Köln/Duisburg/Siegburg – Für den Badesommer 2021 befürchtet Frank Zantis das Schlimmste. „Wir haben die ersten schönen Tage des Jahres und schon immens viele Badetote zu beklagen“, sagt der Sprecher der Landesverbands NRW der Deutschen-Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG).
Zwei junge Mädchen (13 und 14), die ebenfalls am Mittwoch im Duisburg im Rhein schwimmen gegangen waren, werden noch vermisst. Rund 160 Einsatzkräfte hatten bis zum Einbruch der Dunkelheit nach ihnen gesucht. „Die Wahrscheinlichkeit, die beiden Mädchen lebend aus dem Rhein zu bekommen, ist sehr gering“, sagte eine Polizeisprecherin am Donnerstag. Eine Woche zuvor war ein Mann (29) bei Orsoy von der Strömung mitgerissen worden. Der Leichnam wurde am Samstag in der Waal bei Nimwegen gefunden.
Und am Rotter See in Troisdorf starben innerhalb von fünf Tagen zwei Männer. Ein 38-Jähriger verunglückte am Mittwochabend bei dem Versuch, die 150 Meter von der ostwärts der Hauptwiese liegenden Halbinsel zum gegenüberliegenden Ufer zu schwimmen. Ein 26-Jähriger ertrank am Wochenende, als er mit seinen Freunden mit einer aufblasbaren Badeinsel kenterte und ins Wasser fiel. Er konnte nicht schwimmen.
Am Fühlinger See in Köln zogen Ersthelfer in den vergangenen Tagen zwei Kinder gerade noch aus dem Wasser. Das Mädchen (6) und der Junge (8) konnten wiederbelebt werden. „Wir predigen deutschlandweit jedes Jahr: Bitte nur an bewachte Badestrände gehen, niemals an Fließgewässer“, sagt DLRG-Sprecher Zantis. „Man würde ja auch auf der Autobahn nicht auf dem Standstreifen mit seinen Kindern Fußball spielen.“
Im Vorjahr 65 Badetote in NRW
Im vergangenen Jahr sind laut DLRG in Deutschland mindestens 378 Menschen ertrunken, davon 65 in Nordrhein-Westfalen. In Binnengewässern verloren mindestens 335 Personen, das sind rund 88 Prozent der Opfer, ihr Leben. Zantis fürchtet, dass die Corona-Pandemie die Zahlen 2021 weiter nach oben treiben könnte. „Teilweise waren die Schwimmbäder ein Jahr zu. Es gab kaum Schwimmunterricht an den Schulen. Viele Menschen haben auch weniger Sport getrieben. Sie haben gar nicht die Ausdauer, mal eben durch einen See zu schwimmen.“
Die deutsche Schwimmlegende Franziska van Almsick (43) hat Sorge, dass wegen der Pandemie eine ganze Generation Kinder nicht schwimmen lernt. „Für Kinder ist es lebensnotwendig, dass sie schwimmen lernen können. Ansonsten wird jeder Besuch am Badesee lebensgefährlich.“
Im vergangenen Jahr hat die DLRG nach eigenen Angaben 901 Menschen oft in letzter Minute vor dem Tod bewahrt. Bei 28 Einsätzen riskierten die ehrenamtlichen Helfer dabei ihre eigenen Leben. Sie sind dankbar, dass Deutschlands bekannteste Schwimmerin auf die Corona-Folgen aufmerksam macht. „Wenn ein Kind ein halbes Jahr kein Fußballtraining wegen der Pandemie machen konnte, ist das schade und traurig, aber wenn der Schwimmkurs ausgefallen ist, kann das unter Umständen das Leben kosten“, sagt Zantis.
Ehrenamtliche Retter in Köln
Am Mittwochabend ist das Rheinufer in Köln-Poll für einen Wochentag gut besucht. Kinder springen durchs flache Wasser, eine Frau treibt entspannt auf einem Schwimmring auf dem Rhein. Weiter hinten rasen Jet-Skis, und Stand-up-Paddler genießen den windstillen, sonnigen Tag auf dem Strom. Alexander Lustig (51) beobachtet das Treiben aufmerksam. Er ist stellvertretender Bezirksleiter der DLRG Köln und wie alle Helfer ehrenamtlich im Einsatz.
In Köln ist die Feuerwehr in erster Linie für die Wasserrettung zuständig. In der Hauptsaison von Mai bis September unterstützt sie die DLRG aber mit einem Bereitschaftsdienst am Wochenende, den Feiertagen und besonders heißen Tagen. Auch die Badeunfälle der letzten Tage sorgen für erhöhte Alarmbereitschaft.
