Die sozialen Unterschiede lassen sich mit allerlei statistischen Daten belegen.
Die Wohnfläche, die jedem Kölner zur Verfügung steht, könnte so ein Indikator sein.
Kinderzimmer in Marienburg oder Müngersdorf sind doppelt so groß wie in Chorweiler oder Gremberghoven.
Köln – Als sich die langjährige Leiterin des Kölner Kinderschutzbundes Mitte des Jahres in den Ruhestand verabschiedete, zog sie eine ernüchternde Bilanz.
Während das Land in den vergangenen Jahrzehnten im Durchschnitt immer reicher wurde, sei die Kinder- und Familienarmut massiv angestiegen, so Renate Blum-Maurice. „Das spüren wir deutlich auch in Köln. Inzwischen leben hier mehr als 20 Prozent der Kinder in relativer Armut.“ Das Problem verstärke sich durch die „Spaltung der Gesellschaft“.
Die kann man in Köln geografisch nachvollziehen: Es gibt arme und reiche Stadtteile. Die sozialen Unterschiede lassen sich mit allerlei statistischen Daten belegen. Neben den Arbeitslosen- oder Hartz-IV-Quoten gibt es Zahlen, die auf andere Weise Wohlstand und Armut dokumentieren.
Die Wohnfläche, die jedem Kölner zur Verfügung steht, könnte so ein Indikator sein. Kinderzimmer in Marienburg oder Müngersdorf sind doppelt so groß wie in Chorweiler oder Gremberghoven.
„Die Stadt fällt auseinander“
Die Stadt würde „auseinanderfallen“, sagt Blum-Maurice. In den Stadtteilen gehe die soziale Mischung verloren. Mancherorts herrsche die Armut, während andere mit armen oder benachteiligen Menschen kaum noch in Kontakt kämen, weil sie in Vierteln wohnen, wo sich andere das Wohnen nicht mehr leisten können.
Bei der Umfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu den mutmaßlich größten Problemen der Stadt wurde das Thema „Soziale Ungerechtigkeit“ von den meisten Lesern als wichtig bezeichnet. Das Ergebnis ist in zweierlei Hinsicht durchaus bemerkenswert: Zum einen belegt es, dass es den meisten Kölnern – trotz der sozialen Spaltung und einem geringer werdenden Kontakt zu ärmeren Mitbürgern – ein wichtiges Anliegen ist.
Die Köln-Umfrage
Bei der Köln-Umfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist das Thema soziale Ungerechtigkeit auf dem zehnten Platz gelandet. Bei der Bewertung der Frage, wie wichtig es ist, die Probleme in diesem Bereich zu lösen, bekam das Thema auf einer Skala von 1 bis 10 den Durchschnittswert 6,28.
Zum anderen ist die Bewertung auch interessant, weil die Bekämpfung von sozialer Ungerechtigkeit überhaupt kein kommunalpolitisches Thema ist. Die Entscheidungen darüber, wer wie viel Geld in der Tasche hat, fallen nicht im Rathaus, sondern vor allem auf Bundesebene, wo die Steuerpolitik gemacht wird, die Regelungen zum Umgang mit Arbeitslosigkeit getroffen werden oder über Mindestlohn, Grundsicherung, Wohnraumförderung und Sozialhilfe entschieden wird.
Ungerechtigkeit bei digitalen Lernmitteln
Eine Stadt wie Köln, genau wie die vielen sozialen Einrichtungen und Verbände, müssen mit den Folgen der politischen Entscheidungen umgehen, die andere treffen. Die meisten Ausgaben einer Kommune sind Pflichtaufgaben, die sie kaum beeinflussen kann. Darüber hinaus entwickelt sie Angebote zur Beratung und Selbsthilfe. Alles andere sind mehr oder weniger effektive Versuche, die Folgen von Armut zu lindern und die damit verbundenen Ungerechtigkeiten ein wenig abzufedern.
