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Südstadt, Ehrenfeld, KalkErst arm, dann sexy und dann unbezahlbar

Lesezeit 12 Minuten
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Um sich gegen Gentrifizierung zu wehren, müssen Nachbarschaften sich solidarisieren und Räume für die Begegnung schaffen, fordert der Kölner Soziologe Davide Brocchi.  Sie sollten in Eigenregie rausfinden, wer die Besitzer der Häuser sind und ihre eigene Straße kartieren. 

  1. Die Südstadt, Ehrenfeld, als nächstes Köln-Kalk: Die Viertel werden schicker, der Wohnraum immer teurer.
  2. Doch es regt sich Widerstand. Und auch die Stadt Köln erkennt, dass sie etwas tun kann, um der Gentrifizierung entgegen zu wirken.
  3. In Einzelfällen gibt es jetzt Erfolge. Aber reicht das, um die Entwicklung zu stoppen? Ein Dossier.

Köln – Vor der Wohnungstür stehen wie anno dazu mal die Kohlen im Metalleimer. In der gemütlichen Wohnküche der WG im dritten Stock bollert der Ofen. Timo Glatz (39) rührt in seinem Minztee. „Wir hier wollen dieses Haus der Spekulationsblase des aufgeheizten Immobilienmarktes entziehen. Wir wollen ein Zeichen setzen, dass auch Familien, Migranten und Studierende sich das Wohnen in der Innenstadt noch leisten können müssen“, sagt der Politikwissenschaftler.

In dem Haus an der Ludolf-Camphausen-Straße 36 direkt am Bahnhof Köln-West wohnen 30 Menschen – Senioren, Studenten, Familien, Migranten und Flüchtlinge – in einer bunten Hausgemeinschaft zusammen. Es steht da wie ein trotziger Solitär und erinnert an ein Stück Berlin Prenzlauer Berg aus den 90ern.

Das Haus in bester Innenstadtlage gehört der Stadt. Erste Hausbesetzer kamen in den 80ern, später erkämpften die Bewohner einen regulären Mietvertrag. Der Deal: Geringe Miete gegen einen Wohnraum, in den die Stadt allenfalls investierte, wenn es durchregnet.

Haus soll an Investor verkauft werden

Als die Bewohner vor zwei Jahren erfuhren, dass das Haus an einen Investor verkauft werden sollte, der Abriss und Neubau plante, war hier allen klar, „dass wir uns das nicht einfach gefallen lassen“.

„LC 36“ wie es die Bewohner nennen, ist ein Symbol geworden für den Kampf darum, wem die Stadt gehört. Für den Kampf gegen Gentrifizierung, also die Verdrängung ärmerer durch reiche Mieter, und für bezahlbaren Wohnraum in den Städten.

Hartnäckig rangen die Bewohner darum, das Haus gemeinschaftlich von der Stadt zu kaufen, um es endlich energetisch sanieren zu können und Planungssicherheit zu schaffen. Jetzt sind sie nach langwierigen Verhandlungen kurz vor ihrem Ziel: Die Stadt hat ein Angebot gemacht, der Hausgemeinschaft die Immobilie im Rahmen eines Erbpachtvertrages zu überlassen.

LC36_Gentrifizierung

Die Bewohner des Hauses Ludolf-Camphausen-Straße 36 in der Nähe des Westbahnhofs wollen bleiben.

Die Bewohner könnten dann über einen Kredit endlich das Haus auf Vordermann bringen und hätten die Sicherheit, bleiben zu dürfen. Das bereits durchgerechnete Modell sieht vor, dass die Mieten der Bewohner der monatlichen Tilgungsrate entsprechen. „Von den Kosten her würden wir immer noch unter dem Mietspiegel liegen und keiner müsste ausziehen“, erläutert Glatz. Die Verhandlungen sind in der Endphase.

Dass der Kampf nach so vielen Jahren ausgerechnet jetzt zu Ende geht, ist vielleicht kein Zufall. „Köln macht sich auf den Weg. Das Ringen um am Gemeinwohl orientiertes Wohnen ist kein Hobby- oder Nischenthema mehr“, konstatiert Sascha Gajewski.

