Streitfrage BargeldDigitales Bezahlen erhöht das Risiko der Schuldenfalle
- Seit der Corona-Pandemie bezahlen mehr Menschen auch kleinere Einkäufe mit Karte oder per App. Was spricht dafür, künftig ganz auf Münzen und Scheine zu verzichten – und wo liegen die Tücken digitalen Bezahlens?
- Ein Streit.
Köln – Mein Bankberater riet einst zu Zinnbechern. Eine ganze Sammlung davon stünde da bei ihm zu Hause. Einer fürs Essen, einer fürs Ausgehen, einer fürs Auto, einer für Urlaub, sogar das Meerschweinchen hatte sein eigenes Behältnis. Zu Monatsbeginn würden die Töpfchen mit Bargeld vom Konto befüllt. Große Scheine für den Haushalt, eher kleine für Freizeit und Haustier. Zugegeben, eine umständlich und antiquierte Idee. Zudem: Wer will schon Zinnbecher in der Vitrine stehen haben? Aber der Bankmann verknüpfte mit der Becherdisziplin das Versprechen eines Lebens frei von Geldsorgen für all diejenigen, die eine einzige Regel einhielten:
Ist der Freizeit-Becher leer, muss der Kinobesuch warten.
Man muss es nicht übertreiben, aber längst mahnen Experten, dass die komplette Digitalisierung unseres Geldsystems dazu führt, dass wir Bezahlvorgänge nicht mehr überblicken können. 50 Euro als materiellen Schein über den Tresen reichen und vor allem anschließend der Anblick eines leeren Portemonnaies ist auch ein Akt der Kommunikation, den unser Gehirn besser begreifen kann, als einen virtuellen Bezahlvorgang.
Bei Geld übernimmt die Hirnregion für Triebbefriedigung
Denn – und jetzt müssen alle, die an die Logik der Wirtschaftswissenschaften glauben, sehr stark sein – geht es ums Geld, benutzen wir Neurofinanzwissenschaftlern zufolge leider nicht die Hirnregionen, die für rationales Denken zuständig sind, sondern überlassen Arealen das Ruder, die für Triebbefriedigung und Emotionen zuständig sind. Der Homo oeconomicus agiert also beim Kaufen ebenso wie der Steinzeitmensch, der die Steppe nach Nahrung durchforstete.
Die neuronalen Muster in Gehirnregionen, die heiß laufen, wenn wir über den Kauf einer Luxus-Uhr nachdenken, sind Hunderttausende von Jahren alt. Dazulernen dauert da schon mal ein Weilchen. Die EC-Karte, der Dinosaurier unter den digitalen Bezahlmethoden, gibt es aber gerade mal seit 50 Jahren. Da kann das Steinzeitgehirn in uns beim digitalen Haushalten hier, beim Paypalen für das Geburtstagsgeschenk des Neffen da, beim Applepayen für den Lunch und beim Klarna-Zahlen für den Urlaub (ah, da klick ich „Zahlen erst in 30 Tagen“ an) oder beim Kreditkartenzücken für den Designerrock schon mal den Überblick verlieren. Und schon sitzt der vermeintlich kluge Homo sapiens in der Schuldenfalle.
Gerade bei Jugendlichen warnt zum Beispiel der Wissenschaftler Marc Urlen vom Deutschen Jugendinstitut vor Überschuldung durch digitales Bezahlen. Er beobachtet gerade im Bereich von Apps und Onlinespielen, wie den Heranwachsenden die Kontrolle über das virtuelle Geld verloren geht. Und generell: Wie sollen kleine Kinder den Umgang mit Geld erlernen, wenn das Bargeld abgeschafft ist? Ob ein Fünfjähriger mit einer Kinderkreditkarte beim Kauf seiner gemischten Tüte gut beraten ist, sei wirklich mal dahingestellt.
Mit Geld umgehen, muss man lernen
Es geht gar nicht darum, reich zu werden. Wer gelernt hat, sparsam und gut mit Geld umzugehen, vermeidet vor allem eine Menge Anlässe für Unglück im Leben. Geldknappheit und Schulden sind Schicksalsschläge, vor denen wir uns und unsere Kinder bewahren sollten. Selbst wenn wir dazu Zinnbecher brauchen.
Claudia Lehnen ist Ressortleiterin Story/NRW. Die Sache mit den Zinnbechern hat sie nie umgesetzt, erinnert sich aber gut an das Gefühl, jede Woche ein Zwei-Mark-Stück zu sparen und Wochen später den kleinen Münzberg gegen ein Barbiepferd einzutauschen.
