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Zum WeltflüchtlingstagSyrisches Mädchen in Köln notoperiert

Lesezeit 7 Minuten

Ein Bild aus glücklichen Zeiten: die Familie in Aleppo

Köln – Die siebenjährige Rosel aus Aleppo, der ein verweigertes Visum fast das Leben gekostet hätte, geht seit Februar in Köln zur Schule und spricht fast fließend Deutsch. „Ich habe zu Hause einen Stift, der redet, wenn man draufdrückt“, sagt sie, und malt mit Buntstiften eine lachende Sonne auf Papier, während ihre Mama Rania Battal im Interkulturellen Zentrum Vingster Treff die Geschichte der Familie erzählt. Es ist eine traurige Geschichte, die von einem Vater handelt, der inzwischen tot ist, von der im letztem Moment geretteten Rosel und dem zehnjährigen Sohn Alan, der neun Monate getrennt von seiner Familie im syrischen Aleppo leben musste.

Battals Ehemann Ahmad Zibar war Anwalt in Aleppo. Ahmad und Rania lebten mit Rosel und Alan im Zentrum der syrischen Wirtschaftsmetropole in einem stattlichen Haus. „Wir hatten ein Zimmer mit viel Spielzeug und Computer“, sagt Rosel. Bevor in Syrien die Proteste gegen das Assad-Regime beginnen, erfährt Zibar im Oktober 2010, dass er Krebs hat. In Deutschland bekommt er eine neue Niere, wenig später wird ein Tumor in der Lunge entdeckt. Der Krebs ist zu spät erkannt worden, die Metastasen haben gestreut.

Als im März 2011 in Dara’a Studenten gegen das Regime protestieren und Sicherheitskräfte sechs Demonstranten töten, ist es in Aleppo noch ruhig. Nachts ist die Altstadt voller Menschen, „es ist eine wahnsinnig schöne, lebenslustige Stadt, wir hätten nie weg gewollt“, sagt Rania Battal.

Besuchervisum für Familie: abgelehnt

Ein Jahr später hat sich Ahmads Zustand extrem verschlechtert. Er braucht Chemotherapien, doch in Aleppo ist die medizinische Grundversorgung nicht mehr gesichert. Die Stadt ist Rebellen-Hochburg und wird täglich bombardiert. Ahmad hat eine Schwester in Köln, erhält ein Visum und lässt sich in der Uni-Klinik behandeln. Weil es ihm immer schlechter geht, versucht er im Herbst 2012, ein Besuchervisum für seine Familie zu bekommen. Die Anfrage wird abgelehnt.

Zwar gilt längst ein Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge in Deutschland – doch Rania Battal und ihre Kinder gelten nicht als Flüchtlinge. Sie haben lediglich ein Besuchervisum beantragt. „Besuchsvisa können nur erteilt werden, wenn bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sind“, teilt das Auswärtige Amt mit. „Zu diesen Voraussetzungen gehört auch die Rückkehrbereitschaft. Allerdings gibt es einen Beurteilungsspielraum.“ Der Spielraum wird nicht ausgeschöpft.

Ahmad unterzieht sich in Köln auf eigene Kosten einer von vielen Chemotherapien. Als er nach Syrien zurückkehrt, ist die Lage im Viertel der Familie eskaliert. „Die Leichen auf den Straßen nimmt man irgendwann einfach hin“, sagt Rania Battal. Die Familie schlüpft bei Verwandten in der Nähe eines vom Regime kontrollierten Krankenhauses unter.

Im November 2012 detoniert vor der Haustür der Verwandten eine Autobombe. Sohn Alan und Vater Ahmad, die im Wohnzimmer sitzen, werden von Glassplittern in Kopf und Gesicht getroffen, auch einige Verwandte werden verletzt. Im Haus gegenüber sterben zwei Menschen. Rania und Rosel sind in der Küche. „Wir haben die Bombe nur gehört und gesehen, wie die Scheiben kaputtgegangen sind, uns ist nichts passiert“, sagt Rosel, die jetzt einen Regenbogen malt. „Ich habe damals gerade für einen Englischprüfung gelernt.“

„Bitte rettet Rosel. Nichts ist wichtiger.“

Die Familie überlegt, erneut ein Visum zu beantragen, „aber wir hatten Angst, dass es wieder abgelehnt wird“, sagt Rania. Ahmad fliegt zurück nach Köln, um sich einer weiteren Chemotherapie zu unterziehen. Die Familie flieht zu Verwandten aufs Land, Aleppo liegt inzwischen in Trümmern. Eines Morgens schielt Rosel und klagt über Augenschmerzen. Es ist ein Tumor, der aufs Auge drückt. Die Diagnose erhält die Familie erst Wochen später – weil sie lange nicht zurück in die Stadt können.

Ahmad kehrt am 7. April 2013 von Köln nach Aleppo zurück, obwohl die Ärzte ihm dringend von der Reise abgeraten haben. Er ist stark geschwächt. Als er von der Erkrankung seiner Tochter hört, sagt er seiner Nichte in Köln: „Bitte rettet das Augenlicht von Rosel. Nichts ist mir wichtiger.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Geschichte der Familie Batal weitergeht.

