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Streifzug durch die PartymeilenSeltsame Kölner Nächte in Zeiten von Corona

Lesezeit 8 Minuten
Friesenstraße

Die leere Friesenstraße

  1. Friesenstraße, Ringe und Zülpicher Straße sind menschenleer, dabei wäre jetzt nichts besser als zusammen zu sein, zu reden, zu tanzen, zu trinken – und zu vergessen.
  2. Die Zuversicht ist zum Glück noch da. „Wenn die Krise vorbei ist, werden wir explodieren vor Lebensfreude“, sagt Gastwirt Peter Heising. „Ich kann über den Ringen den Sternenhimmel sehen“, erzählt Restaurantbesitzer Kazim Demirbas.
  3. Gespenstisch ist es in diesen Wochen für jeden. Möge doch alles nur ein böser Traum sein!
  4. Ein Streifzug durch die Partymeilen in Zeiten von Corona.

Köln – Auf dem Tresen vom Heising und Adelmann, der mit seinem hellgeschliffenen Ahornholz sonst Hunderten Gläsern, Händen, Bierflaschen trotzt, steht ein einsamer Schwenker, der Hausherr hat ihn mit einem schweren Roten füllt. Epistem heißt der Wein, was sich passend zur Lage mit „Erkenntnis“ oder „Wissenschaft“ übersetzen lässt, 15,5 Prozent Vol.

Peter Heising hat keine Lust auf Depression. „So etwas werden wir nie wieder erleben, die Friesenstraße wochenlang ohne Menschen, die Stadt ohne Lärm“, sagt der 58-Jährige. „Ich glaube, dass ist eine Probe im Moment, die uns Menschen zusammenbringen wird. Und wenn sie vorbei ist, werden wir explodieren vor Lebensfreude und alle zusammen feiern.“

Ringe

Ohne Coronakrise und Kontaktverbot eine beliebte Partymeile für Nachtschwärmer: Die Kölner Ringe

Gerade war es neun, in den Fenstern stehen Schatten und klatschen in die stille Nacht. Ein Mann mit Irokesenfrisur ruft in den Himmel: „Danke Euch! Ich habe es verdient! Ich bin ein Star!“ In Heisings Laden sind freitags um diese Zeit normalerweise gut 200 Gäste, einige noch beim Essen, in den nächsten zwei Stunden füllen sich Barbereich und Tanzfläche, um 0 Uhr ist es gesteckt voll, Menschen, die nach der Woche im Gedränge untertauchen und vergessen, die Bar ist der perfekte Ort zum Vergessen. In den sozialen Medien, die jetzt mit virtuellen Partys versuchen, das Nachtleben zu simulieren, wird gelikt und geteilt, aber kein Klick vergessen, wie sollen Klicks die Bars ersetzen?

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Zeit zu seufzen. Still in diese seltsame Nacht zu schreien. Was wäre in diesem Moment besser als zusammen am Tresen zu stehen und zu reden. Bier zu trinken oder Wein oder Cocktails oder Cola, ein Glas mehr als sonst, oder zwei, oder drei, und weiterzureden und sich zu berühren. Später dann tanzen, ja, klar, mal wieder tanzen, die Babysitterin hat Zeit, endlich tanzen wir mal wieder zu zweit, oder zu viert oder zu tausend, trinken und tanzen, tanzen und trinken; was gäbe es Besseres als tanzen und trinken bis zum Morgengrauen.

Was gäbe es Besseres, um dieses überflüssige, dämliche Coronavirus für ein paar Stunden zu vergessen, die Virologen und Wirrologen, die Hunderttausend Meinungen im Netz, den Krieg ums Klopapier. Eben noch hat ein Sicherheitsmensch vor dem Aldi von einer Massenschlägerei in einem Kölner Supermarkt erzählt. Wegen Klopapier. Klorona, der neue Krieg der Deutschen. Später dann lieber auswandern, in die Länder, in denen sich die Menschen immerhin um Wein und Kondome prügeln.

Besser aber bitte endlich aufwachen.

Der Freitag war lau und warm, das erste Mal im T-Shirt auf der Terrasse, das erste Mal Joggen in kurzer Hose. Die Buchenblätter sprießen und die Sommersprossen im Gesicht meiner Tochter. Väter machen mit ihren Kindern lange Spaziergänge und sehen verwirrt dabei aus.