Auch die Stadt habe die Dringlichkeit des Themas verstanden und öffne sich seit Neuestem zum Beispiel solchen Erbpachtmodellen. „Aber es dauert alles zu lange. Was fehlt, ist das entschlossenere, schnellere Handeln.“

Daher suchen Bürger nach Wegen, wie man sich zur Wehr setzt und dafür sorgt, dass Wohnen nicht Gegenstand von Finanzspekulation und Gewinnmaximierung wird. Gajewski ist Berater in der Energiebranche und wehrt sich auf seine Weise: Gemeinsam mit 30 Mitstreitern hat er den Verein „Stadtraum 5 und 4“ gegründet.

Ziel ist, aus der Stadtgesellschaft heraus die Gründung junger Genossenschaften voranzutreiben über die Rechtsform der Stiftung. Ganz konkret in Planung ist ein genossenschaftliches Projekt mit 50 bis 250 Wohneinheiten, für das der Verein jetzt Investierende und Bewohner sucht und intensiv mit der Stadt über ein passendes Grundstück verhandelt.

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Teilnehmer an einem Protest gegen die Zwangsräumung einer Wohnung an der Dubliner Straße 8 in Berlin-Wedding stehen Anfang August 2019 mit einem Transparent vor dem Haus. 

„Am liebsten in Ehrenfeld oder Kalk.“ Gerade der genossenschaftliche Wohnungsbau gilt unter Stadtsoziologen als wirksames Mittel, den Gentrifizierungsprozess aufzuhalten. In Köln macht er aber nur einen Anteil von nicht einmal zehn Prozent des Mietwohnungsbestandes aus.

„Die Zeit ist reif“, meint Marie (34), die auch in der WG von LC36 lebt. Reif für Erfolgsgeschichten im Widerstand gegen Gentrifizierung. Bevor Marie hier eingezogen ist, hat sie ihre Haus-WG im direkt angrenzenden Ehrenfeld wegen Eigenbedarfskündigung verloren.

Klassischer Weg zu Gentrifizierung in Ehrenfeld

Was ihr passierte, ist der Klassiker: „Der Besitzer wollte sanieren und in Eigentumswohnungen umwandeln. Da habe ich gemerkt, wie schnell das gehen kann.“

Erst arm, dann sexy, dann teuer. Das ist der Weg, auf dem sich zum Beispiel Ehrenfeld gerade befindet. Dabei führt der Blick nach Berlin vor Augen, was es in Köln zu verhindern gilt: Nach Berechnungen der international tätigen Immobilienberatungsfirma JLL sind die Mieten in der Hauptstadt seit 2004 um 80 Prozent gestiegen, die Kaufpreise sogar um 129 Prozent.

Eine Analyse des Berliner Senats ergab, dass mittlerweile zwei Drittel aller Immobilien in Berlin an ausländische Investoren verkauft werden. Und die Stadt Berlin greift inzwischen zu radikalen Mitteln: Mit einem Mietendeckel wurden die Mieten für die vor 2014 fertig gestellten Wohnungen für fünf Jahre eingefroren sowie Obergrenzen für Neuvermietung und Bestandsmieten eingeführt.

Gentrifizierung_Demo

Besonders die alternative Kulturszene und die Musikclubs sind in Ehrenfeld von Verdrängung bedroht oder mussten teilweise schon abwandern.  Mit Demonstrationen durch den Stadtteil protestieren Kulturschaffende  dagegen, dass das Viertel einen Teil seiner Seele verliert.

Im von Gentrifizierung besonders betroffenen Stadtbezirken wie Kreuzberg und Friedrichshain kaufte die Stadt über das seit 2015 im Milieuschutzgesetz verankerte Vorkaufsrecht 1780 Wohnungen zurück, um sie dem Markt zu entziehen und so der Gentrifizierung entgegenzuwirken.

Prozess in der Südstadt abgeschlossen

Der Gentrifizierungsprozess läuft in vier Phasen ab, die sich über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren erstrecken. In ehemals gemischten Stadtteilen wie der Südstadt oder Sülz ist dieser Prozess längst abgeschlossen: Die Mieten sind flächendeckend sehr hoch und die Bevölkerung besteht in weiten Teilen aus gehobener Mittelschicht.