Die Deutschen hängen ganz energisch am Bargeld. Aber warum nur? Es gibt Alternativen, die viel praktischer, sicherer und transparenter sind. Und Bargeld hat viele Nachteile. Aber der Reihe nach.
Eines hat die Corona-Pandemie gezeigt: Bargeld ist unhygienisch. Das Sprichwort, dass Geld nicht stinkt, ist metaphorisch gemeint und falsch. Das weiß jeder Banklehrling, der mal Kasse machen musste. Geld geht durch viele Hände, das haben auch die Verbraucher erkannt. So erhöhte sich der Anteil unbarer Zahlungen laut einer Yougov-Studie von November 2019 bis April 2020 von 52 auf 56 Prozent.
Bares ist aber nicht nur im rein wörtlichen Sinne schmutzig. Es ist das einfachste Vehikel, illegale Geschäfte unentdeckt zu lassen. Hohe Barzahlungen lassen sich nur schwer aufdecken und stellen für Straftäter somit eine gute Gelegenheit zur Geldwäsche dar, argumentiert auch die EU-Kommission. Eine Bargeldobergrenze oder sogar die Abschaffung machte es Kriminellen schwerer, den illegalen Ursprung ihrer Erträge zu verschleiern. Terrorismusfinanzierung würde ebenso erschwert wie Schwarzarbeit.
Schwarzarbeit würde der Vergangenheit angehören
Denn anders als elektronische Einzahlungen oder Überweisungen hinterlassen Bargeldgeschäfte kaum Spuren. Somit könnte eine Abschaffung von Scheinen und Münze kriminelle Machenschaften eindämmen. Ohne Bargeld könnte die schwarz bezahlte Putzhilfe genau so der Vergangenheit angehören wie Drogenhandel auf der Straße. Auch Handwerker mit der Frage „Brauchen Sie eine Rechnung?“ dürften ein Problem bekommen. Der Schaden durch Schwarzarbeit trifft alle und würde radikal minimiert. Und Straßenprostitution mit der EC-Karte zu bezahlen dürfte zumindest bei Inhabern von Gemeinschaftskonten erhebliche Fragen des Partners auslösen.
Obendrein hat bargeldloses Zahlen etliche Vorteile. Gegner argumentieren, Bargeld erleichtere den Überblick über die Finanzen. Das ist schlicht falsch. Jedes online geführte Konto ermöglicht es, Zahlungen noch über Monate und Jahre im Nachhinein zu überblicken. Bargeld ist futsch; wer sich nicht erinnert oder Buch führt, hat Pech. Oder wissen Sie noch, was Ihr Weihnachtsbaum 2020 gekostet hat? Im Online-Banking oder auf dem Kontoauszug könnten Sie es nachschauen.
Karte passt im Zweifel in die Badehose
Bargeld ist gefährdet. Denn es kann gestohlen werden oder verloren gehen. Überfälle auf Tankstellen oder die Sprengung von Geldautomaten wären ohne Bargeld sinnlos und Geschichte. Und Bargeld ist unpraktisch, nie hat man es passend, kleinste Münzen machen Portemonnaies schwer und unhandlich. Bezahlvorgänge sind unbar viel schneller. Eine Karte passt im Zweifel sogar in die Badehose.
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Nicht zu vergessen: Bargeld ist teuer. Die Händler kostet es Millionen, Bargeld transportieren zu lassen, zu zählen und zu bewachen. Außerdem macht es mit Blick auf die Nachhaltigkeit auch wenig Sinn, tonnenweise Kupfergeld mit geringstem Wert von A nach B zu transportieren. Skandinavische Länder oder die Niederlande machen es vor: Es geht auch unbar, mit mehr Vorteilen als Nachteilen. Und auf dem Flohmarkt kann man genauso Geschäfte per Paypal abwickeln wie im Freundeskreis, sekundenschnell kostenlos und sicher. Bargeld ist ein überholtes Vehikel des vor-digitalen Zeitalters.
Thorsten Breitkopf ist Leiter der Wirtschaftsredaktion, BWLer und gelernter Bankkaufmann. Er hat nie mehr als 20 Euro im Portemonnaie und zahlt unbar, wo immer es möglich ist. Seine Meinung: „Ohne Bargeld ist Schwarzarbeit Geschichte“.