Maskierte und verstörte Blicke überall

Die Regionalbahn 25 fährt in die Stadt, wie immer. Sie ist nicht ganz pünktlich, wie immer, krächzt und stöhnt, wie immer. Vielleicht ist das alles gar nicht real; die leergeräumten Regale, die Ordnungsamtsbeamten, die in den Zentralen der Kommunikationsunternehmen hocken, auf Bildschirmen Handys orten, um Menschengruppen auseinanderzuscheuchen. Das menschenleere New York, das menschenleere London, die Särge von Bergamo, die erstarrte Sport- und Kulturwelt. Die Maskierten überall, die verstörten Blicke, die Nachbarn, die erschrocken zur Seite weichen, wenn man an ihnen vorbeijoggt, die Schilder im Königsforst: „Radstrecke geschlossen wegen Covid 19“.

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Die Kollegin, die ihren todkranken Vater nicht besuchen kann, der befreundete Arzt, dem übel wird, wenn er die eilig ausgearbeiteten Ethik-Empfehlungen seiner Zunft liest, die ihm nahe legen, wen er im erwarteten Fall erschöpfter Kapazitäten behandeln soll – und wen nicht. Die fernen Eltern und Großeltern, die geschlossenen Schulen und Kitas, die Langeweile und Überforderung zu Hause.

Und: Die geschlossenen Bars und Kneipen. In einer Stadt, die doch gar nicht anders kann, als zu schunkeln und sich schön zu trinken und sich nachts im Spiegel anzuglotzen und zu denken: Och, so schlecht sehe ich doch nicht aus.

Plötzlich geht alles anders

Covid 19, SARS-CoV-2, was für ein Name überhaupt. Covid 19, Du hörst Dich an wie ein junger Schwachkopf, nicht zurechnungsfähig, Vollspritti, wahrscheinlich, unsichtbar, sowieso, außer auf diesen Tausenden blöden Porträts von dir, ein abgrundtiefhässliches Mondgesicht mit roten Pickelstäbchen. Gut, vielleicht mit einem gewissen Reiz des Außerirdischen, Bedrohlichen, das dem Homo sapiens seine ja doch irre Überheblichkeit austreiben kann. Plötzlich geht alles anders, ohne Flüge, ohne Meetings überall, ohne Standesdünkel. Immerhin. Aber bitte bitte, Covid 19, sei nur eine Schimäre, oder, wenn’s sein muss: ein heilsames Schreckgespenst.

In der Bahn hocken sieben Menschen, zwei davon mit Mundschutz, Freitagabend um 20.15 Uhr. Meine Kinder haben gesagt, fahr‘Auto, Papa, Bahnfahren ist zu gefährlich! An jedem Griff, in jedem Sitz könnten ja die pickeligen Mondgesichter lauern! Wenn aber jeder einen Waggon für sich hat, können die unsichtbaren Hackfressen wenig ausrichten.

Rolltreppe

Ebenfalls menschenleer: Die Rolltreppe an einer Kölner Bahnstation.

Auf dem Weg vom Bahnhof zur Friesenstraße kauern zwei Männer vor einer Notunterkunft und überlegen, ob sie lieber draußen schlafen. Auf dem Friesenplatz sitzt Marco Bachhoven, in der Rechten ein Transistorradio, in der Linken eine Flasche Bier. „Ich hätte jetzt eigentlich Stammtisch im Brauhaus Em Hähnche“, sagt er, „aber ein, zwei Bier hier draußen sind auch okay. Gut, eigentlich Driss, aber hilft ja nichts.“ Im Radio laufen Nachrichten, Corona-Tote, Ausgangssperre, Promi-Infizierte.Auch mit Peter Heising geht es natürlich um die Krise. „Es ist ein Riesenskandal, dass die Minijobber jetzt keine Hilfen bekommen, ich habe ungefähr 40 und überlege, wie ich ihnen helfen kann“, sagt er. „Ich wundere mich, dass ein Land wie Deutschland nicht genug Atemmasken hat. Der Gesundheitsminister wollte ja im vergangenen Jahr noch die Hälfte der Krankenhäuser schließen, jetzt redet er davon, wie gut unser Gesundheitssystem sei, man versteht so einiges gerade nicht.“ Heising hat für 15 Euro in der Apotheke einen Mundschutz erstanden, der Verkäufer habe ihm gesagt, zu normalen Zeiten würde sie ein Euro kosten.