Zum Beispiel in der Schulpolitik: In Deutschland gilt Lernmittelfreiheit. Das heißt, jeder Schüler soll seine Lernmittel kostenlos bekommen. Das Prinzip ist lange ausgehöhlt, doch nun wird es spielentscheidend, weil digitale Lernmittel wie Tablets als Endgeräte angeschafft werden sollen. Die Stadt bemüht sich mit Hilfe ihrer Tochter Netcologne und doch hängt die Frage, wer was bekommt, weiterhin von der finanziellen Potenz der Elternschaft ab. Fördervereine springen ein, wenn sie können. Doch es gibt Schulen, die keinen haben. Bei der aktuellen Debatte zwischen Bund und Ländern über ein Milliarden-Paket zur digitalen Bildung ist die Stadt nur Zuschauer. Ausgetragen wird sie auf dem Rücken der Kinder aus ärmeren Familien.
Im Grunde gibt es nur zwei Handlungsfelder, auf denen die Stadt tatsächlich wirksame eigene Akzente im Umgang mit den Folgen sozialer Ungerechtigkeit setzen kann: Sie kann den Wohnungsbau ankurbeln und sich um die soziale Mischung in jedem Stadtteil kümmern. Ähnlich wichtig ist die große Aufgabe, allen soziale Teilhabe zu ermöglichen. Wer arm ist, kann sich nicht nur weniger kaufen als andere. Er erlebt Ausgrenzung, nimmt nicht mehr teil am gesellschaftlichen Leben. Die Stadt reagiert mit vielen Aktivitäten, um dem entgegenzuwirken. Doch letztlich ist sie auch hier abhängig von Bund und Land. Denn all die Aktivitäten müssen irgendwie bezahlt werden. Insofern ist auch die Frage, wie Bund und Länder eine Großstadt wie Köln finanziell ausstatten, letztlich eine soziale Frage. Denn auch im interkommunalen Vergleich herrscht soziale Ungerechtigkeit. Während in der Theorie der Grundsatz gilt, dass Ungleiches ungleich behandelt werden muss, sieht das in der Praxis noch weitgehend anders aus. So fühlen sich die Großstädte, die eine Vielzahl sozialer Probleme aushalten sollen, nicht selten sehr allein gelassen.
Ideen für die Zukunft
Betroffene zu Experten machen
Es gibt allerlei Experten, die in alle möglichen Entscheidungsprozesse der Stadtentwicklung mit Befugnissen eingebunden werden. Warum nicht auch Menschen mit eigenen Armutserfahrungen? Es ist gut, dass sich Wohlfahrtsverbände mit ihren Kompetenzen einmischen. Doch zusätzlich können auch Menschen, die Armut und Ausgrenzung aus dem eigenen Leben kennen, auf Augenhöhe eingebunden werden. Sie werden zu Beratern der Stadtentwicklungs-, Sozial- oder Integrationspolitik, können aber auch Vermittlerfunktionen einnehmen, wenn es darum geht, bestimmte Gruppen zu aktivieren. Die Erfahrung, vielleicht auch die eigene Sprache sind Kompetenzen, die Verbände, Sozialarbeiter, Verwaltungsmitarbeiter und die meisten Politiker nicht haben. Diese wertzuschätzen ist ein erster Beitrag für mehr Akzeptanz und Teilhabe. Jede Partei könnte solch einem Experten ein Mandat im nächsten Stadtrat garantieren.
Betroffene zu Experten machen
In allen Bereichen, wo die Stadt Einfluss hat, müssen sich die Eintrittspreise ändern. Ein Köln-Tag oder Regelungen für Köln-Pass-Inhaber sind zu wenig. Um möglichst allen das gleiche zu ermöglichen, müssen die Preise runter. Die städtischen Museen, wo Kinder und Jugendliche gar nichts zahlen, sind Vorbilder für Schwimmbäder, Kulturveranstaltungen oder den Zoo. Genauer hinschauen sollte man auch bei der Rheinischen Musikschule oder der Volkshochschule: Sollte sich nachweisen lassen, dass die gültige Gebührensatzung für manchen ein Ausschlusskriterium ist, besteht Handlungsbedarf. Wenn die Stadt mit Privaten Geschäfte macht, indem sie Grundstücke für Sport, Kultur und Freizeit hergibt, kann sie Vereinbarungen über Eintrittspreisgestaltungen zur Bedingung machen.
