Sophie Chassée ist die neue Bassistin bei Annenmaykantereit. Im Gespräch erzählt sie von ihrem Weg in die Kölner Erfolgsband und warum es noch immer schwer ist, als Frau am Instrument wahrgenommen zu werden.
Annenmaykantereit-Bassistin„Ich dachte, das ist eine Männerband. Da passt du nicht rein“
Von der Lehre zur Gitarrenbauerin zur Vorgruppe von Coldplay und festen Bassistin bei Annenmaykantereit: Die Karriere von Musikerin Sophie Chassée hat in den vergangenen Jahren einen steilen Weg bergauf genommen. Geboren ist Chassée in Mönchengladbach, in eine Familie aus Musikerinnen und Musikern. Nach dem Abitur beginnt sie eine Lehre zur Gitarrenbauerin. Als die Auftritts-Anfragen zunehmen, bricht sie die Lehre ab und zieht zum Studium mit Hauptfach Pop E-Bass nach Osnabrück.
Frauen werden noch immer vor allem als Sängerinnen gesehen
Das Instrument steht bei Chassée schon immer im Mittelpunkt. Sie spielt Modern Fingerstyle, dabei wird die Gitarre nicht klassisch mit Akkorden gespielt. Stattdessen werden filigran die Saiten gezupft, dazu gibt es perkussive Elemente, also zum Beispiel Klopfen auf der Gitarre. „Der Mann meiner Gesangslehrerin hat mir damals Videos von Andy McKee, der den Modern Fingerstyle geprägt hat, gezeigt und zu mir gesagt: Das brauchst du gar nicht versuchen, das wirst du eh nie können“, sagt Chassée. „Das hat mich angefixt. Ich habe mich hingesetzt und versucht, das nachzumachen.“
Dass man als Frau am Instrument oft unterschätzt wird, erlebt Chassée bis heute. „Es wird noch dauern, bis es wirklich bei allen angekommen ist, dass es auch weibliche Instrumentalistinnen gibt. Ja, ich singe auch. Aber ich stehe für Gitarre und für Bass“, so die 25-Jährige. Nach dem Soundcheck mit einem anderen Gitarristen wurde sie erst kürzlich für eine Sängerin gehalten. „Dabei habe ich keinen einzigen Ton gesungen.“
Sophie Chassée: „Männer mit ernsten Themen sind melancholisch, Frauen depressiv“
Frauen als Sängerinnen einzuordnen scheint für viele immer noch besser ins Bild zu passen. Doch zwingend den großen Markt zu bedienen ist nicht Chassées Ziel. „Mir wurde geraten, ich solle lieber auf Deutsch singen – dann komme ich in die Charts. Dabei will ich gar nicht in die Charts!“, sagt Chassée und lacht. „Ich will über die Themen schreiben, die mich beschäftigen. Liebeskummer, Familie, Freundschaft. Es hat schon jemand zu mir gesagt: ‚Schreib doch mal über Sonnenschein. Mach‘ doch mal etwas Fröhlicheres.‘ Wenn Männer solche Themen behandeln, sind sie melancholisch. Als Frau bist du depressiv.“
Dabei gibt Erfolg Chassée bislang Recht. Als Solo-Künstlerin war sie unter anderem für ihr 2021 erschienenes Album „Lesson Learned“ zuletzt für den Pop-NRW-Preis nominiert. Zu den Solo-Tour-Terminen gesellt sich seit Anfang dieses Jahres noch ein weiterer, nicht unerheblicher Job: Chassée ist die neue Bassistin der Kölner Erfolgsband Annenmaykantereit. Zustande kam das über die deutsche Sängerin Alli Neumann, für die Chassée ebenfalls Bass spielte. Neumann trat 2019 als Vorgruppe für „AMK“ auf.
So holte Henning May Sophie Chassée zu Annenmaykantereit
„Nach einem Soundcheck kam Henning [May, Anm. d. Red.] auf mich zu und meinte: Du spielst total krass, das verdient mehr Aufmerksamkeit. Dann hat er mich irgendwann angerufen, gemeinsam mit einem weiteren Kumpel haben wir angefangen, zu dritt zu jammen. Völlig außerhalb von AMK“, erzählt Chassée. „Dann ist Malte [Huck, der ehemalige Bassist] 2021 ausgestiegen. Ich habe es aber gar nicht für möglich gehalten, den Platz einzunehmen. Ich dachte, das ist eben eine Männer-Band. Da passt du nicht rein.“
Es sollte anders kommen. In einem Zoom-Call nahm Chassée ihren Mut zusammen und signalisierte Henning May, dass sie Lust hätte, bei der Band mit einzusteigen. „Der Moment war da. Ich dachte, wenn ich das jetzt nicht sage, bereue ich es in 20 Jahren vielleicht“, sagt sie. Zwei Monate später kam der Anruf von May – Chassée ist drin. Und wie ist das Bandgefüge nun mit ihr als Frau?
Chassée trat in Frankfurt vor Coldplay auf und freut sich aufs Stadionkonzert
„Meine Bedenken vorher waren natürlich umsonst. Die Jungs sind total offen, es ist ein sehr geschwisterliches Verhältnis und ein sehr respektvoller Umgang miteinander. Besser könnte es nicht sein“, so die 25-Jährige. Dem Druck, sich in die Erfolgsband einzufügen, habe sie so leicht standhalten können. Mit dem Annenmaykantereit Stadionkonzert in Köln im September 2023 steht für die Band und die Bassistin im kommenden Jahr zudem ein weiteres Highlight an. „Das ist völlig crazy. Zwei Monate vorher spielt da noch Pink“, sagt Chassée kopfschüttelnd.
Dabei wird es nicht ihr erstes Stadionkonzert sein. Im Juli spielte sie gemeinsam mit Alli Neumann als Vorgruppe von Coldplay drei Konzerte in Frankfurt. „Der eigentliche Bassist ist ausgefallen, ich bekam dann den Anruf. Mir ist alles aus dem Gesicht gefallen. Ich bin schon immer ein riesiger Coldplay-Fan.“ Auf der Aftershow-Party konnte sie sich mit den Musikern unterhalten. „Ich hatte das Gefühl, das war auf Augenhöhe und sie halten sich nicht für etwas Besseres.“
Small Talk mit einer der erfolgreichsten Bands weltweit, am Bass bei einer der erfolgreichsten Bands Deutschlands, dazu solo unterwegs. Es könnte schlechter laufen für Sophie Chassée. „Es sind dieses Jahr so viele krasse Sachen passiert. Ich kann das selbst noch gar nicht begreifen.“