Während die Entwicklung in Vierteln wie Mülheim und seit einiger Zeit auch Kalk noch relativ am Anfang steht, hat sie in Ehrenfeld schon mächtig Fahrt aufgenommen: Stufe 3 konstatiert der Soziologe Jörg Blasius, der mit dem in diesem Jahr verstorbenen Kölner Soziologen Jürgen Friedrichs zusammen den Kölner Wohnungsmarkt in den Blick genommen hat.

Dass die Situation sich so verschärft hat, ist mehreren Faktoren geschuldet: Köln ist Zuzugsgebiet, wodurch Angebot und Nachfrage immer weiter auseinanderklaffen. Gleichzeitig hinkt die Stadt beim sozialen Wohnungsbau stark hinterher.

Gentrifizierung läuft in vier Phasen ab – Phase 1

In einen ärmeren Stadtteil mit niedrigen Mieten und hohem Arbeiter- und Migrantenanteil ziehen die so genannten Pioniere ein: Das sind etwa Studenten oder Kreative. Die Pioniere ergänzen die Alteingesessenen. Sie verändern die dortige Lebenswelt und werten das Viertel auf. Langsam siedeln sich auch neue Geschäfte an. (ari)

Und das vor dem Hintergrund, dass sich die Zahl der Sozialwohnungen in Köln in den vergangenen 15 Jahren halbiert hat und nur noch sieben Prozent Anteil am Markt – in einer Stadt, in der die Hälfte aller Bürger Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein besitzen. Bis 2030 wird die Hälfte aller Kölner Sozialwohnungen aus der Preisbindung herausfallen. Dann sind die Vermieter nicht mehr an die festen, niedrigen Mietpreise gebunden.

Parallel dazu investieren in Niedrigzinszeiten Wohlhabende und Investoren in „Betongold“ – zusätzlich motiviert durch die steuerliche Förderung für Luxussanierungen und energetische Sanierung. Wenn Quartiere angesagt sind, kaufen Entwickler Häuser auf und bringen zusätzlichen Druck auf den Markt.

Sie nutzen die Möglichkeit, durch Sanierungen die Mieten hochzutreiben oder aus Mietwohnungen Eigentumswohnungen zu machen.

Gentrifizierung – Phase 2

In der zweiten Phase kommen immer mehr Pioniere und zudem die ersten Gentrifizierer. Das sind Menschen mit höheren Einkommen, die die Buntheit des Viertels schätzen und die wachsende Gastronomieszene. Makler entdecken das Viertel und die Mietpreise steigen an. (ari)

In Ehrenfeld ist beides spürbar: Der Druck auf dem Immobilienmarkt und der Kampfgeist der Bewohner, sich zu wehren. „Die Leute merken, dass ihr Stadtteil am Scheideweg steht, und keiner will das“, sagt Gajewski. Noch ist das Veedel bunt: Alte Menschen mischen sich mit Migranten und Familien, Kreative mit Studenten.

Es gibt viele Initiativen und funktionierende Straßengemeinschaften. Aber Investoren haben längst den Verdrängungsprozess in Gang gesetzt. Clubs wie das Underground und andere Einrichtungen der Subkultur, die Ehrenfeld zu dem gemacht haben, was es ist, mussten bereits weichen.

26,50 Euro kostete kürzlich der Quadratmeter kalt in einem neu gebauten Appartmenthaus in Ehrenfeld an der Overbeckstraße. Auf Immobilienportalen wird aktuell eine Eigentumswohnung in der Röntgenstraße für 9000 Euro pro Quadratmeter angeboten.

Gentrifizierung Phase 3

Die Gruppe der Gentrifizierer steigt stark an, Investoren kaufen Immobilien, um sie einer Luxussanierung zu unterziehen. Immer mehr Mietwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt. Ehemalige und Pioniere werden verdrängt. (ari)

Selbst im angrenzenden Bickendorf – vormals nicht gerade als hochpreisig bekannt – werden in einem Neubau an der Rochusstraße 17 Euro pro Quadratmeter verlangt.

Wenn Wohnungen „Betongold“ werden, bleiben nicht nur Einzelne auf der Strecke, die sich die Stadt nicht mehr leisten können. Es verändert sich der gesamte urbane Raum. „Das spürt man jetzt schon deutlich“, erzählt Ruth Spätling.

