Generation NichtschwimmerTausende Kölner Kinder warten auf Platz für Schwimmkurs
Köln – Das Geschäft läuft gut wie nie. Täglich läuft das E-Mail-Postfach mit neuen Anfragen voll. Martin Becker ist Geschäftsführer der Schwimmschule „Sharky Sportsclub“. Als Unternehmer kann er sich freuen. „Aber ich bin auch Vereinssportler und Vater zweier Töchter. Und aus dieser Sicht ist die Situation furchtbar und verheerend“, sagt der 36-Jährige.
Fast 18 Monate konnte in Schulen und Vereinen kein Schwimmunterricht stattfinden. Schon vor Corona gab es zum Teil lange Wartelisten für Anfängerkurse. Doch eine Situation wie jetzt hat es noch nie gegeben. Corona bringt die Schwimm-Ausbildung an den Rand des Kollaps.
„In den nächsten beiden Jahren wird kein Kind, dessen Familie nicht schon bei uns Kunde ist, einen Platz für einen Kurs bekommen“, sagt Martin Becker. An den beiden „Sharky“-Standorten in Köln-Lövenich und Bensberg finden von Montag bis Sonntag jeweils von 8.30 Uhr bis 19.30 Uhr Schwimmkurse für Kinder statt. „Das hatten wir so noch nie.“ Sämtliche Ferienwochen seien schon lange ausgebucht.
10.000 Kinder stehen auf der Warteliste
Rund 10.000 Kinder stünden auf der Warteliste – pro Standort. „Wir wissen natürlich, dass sich die Eltern bei mehreren Anbietern anmelden“, sagt Becker. Diese extreme Situation kann Sabine Daus bestätigen. Sie leitet die private Schwimmschule „Krieler Welle“ in Lindenthal: „Es gibt so viele Kinder auf der Warteliste wie noch nie in meiner 35-jährigen Schwimmschullaufbahn.“
Die Corona-Pandemie verschärft Probleme, die es auch vorher schon gab: Bäder wurden geschlossen, Wasserflächen zur Ausbildung reichen schon lange nicht mehr aus. Gleichzeitig stellen Experten fest, dass die Schwimmfähigkeit der Menschen insgesamt abnimmt. „Es gibt keine verlässlichen Zahlen zu Nichtschwimmern in Deutschland. Aber die Dunkelziffer dürfte sehr hoch sein“, befürchtet Alexander Lustig, stellvertretender Bezirksleiter der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Köln.
Es wächst eine Generation Nichtschwimmer heran
Das Tragische: Schwimmen ist nicht nur eine Sportart, sondern eine Überlebenstechnik. Wenn ein Kind wegen der Pandemie nicht zum Fußballtraining konnte, ist das ärgerlich. Und wenn der Sportunterricht ausgefallen ist, hat es vielleicht nicht gelernt, wie man einen Ball richtig fängt oder auf dem Barren balanciert. Wenn es aber nicht richtig schwimmen kann, ertrinkt es im schlimmsten Fall.
Das Land NRW sieht vor, dass Kinder bis zum Ende der dritten Schulklasse das Jugendschwimmabzeichen in Bronze erreichen. Doch die Realität sieht anders aus: Eine von der DLRG in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2017 hat ergeben, dass 59 Prozent der Zehnjährigen die Voraussetzungen für das Jugendschwimmabzeichens in Bronze nicht erfüllen. 23 Prozent der Grundschüler hatten nicht einmal das Seepferdchen.
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Alexander Lustig, schätzt, dass die Zahlen inzwischen weitaus höher sind. „Es wächst eine neue Generation Nichtschwimmer heran. Und wir fürchten, dass auch die Zahl der Badeunfälle zunimmt“, sagt der 51-Jährige. Denn auch den Erwachsenen habe die Möglichkeit zum Schwimmen in den vergangenen 18 Monaten gefehlt. „Es fehlt nach der Pandemie an Fitness und Übung. Viele überschätzen sich und können ihre eigenen Kräfte oder Fähigkeiten nicht richtig einschätzen.“
Schwimmkurse in den Sommerferien reichen nicht aus
Die Köln-Bäder haben in den Sommerferien einen Schwerpunkt auf die Schwimmausbildung gelegt. „Wir haben unser Kursprogramm ausgeweitet und andere Kurse dafür zurückgestellt“, sagt Köln-Bäder-Sprecherin Franziska Graalmann. Das Amt für Schulentwicklung der Stadt Köln finanziert außerdem insgesamt 25 Kurse während der Sommerferien für Grundschülerinnen und -schüler, die in den vergangenen Monaten keinen oder nur kaum Schwimmunterricht hatten. Wie eine Stadtsprecherin mitteilt, dauere jeder Kurs zwei Wochen, täglich wird eine Stunde unterrichtet – vorrangig „in Wohnbereichen mit besonderem Jugendhilfebedarf“. Der Bedarf übersteige jedoch das zur Verfügung stehende Kurs-Kontingent.
Allen Bemühungen zum Trotz: „Man wird die entstandenen Lücken nicht ausgleichen können“, ist sich Alexander Lustig sicher. Ähnlich sieht das auch „Sharky“-Geschäftsführer Martin Becker: „Um einem Kind sicher schwimmen beizubringen, braucht es Zeit. Das lernt man nicht mal eben in den Sommerferien.“ Er fordert deshalb: „Die Politik muss reagieren. Köln bräuchte drei bis vier Lehrschwimmbecken, die nur für die Schwimmausbildung genutzt werden.“