Die soziale Mischung fördern
Weil in Köln zu wenig bezahlbare Wohnungen gebaut werden, werden Menschen mit weniger Einkommen aus vielen Vierteln verdrängt. Darunter leiden nicht nur die Betroffenen. Diese Entwicklung wird die ganze Stadt verändern, wenn nicht endlich dagegen gehalten wird. Überall muss preiswerter Wohnraum entstehen – vor allem dort, wo die so genannte Gentrifizierung auf Hochtouren läuft oder das massive Auslaufen der Sozialbindung von Wohnungen bevorsteht. Die Anzahl geförderter Mietwohnungen ist in den vergangenen 20 Jahren von rund 100.000 auf knapp 38.000 gesunken – und Politik und Verwaltung haben mehr oder weniger tatenlos zugesehen und in falschem Glauben auf den freien Markt gesetzt. Beim viel zu späten Gegensteuern fehlt es immer noch an Kraft und vor allem Tempo. Es muss gebaut werden! Neben der 30-Prozent-Quote für den sozialen Wohnungsbau braucht es auch eine Quote für Menschen, die auf dem knappen Markt überhaupt keine Chance mehr haben. Außerdem muss die Stadt überall dort die Mischung schützen, wo sie noch lebendig ist – mit Milieuschutzsatzungen und anderen Eingriffen in den Markt. Mit Förderprogrammen, zum Beispiel für studentisches Wohnen oder Existenzgründer, lassen sich auch in sozial benachteiligten Vierteln neue belebende Akzente zugunsten von mehr Mischung setzen. Sozial gemischte Viertel befördern das Miteinander, die soziale Kontrolle und die Solidarität.
KVB billiger machen
Mobilität ist ein zentraler Schlüssel für Teilhabe. Bahn und Bus sind in Köln und im Verkehrsverbund schlicht und einfach zu teuer. Wider jede Vernunft – egal, ob man über Klima- oder Umweltschutz, Verkehrspolitik und Stauvermeidung – Bevölkerungswachstum oder eben auch soziale Teilhabe nachdenkt – wird der Verkehrsverbund zum 1. Januar wieder die Preise erhöhen. Das Gegenteil wäre richtig.
Sozialraumkoordination ausbauen
Die Idee, mit vor Ort tätigen Menschen die Kräfte eines Stadtteils zu aktivieren und zu stärken, ist großartig. Das, was die Stadt etwas hölzern „Sozialraumkoordination“ nennt, muss ausgebaut werden. Bislang gibt es nur elf Sozialraumgebiete, in denen die Veedelsmanager vernetzen, beraten, Neues initiieren und Partizipation fördern. Das brauchen alle Veedel!
Das läuft bereits
In den Bereichen der klassischen Sozial- und Jugendhilfepolitik läuft in Köln vieles recht erfolgreich: Das Programm Lebenswerte Veedel inklusive Sozialraummanagement, Projekte für Langzeitarbeitslose und Flüchtlinge, die Arbeit in den Bürgerzentren, die Angebote im Offenen Ganztag der Grundschulen, Aktionen in Kitas, der Gefährdungsmeldungs-Sofort-Dienst für Kinder in Not, vielfältigste Beratungsangebote, Senioren-Netzwerke und vieles mehr. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Zaghafter sind die Versuche, den Umgang mit den Folgen von Armut als Querschnittsaufgabe der Stadtentwicklungspolitik zu begreifen. Der Köln-Pass verhilft nicht nur zu Ermäßigungen bei Eintrittspreisen, er garantiert auch günstigere Tarife bei Bahnen und Bussen. Ihn beantragen können nicht nur Hartz-IV-Betroffene, sondern auch Menschen, die ein Einkommen beziehen, das bis zu 30 Prozent über der Sozialhilfe oder dem Hartz-IV-Satz liegt. Damit profitieren nicht nur Arbeitslose.