Sie wohnt in der Lessingstraße in Alt-Ehrenfeld. „Es gibt Anwohner mit mehreren Kindern, die erzählen, wie von einem Kind zum nächsten die Zusammensetzung in der Grundschulklasse plötzlich viel homogener wurde. Die Nachbarschaft wird sichtbar jünger und reicher.“

Gentrifizierung Phase4

In Phase vier ist der Austausch der Bevölkerung weiter fort geschritten, die Verdrängung wird fortgesetzt. Jetzt sind nicht mehr nur Alteingesessene und Pioniere stark gefährdet. Auch die ersten Gentrifizierer haben nun Angst, verdrängt zu werden und die stark steigenden Mieten nicht mehr zahlen zu können. (ari)

„Eigentlich müsste jetzt ganz schnell etwas passieren“, konstatiert Gajewski. Eine Milieuschutzsatzung würde die Reste von Ehrenfelds Buntheit retten. Oder zumindest den Prozess verlangsamen. Am besten in Kombination mit einem Vorkaufsrecht der Stadt.

Mit solchen Milieuschutzsatzungen kann in bestimmten Gebieten die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verboten werden. Modernisierungen werden dann nur genehmigt, wenn sie keine Luxussanierungen sind.

Ein Instrument, das in Städten wie Hamburg und München an vielen Stellen angewandt wird. Allein in Berlin gibt es inzwischen 58 solcher Satzungen. Teilweise in Kombination mit einem Vorkaufsrecht der Stadt, wenn in dem Satzungsgebiet Immobilien verkauft werden.

In Köln arbeitete die Stadtverwaltung fünf Jahre an einer Milieuschutzsatzung für das Severinsviertel, die als Muster für andere Viertel dienen soll. Im vergangenen Monat wurde in der Bezirksvertretung die erste Abstimmungshürde genommen – gegen den Protest zahlreicher Hausbesitzer.

Baudezernent Markus Greitemann betont, „dass auch in Köln das Vorkaufsrecht eines von mehreren Instrumenten sein kann, um bezahlbaren Wohnraum zu erhalten.“ Außerdem setzt er auf das kooperative Baulandmodell, das Bauherren jetzt in Köln bei Projekten ab 25 Wohnungen zur Auflage macht, 30 Prozent der Wohnungen in gefördertem Wohnungsbau zu realisieren.

Zudem will die Stadt bei Grundstücksverkäufen künftig verstärkt auf das Erbpachtmodell setzen, um diese der Bodenspekulation zu entziehen. So können städtische Grundstücke einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden, ohne sie zu verkaufen.

LC 36 gehört zu den ersten Nutznießern dieser Neuausrichtung bei der Vergabe von Baugrundstücken. „Die Politik muss regulieren. Aber es braucht auch eine Graswurzelbewegung in den einzelnen Vierteln, um Druck zu machen“, fordert der Kölner Soziologe Davide Brocchi, Initiator des „Tages des guten Lebens“. Menschen, die der Politik auf die Finger schauen, wie sie mit Investoren umgeht und die selber kreativ werden.

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Ruth Spätling (r.) und ihre Mitbewohnerin Marike Flömer vom Mietersyndikat in der Ehrenfelder Lessingstraße beobachten, dass sich der Stadtteil stark verändert. 

So wie Ruth Spätling in der Lessingstraße: Das Haus haben die freischaffende Künstlerin und ihre fünf Mitbewohner mit dem Mietshäuser-Syndikat erworben. Das ist eine Beteiligungsgesellschaft für den gemeinschaftlichen Erwerb von Häusern.

Das Syndikat beteiligt sich an Projekten, damit diese dem Immobilienmarkt entzogen werden. Spätlings Anliegen ist es, solche Modelle bekannter zu machen.

Immer wieder fragen Interessenten bei ihr an und das zweite in Köln angesiedelte Mietshäuser-Syndikat in der Neuerburgstraße in Kalk macht sogar Info-Abende, um das Modell bekannter zu machen. „Es geht darum, dass Mieter sich zusammentun, die Sache selbst in die Hand nehmen und so der Ohnmacht entgegenwirken.“

Aber es muss nicht immer gleich das große Rad sein, was gedreht wird. Es gehe um „innere Unruhe auf der Makroebene, die erzeugt werden muss“, erklärt Brocchi im Soziologendeutsch. Was er meint, zeigen die Ehrenfelder etwa mit ihrem erfolgreichen Protest gegen die Verdrängung von weiteren wichtigen Veedels-Einrichtungen wie dem Programmkino Cinenova: Knapp 19.000 Menschen unterschrieben die Petition für den Erhalt ihres Kinos an der Herbrandstraße.