Am 5. Juli 2013 stirbt Ahmad in Aleppo. Es sei nicht der Krebs gewesen, der ihm umgebracht habe, sagt Rania. „Es war die Sorge um seine Tochter.“ Einen Tag nach seinem Tod macht sich die Mutter mit Rosel auf zur türkischen Grenze. Rosel muss dringend operiert werden, der Tumor drückt immer stärker auf den Sehnerv. Alan bleibt in Aleppo – geplant war, dass er beim Vater bleibt. Die Ärzte hatten ihm noch einige Jahre gegeben.

Am 12. Juli verschickt die Deutsche Botschaft einen an die siebenjährige Rosel adressierten Bescheid („Sehr geehrte Frau Zibar, …“), in der dem Antrag auf ein Schengenvisum für Mutter und Tochter „nach Abschluss der ausländerrechtlichen Prüfung nicht entsprochen werden kann“. Rania Battal widerspricht der Ablehnung und verweist darauf, dass sie ihren neunjährigen Sohn Alan nie allein in Syrien zurücklassen würde. „Ich hatte kein Visum für Alan beantragt, weil ich dachte, dass die Chancen dann schlechter stünden, Rosel schnell nach Deutschland zu bringen“, sagt sie leise. Ihre Augen sehen verschwommen und wässrig aus, auch wenn sie nicht weint.

Der „Beurteilungsspielraum“ der Behörden

Rania fügt dem Einspruch gegen das verweigerte Visum eine Kopie von Besitztümern der Familie bei und verweist darauf, dass ihr Mann mehrfach zu Behandlungen nach Köln gereist und immer zurückgekehrt ist. Sie argumentiert, dass ein Krankenhaus einen Teil der Operationskosten übernimmt und fügt einen Brief der Klinik bei. Dort steht, dass Rosel sterben werde, wenn sie nicht bald operiert wird. Der Tumor behindert den Abfluss des Hirnwassers – wenn der Druck im Kopf weiter steigt, wird der lebensnotwendige Hirnstamm eingeklemmt. Das Auswärtige Amt argumentiert wie im Fall des Besuchervisums für die ganze Familie: Die Rückkehrbereitschaft müsse nachvollziehbar sein und, ja: Es gebe einen „Beurteilungsspielraum“.

Nach zehn Tagen in Ankara wird dem Einspruch stattgegeben. Rania und Rosel erhalten das lebensrettende Visum. Sie kommen am Freitag in Köln an, Rosel darf noch am gleichen Tag in den Zoo und bleibt lange bei ihren Lieblingstieren, den Giraffen. Abends klagt sie über starke Kopfschmerzen und übergibt sich mehrfach. Am 21. Juli, zwei Tage nach der Ankunft, wird sie in der Kölner Uni-Klinik notoperiert – der Hirndruck ist lebensgefährlich gestiegen.

Drei Tage später wird Rosel mit einem Rettungswagen nach Saarbrücken gebracht. Dort ist ihr Cousin Assistenzarzt. Am 24. Juli wird dem Mädchen in einer neunstündigen Operation ein Tumor entfernt. Das Geschwulst ist gutartig. Rosel erholt sich schnell. „Sie ist behandelt worden wie eine Prinzessin in der Klinik. Das war wunderbar“, sagt Rania. Rosel blickt lächelnd von ihrem Bild auf, Rania weint.

Es dauert nach der OP fast neun Monate, bis Rosel am Flughafen Köln/Bonn ihrem jetzt zehnjährigen Bruder Alan in die Arme fallen wird. Alan lebt bis dahin bei Verwandten der Familie. Mal in Aleppo, mal auf dem Land – je nachdem, wo es gerade sicherer ist.

Lesen Sie auf der folgenden Seite, wie Rosels Bruder Alan seinen Weg nach Köln gefunden hat.

Dass Alan jetzt in Köln ist und ein Feuerwehrauto aus Lego zusammenbaut, ist auch dem Einsatz von Emrah Can zu verdanken. Can ist Sozialarbeiter im Vingster Treff – im Januar erfährt er zufällig vom Schicksal der Familie und wundert sich: „Wie kann es sein, dass ein zehnjähriges Kind, dass seinen Vater verloren hat und im Kriegsgebiet lebt, so lange nicht bei seiner Mutter und seiner Schwester ist?“

Can lässt sich vom Ausländeramt nicht mit dem Verweis auf „Standardverfahren Familienzusammenführung“ abspeisen. Er kontaktiert Martina Domke, Fachdienstleiterin Migration der Diakonie, die vermitteln kann. Can kontaktiert zeitgleich das Auswärtige Amt, von einer möglichen „Vorabzustimmung“ für Alans Einreise ist dort schnell die Rede.

Vingster Treff schickt Sozialarbeiter zum Bruder

Der Vingster Treff finanziert Cans Reise nach Istanbul. Am 2. April kann er mit Alan die Papiere in der Botschaft in Istanbul abholen. Am Flughafen in Köln/Bonn sehen sich Rania und Rosel Alan nach neun Monaten wieder.

Drei Tage später geht Alan in die vierte Klasse der Grundschule Lohmarer Straße in Gremberg. Der Zehnjährige spricht schon ein bisschen Deutsch. Er ist sehr müde. Während er sein Auto zusammenbaut, gähnt er fortwährend. Rania Battal lebt mit ihren Kindern Rosel und Alan bei einer Schwägerin und sucht eine Wohnung in der Stadt. Sobald in Syrien wieder Frieden ist, will sie mit ihren Kindern zurück nach Aleppo.

3600 Flüchtlinge leben in Köln. Am Freitag, 20. Juni, ist Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen.