Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die Ermittlerinnen und Ermittler der Kriminalwache der Kölner Polizei in mehreren Spätschichten begleitet.
Kripo KölnEinsamer Tod im Penthouse – Auf Spurensuche mit der K-Wache

Oberkommissarin Kristin (l.) auf dem Weg zu einem Leichenfund in einem Mehrfamilienhaus.
Copyright: Arton Krasniqi
- Für die dreiteilige Reportage-Serie „Tatort Köln – Auf Spurensuche mit der K-Wache“ hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Kripo an vier Tagen im März und April begleitet. Lesen Sie hier Folge 3
- Die Kriminalwache, kurz K-Wache oder auch Kriminaldauerdienst (KDD), ist der Bereitschaftsdienst der Kriminalpolizei Köln
- Die Teams der K-Wache sichern Spuren, machen Leichenschauen, vernehmen Zeugen und Tatverdächtige und durchsuchen Wohnungen
Die tote Frau liegt in ihrem Boxspring-Bett auf der Seite. Die Beine angewinkelt, die Augen geschlossen, die rechte Gesichtshälfte auf den gefalteten Händen abgelegt. Es sieht so aus, als sei sie friedlich eingeschlafen und einfach nicht mehr aufgewacht. Andrea Krämer (Name geändert) ist keine 60 Jahre alt geworden.
Die letzten Jahre lebte sie allein in dem riesigen Penthouse im obersten Stockwerk mit Sauna, Rheinblick und zwei Dachterrassen. Weil Andrea Krämer seit ein paar Tagen nicht mehr zur Arbeit erschienen ist und auf Klingeln und Klopfen nicht öffnete, haben besorgte Kollegen die Polizei gerufen. Mit einem Ersatzschlüssel des Hausmeisters haben zwei Streifenbeamte Krämers Wohnung an diesem Samstagabend betreten und die Leiche im Bett gefunden. Woran die Witwe gestorben ist, steht nicht fest, der Notarzt hat „unklare Todesursache“ angekreuzt. Ein Fall für die Kriminalwache Köln.
Köln: Auf Spurensuche mit der K-Wache der Polizei
Statistisch ist fast jeder zweite Einsatz, zu dem die Teams der K-Wache gerufen werden, eine so genannte Leichensache. Mehr als 1000 ungeklärte Todesfälle waren es im Vorjahr. Die Ermittlerinnen und Ermittler machen die Leichenschau vor Ort. Sie untersuchen den Körper äußerlich auf mögliche Verletzungen und befragen erste Zeugen und Angehörige. Unter der Woche ist das der Job der Kollegen vom Kommissariat „KK“ 11. Aber nach Dienstschluss und an den Wochenenden rückt die Kriminalwache aus.
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Oberkommissarin Kristin entkleidet die Leiche der Frau auf dem Bett und fotografiert den Körper. Hauptkommissarin Simone sucht in der Wohnung nach Hinweisen auf mögliche Vorerkrankungen. Arztbriefe, Medikationslisten, Medikamente. Von Krämers Arbeitskollegin wissen die Ermittlerinnen, dass die alleinstehende Frau vor Jahren an Krebs erkrankt und erst kürzlich noch einmal im Krankenhaus war.

Oberkommissarin Kristin sucht den Leichnam in einem Penthouse nach möglichen Verletzungen ab.
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Die Leichenstarre hat sich bereits gelöst, das deute auf eine „Liegezeit“ von mehr als 24 Stunden hin, sagt Kristin. Sie befühlt den Kopf der Toten, tastet ihn nach Auffälligkeiten ab, nach Verletzungen, Knochenbrüchen. Aber sie findet nichts. Mit einer Taschenlampe leuchtet Kristin der Toten ins Gesicht. „Die Augen sagen immer viel aus“, sagt sie. Wären die Pupillen zum Beispiel deutlich unterschiedlich groß, könnte die Frau einen Schlag auf den Kopf bekommen haben. Aber Krämers Pupillen sind gleich groß, und sie sind eingefallen, auch dies ein Hinweis darauf, dass sie offenbar schon vor einigen Tagen gestorben ist.
Bestatter holen die Leiche ab und bringen sie in die Rechtsmedizin. „Keine Anzeichen einer groben, todesursächlichen, äußeren, mechanischen Gewalteinwirkung. Keine Kampfspuren in der Wohnung, keine Einbruchsspuren.“ So werden es Kristin und Simone später in ihrem „Todesermittlungsbericht“ für das KK11 zusammenfassen, das den Fall fortführen wird.

Bevor Kristin und Simone das Haus verlassen, versiegeln sie die Tür der Wohnung von Andrea Krämer.
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Bevor die beiden die Wohnung verlassen, richtet Kristin das Bett wieder her. Zieht die Bettdecke hoch und drapiert die Kopfkissen darauf. „Alles wieder ein bisschen ordentlich machen“, sagt sie, „das mache ich immer so“. Aus Wertschätzung für die Verstorbene. „Ich räume immer auf, ich würde auch nie meine Plastikhandschuhe in einer Wohnung zurücklassen.“ Liege eine Leiche auf dem Boden, „steige ich nie über sie, sondern gehe um sie herum“. Auch dies sei für sie eine Frage des Respekts, sagt Kristin. „Würde ich das alles irgendwann nicht mehr machen, würde ich aufhören mit dem Job.“
Ein anderer Tag, ein anderer Stadtteil. In einer Wohnung hat ein Mann die Leiche seiner Bekannten gefunden, die er seit zwei Tagen vermisst hat. Vor dem Haus warnt ein Streifenbeamter, der schon kurz oben war, Kristin und Simone: „Das sieht nicht so gut aus da drin.“ Müll und Essensreste stapeln sich auf mehrere Haufen verteilt im Flur und in allen Zimmern, zugedeckt mit Stoffdecken. An den Wänden sitzen Fliegen. Über allem liegt ein stechender, säuerlicher Geruch.
Die Bewohnerin liegt auf einer fleckigen Matratze neben dem Wohnzimmertisch. Sie hat sich das Leben genommen. Auf dem Handy der Toten findet Simone eine zwei Tage alte SMS an eine Angehörige: „Bitte verzeih mir.“ Es ist nur ein Entwurf, die SMS wurde nicht abgeschickt.

Das Polizeipräsidium Köln liegt nachts im Dunkeln – bis auf die erste Etage. Hier arbeitet die K-Wache rund um die Uhr.
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Jede Leiche sei anders, sagt Kristin später auf der Wache. Jede Lebensgeschichte sei anders, jedes Schicksal. Sie sitzt im Aufenthaltsraum der Kriminalwache, in der ersten Etage des Polizeipräsidiums. „Diesen Job kannst du nicht nach Schema F machen.“ Seit vier Jahren arbeitet die Oberkommissarin auf der K-Wache. Ungefähr 400 Leichen habe sie schon untersucht, erzählt Kristin. 400 Lebensgeschichten. 400 Schicksale.
Abscheu oder Ekel empfinde sie nie beim Umgang mit den toten Körpern. Auch der manchmal kaum erträgliche Geruch störe sie nicht. „Ich habe eine Maske mit Filter, aber die liegt immer hier auf der Wache, ich nehme die nie mit.“
Ich habe viel gesehen, und ich komme sehr gut damit klar
Bevor sie zur Polizei ging, war Kristin Soldatin, sie war in Afghanistan im Einsatz, stand mit ihren Kameraden unter Beschuss. „Ich habe viel gesehen, und ich komme sehr gut damit klar“, sagt Kristin. Ihr Antrieb sei es, den Hinterbliebenen Antworten zu geben und Klarheit zu verschaffen. So gut es eben geht. „Ich mache einfach gerne das, was nicht jeder macht“, sagt Kristin. Vielleicht keine schlechte Voraussetzung für den Job auf der K-Wache. Aber nicht alle schaffen das, viele Kolleginnen und Kollegen verlassen die Dienststelle wieder, auch weil sie den Anblick und die tägliche Arbeit an Leichen nicht ertragen.
Bei der Bewältigung mit Tod und Trauer im Dienstalltag helfen den Ermittlerinnen und Ermittlern der K-Wache vor allem Gespräche mit Kollegen und – nach besonders belastenden Einsätzen – Gespräche mit Seelsorgern, die für die Polizei arbeiten. „Wir haben ein gutes Gefühl dafür, ob es einem von unseren Leuten gerade schlecht geht“, sagt Dienstgruppenleiterin Vanessa. „Dann fragen wir sie, ob sie ein offenes Ohr brauchen.“

Eingeschworenes Team: die Ermittlerinnen Doro, Kristin, Simone, Milena, Imke und Carina im Büro von Dienstgruppenleiterin Vanessa (v.l.).
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An einem Sonntag geht es für Kristin und Kommissarin Milena zu einem Mehrfamilienhaus in Leverkusen. Ein Mann hat seinen Nachbarn seit Tagen nicht gesehen. Am Mittag hat er dessen Ein-Zimmer-Wohnung mit einem Zweitschlüssel betreten, um nach ihm zu sehen – und hat sie sofort wieder verlassen. Geschockt.
Als die Ermittlerinnen eintreffen, liegt die Leiche des Nachbarn auf dem Rücken in einer Blutlache vor einem Beistelltisch aus Glas, daneben Scherben – es scheint, als sei der unterste von drei Glasböden des Tischs zersplittert. Am Hinterkopf des etwa 50-jährigen Mannes, der alleine in der Wohnung lebte, klafft eine große Platzwunde.
Im Badezimmer laufen beide Wasserhähne, der vom Waschbecken und der von der Sitzwanne. Die Balkontür ist geöffnet. Auf dem Wohnzimmertisch steht ein Trinkglas, ein zweites liegt daneben, Kaffee ist ausgelaufen und hat braune Pfützen auf Tisch und Boden hinterlassen. In der Mitte des Zimmers liegt ein Wischmopp. Was ist hier geschehen?

Kristin fotografiert die Leiche eines Mannes, der unter rätselhaften Umständen in seiner Wohnung in Leverkusen gestorben ist.
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Polizisten sprechen von einer „Auffindesituation“, wenn es um den Fundort einer Leiche und die näheren Umstände geht, und die erscheinen Kristin und Milena auf den ersten Blick ungewöhnlich. Ist das Opfer erschlagen worden und der Täter über den Balkon geflüchtet? Oder wollte der Bewohner die Kaffeeflecken vom Boden wischen, ist zusammengebrochen und mit dem Hinterkopf auf den Glastisch geprallt? Aber warum ist der untere und nicht der obere der drei Glasböden zersplittert? Hat der Mann sich auf dem unteren abgestützt, der dadurch zusammengebrochen ist? Oder war doch alles ganz anders?
Bei der äußeren Leichenschau kommen keine weiteren frischen Verletzungen zum Vorschein. Aber in einem Schrank findet Milena verschiedene Medikamente, auch Herzmedikamente. Hatte der Tote einen Herzinfarkt? Kristin ruft die Bereitschaftsbeamtin des KK11 an. Per Videotelefonat macht auch sie sich ein Bild von der Auffindesituation, die beiden beraten sich. Der Nachbar, der die Leiche gefunden hat, wird noch einmal genauer befragt. Am Glastisch entdeckt Kristin eine mögliche „Anschlagstelle“, die zur Wunde am Kopf passen könnte.
Am Ende spricht aus Sicht der Ermittlerinnen erst einmal wenig für ein so genanntes Fremdverschulden. Es wird keine Mordkommission gebildet, dennoch wird der Tote in einem reißfesten Leichensack verpackt, Kristin klebt ein Polizeisiegel auf den Verschluss. Die Staatsanwaltschaft muss entscheiden, ob eine Obduktion erforderlich ist. Tage später entscheidet sie sich dagegen. Auch die weiteren Recherchen des KK11 ergeben keine Hinweise auf ein Tötungsdelikt. Die Ermittlungen werden eingestellt.
Zurück auf der Wache verabschieden sich die Kollegen der Spätschicht in den Feierabend. Kristin und Milena müssen noch ihren Bericht schreiben. Es ist 22 Uhr. Das Polizeipräsidium liegt im Dunkeln. Nur in der ersten Etage brennt noch Licht. Auf der Kriminalwache beginnt jetzt der Nachtdienst.