Die Bezirksvertretung reagierte und engagierte sich: Nun soll die Stadt für die Herbrandstraße einen Bebauungsplan aufstellen, der als Ziel dort ein Gewerbegebiet festsetzt und damit die drohende Ansiedlung hochpreisiger Appartmenthäuser verhindert. Als nächstes soll mit einer Petition der Jazzclub „Barinton“ an der Lichtstraße, dem die Schließung droht, gerettet werden.

Wichtig sei aber auch, dass die Bewohner auch im Kleinen kooperieren und Nachbarschaftsallianzen bilden, erläutert Brocchi. „Wenn das Quartier zur Wohngemeinschaft wird, können Menschen besser vor Verdrängung geschützt werden. Gerade ältere Alleinlebende sind oft schutzlos, wenn sie die Eigenbedarfskündigung bekommen oder die Miete stark ansteigt. „Wenn aktive Nachbarschaften das mitbekommen und Unterschriften sammeln, sieht das gleich anders aus.“

Es sei wichtig, die Anonymität der Straße aufzuheben und Formen von selbst verwalteten Gemeinschaftsräumen für Begegnungen zu schaffen. So sei das Erfolgsmodell der weit über Ehrenfeld hinaus bekannten Körnerstraße ohne das Atelier Colonia als Treffpunkt der Nachbarschaft nicht denkbar.

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Brocchi schlägt zudem vor, dass die Nachbarschaften ihr Quartier nach Eigentumsverhältnissen kartieren. Nur mit dieser Art Selbstermächtigung der Mieter könne man rausfinden, wer Eigentümer welcher Häuser ist, wer in der Stadt investiert und was verkauft wird.

„Dann kann man auch die Stadt auf potenzielle Vorkaufsrechte hinweisen.“ Brocchi kann sich vorstellen, dass so etwas in Ehrenfeld funktionieren könnte.

Ob das alles die Gentrifizierung aufhält, ist fraglich. Allerdings hofft Gajewski, dass es ein Lernfeld ist für Kalk. Der Stadtteil ist so etwas wie ein Hoffnungsträger, weil hier der Prozess noch am Anfang steht und aus Fehlern der Vergangenheit gelernt werden kann.

„Kalk könnte der erste Stadtteil Deutschlands werden, in dem Gentrifizierung stattfindet, ohne dabei zu überdrehen“, prophezeite der Soziologe Friedrichs einmal in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. In dem multikulturellen Stadtteil haben 60 Prozent der Menschen Migrationshintergrund, ein Viertel bezieht Hartz IV.

Die Zahl an schicken, renovierbaren Altbauten ist begrenzt. Die Pioniere in Gestalt von Studenten und Kreativen sind längst da, was sich nicht nur an gastronomischen Angeboten wie dem angesagten veganen Restaurant „Trash Chic“ mit seinem Soya-Gyros ablesen lässt.

Durch das Stadterneuerungsprogramm „Soziale Stadt Kalk“ und das Neubaugebiet auf dem ehemaligen Gelände der Chemiefabrik Kalk wurde der Stadtteil auch für junge Familien interessant. Wohnprojekte wie „Futur3“ der GAG etablieren neue Formen gemeinwohlorientierten Wohnens .

„Bis jetzt sind keine negativen verdrängenden Effekte messbar“, sagt Dezernent Greitemann. Die Stadt beobachte im Gegenteil eine Revitalisierung des einst vernachlässigten Stadtteils.

Kalk soll ein sozial durchmischtes Viertel werden, in dem sich auch die weniger Betuchten bezahlbaren Wohnraum leisten können. Aber die Mieten gingen auch in Kalk schon nach oben, sagt Gajewski. Jetzt komme es darauf an, dass die Stadt schnell ist. „Milieuschutz und Vorkaufsrecht müssen rasch greifen.“