Aber er möchte eigentlich nicht über all die Schreckensnachrichten reden, nicht darüber, dass sein Laden zwei, maximal drei Monate ohne Einnahmen überstehen könnte. „In Quarantäne steckt die 40 drin“, sagt er, „40 Tage Extremfasten, sozusagen. Ich hoffe, nach Ostern geht die Lebensfeier wieder los, und zwar richtig, auch wenn es mit einem vollen Laden wahrscheinlich noch viel länger dauert.“ Er muss jetzt noch für ein paar Stunden ins Büro über dem einsamen Tresen, um den Schwund zu verwalten.

Die Stadt ist dunkler in diesen Wochen

Irgendwann verschwindet alles. Die Großeltern verschwinden irgendwann und die Eltern, der Babyspeck und die Haare, die Blumen und die Bäume und die Träume. Okay, so ist das wohl. Im Moment aber verschwindet fast alles auf einmal im Zeitraffer, die Jobs und die Hobbys, die Tinder-Dates und die Gottesdienste, die Selbstverständlichkeit, als Vater die Geburt des eigenen Kindes zu erleben und bei der Beerdigung der Lieblingstante dabei zu sein. Bei manchen verschwindet der Verstand und bei vielen das Leuchten in den Augen.

Kazim Demirbas sitzt vor einem zur Krise passenden Stillleben aus Desinfektionsmittel, Raumspray, Raki, Zigaretten und Blutorangensaft im Neonlicht vor einer weißen Tapete seines Restaurants Planet Oriental am Ring, hat aber noch gut Leben in den Augen. „Ich habe hier unterm Dach mein Büro. In den 20 Jahren, seit ich hier bin, konnte ich noch nie so gut die Sterne sehen“, sagt er. „Es gibt keinen Smog. Ich höre morgens die Vögel. Ich habe hier noch nie Vögel gehört!“ Zur Begrüßung gibt es einen guten Spritzer Desinfektionsmittel in die Hände, auch ein Raki soll beim Töten möglicher Pickelmonde helfen.

Zülpe

Dunkel und menschenleer: Die sonst nachts so belebte Zülpicher Straße in Köln (Symbolbild)

Demirbas hat seine eigene Theorie über die Corona-Pandemie. „Es ist ein Test. Ich glaube, dass das Virus in Laboren entwickelt wurde, es soll den Kapitalismus und die Demokratie schwächen. Schau‘, die Leute dürfen nicht mehr auf die Straße, sie gehen nicht mehr demonstrieren. Jeder hat die Hosen voll. Es ist so leicht, alles einstürzen zu lassen, was der Westen hat.“

Wie bei allen großen Krisen gehen alternative Sichtweisen gerade viral, das bringen Wucht und Ängste wohl mit sich. Auch er habe Angst, sagt Demirbas, mit 59 gehöre er zur Risikogruppe, statt 300 Kebabs verkaufe er an einem Freitag momentan 30, „aber ich will zumindest für meine Stammkunden da sein, und was soll ich den ganzen Tag zu Hause?“ Er zeigt noch Fotos mit Filmstars wie Christopher Lambert und Sophie Marceau, er hat schon mit vielen vor der Kamera gestanden, wird immer mal wieder für die Rolle des Mafiabosses besetzt. Er bleibt vor seinem skurrilen Stillleben sitzen, ein kleiner Absacker noch, dann möchte er sich vom Dach wieder die Sterne angucken.

Die Stadt ist dunkler in diesen Wochen, die Leuchtreklamen, immerhin, sie leuchten noch. Richtung Zülpicher Platz läuft eine Blonde mit kurzem Lederrock, ein dunkler Sportwagen hupt zweimal, prolliger kleiner Ring-Lebensschimmer. Auf der Partymeile der Studenten stehen Marco, André und Daniel mit Kölsch in der Hand. „Wir sind jeden Freitag hier, wollten wir so beibehalten“, sagt Marco. „Funzt aber nicht. Ist wie im Science-Fiction-Film.“ Stimmt, funzt nicht.

In einer leeren Imbissbude noch ein letztes Bier, schmeckt nicht besonders, zusammen mit ein bisschen Musik auf den Ohren lässt es immerhin ein paar schöne Gedanken aufkommen. Wie gigantisch das werden wird. „Die Stadt wird explodieren vor Lebensfreude, wir werden alle zusammen feiern.“ Lieber Peter Heising, ich nehme Dich beim Wort!