auf das Stadtgebiet zeigt, dass sich die Singles vor allem im Stadtzentrum konzentrieren: in der Innenstadt, aber auch in den westlich angrenzenden Stadtteilen von Nippes im Norden über Braunsfeld und Sülz bis Zollstock im Süden und auch in Kalk – überall dort sind 55 und mehr Prozent Einpersonenhaushalte. Die wenigsten Singles (unter 35 Prozent) leben unter anderem in Libur, Wahn und Langel, in Hahnwald und im gesamten Kölner Norden mit Ausnahme von Worringen und Heimersdorf.

Den Großteil der Singles in Köln stellen die unter 40-Jährigen mit mehr als 111 500 Personen. Rund 82 500 Alleinlebende sind zwischen 40 und 59 Jahre alt, fast 76 000 sind 60 und älter. Was auffällt: Seit dem Jahr 2000 ist der Anteil der unter 40-jährigen Singles deutlich gesunken (von 48,1 Prozent auf 41,3 Prozent), der der beiden älteren Gruppen dagegen gestiegen, besonders in der Altersklasse der 40- bis 59-Jährigen (von 24,6 auf 30,6 Prozent).

Die Angaben des Statistischen Bundesamtes stammen aus dem Mikrozensus 2011. In ihrem Bericht aus dem Sommer dieses Jahres weist die Behörde darauf hin, dass Singles überdurchschnittlich häufig auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen und von Armut bedroht seien.