Beim Bereitschaftsdienst der Kölner DLRG sitzen jeweils ein Wachführer, ein Bootsführer und drei Rettungsschwimmer am Rhein, häufig auch am Fühlinger See und Escher See. Sobald sie sich bei der Feuerwehr als einsatzbereit gemeldet haben, kann jederzeit der Alarm über den Melder losgehen, den Lustig am Gürtel trägt. Für die Einsatztruppe am Rhein hieße das dann: Mit Blaulicht zur Mole der Feuerwehr kurz vor der Deutzer Brücke fahren – da liegt das Rettungsboot Rheinadler – und dann in ständiger Absprache mit der Feuerwehr über Funk den Einsatz unterstützen.
Das Bild von Ertrinkenden, die mit den Armen wedeln und schreien, spiegele kaum die Realität wider, sagt Lustig. Ertrinkende seien meist erschöpft und kraftlos, der Tod eher still.
Deshalb sei auch das Schwimmen an gut besuchten Orten so gefährlich. Kinder dürfe man niemals aus den Augen verlieren. „Es geht sehr schnell, wenn der Kopf erst mal unter Wasser ist“, sagt Lustig. Das gelte im Übrigen nicht nur für Flüsse und Seen, sondern genauso für Freibäder und sogar das Planschbecken im Garten.
Auch wenn sich die meisten Unglücke an Binnengewässern wie Badeseen ereignen und Flüsse erst an zweiter Stelle stehen: In Köln sorgt der Rhein für eine andere Gewichtung: „Der Strom ist halt tückisch“, sagt Lustig.Gerade an heißen Sommertagen komme der Fluss ganz ruhig daher. Kein Wellengang. Spiegelglatt. Man unterschätze die Strömung, weil sie an der Wasseroberfläche nicht zu sehen ist. Gerade die unsichtbaren Strömungen könnten zum Verhängnis werden – sogar im flachen Wasser. „So ein Sog unter dem Wasser kann einem ganz schnell die Beine wegziehen.“
Sog des Rheins unterschätzt
Lustig lenkt die Aufmerksamkeit auf die Buhnen am Rheinufer, an denen sich Wirbel bilden. Auch Schiffe gefährden die Schwimmer im Rhein. In der Fahrrinne entstehe ein starker Sog, durch den das Wasser zwei bis drei Meter vom Ufer weggezogen werden könne.„Das sind Kräfte, die man nicht unterschätzen darf“, so Lustig. Vor allem Kinder seien sehr gefährdet, weil sie dem Wasser hinterherliefen. Das komme schlagartig zurück.Der starke Sog kann auch für Wassersportler problematisch werden. Lustig weist auf Kanuten, die in der Ferne auf dem Rhein unterwegs sind, nicht weit von der Fahrrinne entfernt. „Wenn ein Schiff kommt, kann das gar nicht so schnell bremsen.“
Am Mittwochabend verlaufen die Bereitschaftsdienste der Ehrenamtler am Rhein und am Fühlinger See ruhig. Aber Alexander Lustig und seine DLRG-Kameraden wissen sehr genau, dass es am Wochenende bei gutem Wetter am Wasser noch mal voller werden kann. Schließlich hat der Sommer gerade erst richtig angefangen.
11 Tipps für einen unbeschwerten Aufenthalt am Ufer oder Baggersee
1. An Bagger- und Badeseen grundsätzlich nur an bewachten Badestränden ins Wasser gehen.
2. Daran denken, dass Baggerseen sehr tückisch sein können und häufig nach wenigen Metern sehr tief werden. Durch die großen Temperaturunterschiede kann es zu Kreislaufproblemen kommen.
3. Schwimmen in Fließgewässern ist tabu. Das gilt vor allem für große Flüsse wie dem Rhein. Die Strömung und die Sogwirkung der Schifffahrt wird immer wieder unterschätzt.
4. Kinder an Badeseen und Fließgewässern niemals unbeaufsichtigt lassen.
5. Niemals mit vollem oder ganz leerem Magen schwimmen.
6. Bevor man ins Wasser geht, sollte man sich abkühlen. Nie überhitzt ins Wasser springen, der Körper braucht eine Anpassungszeit.
7. Nichtschwimmer sollten nur bis zur Brust ins Wasser gehen. Luftmatratzen, Badeinseln, Autoschläuche und Gummitiere bieten keine Sicherheit.
8. Die eigene Kraft und das Können richtig einschätzen. Wegen der Pandemie haben viele Menschen deutlich weniger Sport getrieben und neigen womöglich dazu, sich zu überschätzen.
9. Niemals aus Spaß um Hilfe rufen, weil sonst im Ernstfall keiner reagiert.
10. Alkoholisiert auf keinen Fall ins Wasser gehen.
11. Wenn ein Mensch in einem Gewässer in Not gerät, nicht unüberlegt hinterherspringen. Vor allem dann nicht, wenn man selbst kein guter Schwimmer ist. Im Wasser sollte man sich dem in Not geratenen Menschen von hinten nähern. So verhindern man, dass sich die Person in Todesangst festklammert.