Wenn Soldaten an die Nato-Ostflanke ziehen müssen, arbeiten sie mit zivilen Kräften zusammen. Der Kanzler hat sich davon ein Bild gemacht.
Zivilkräfte üben vor dem Kanzler in Köln-WahnScholz checkt die Bundeswehr nach der Zeitenwende
Der Bundeskanzler befindet sich in einer Transportmaschine der Bundeswehr schon auf dem Flug von Berlin zum militärischen Teil des Flughafens Köln/Bonn, als die Luftnotlage eintritt. Der Funkkontakt reißt ab und bei der Maschine fällt der Transponder aus, der stetig Informationen über Flughöhe und Geschwindigkeit sendet, um sicherzustellen, dass es im Flugraum zu keiner Kollision kommen kann.
Zwei Eurofighter der Luftwaffe steigen auf, nähern sich der Maschine und versuchen Verbindung aufzunehmen. Zunächst per Funk, dann per Sicht. Das Flugzeug wird begleitet, bis das Problem gelöst ist.
Köln: Bundeskanzler auf Militärflughafen in Porz-Wahn
Es ist neun Uhr am Montagmorgen, als Olaf Scholz aus dem Heck der Maschine wohlbehalten das Rollfeld des Flughafens betritt und von Generalleutnant André Bodemann, dem Befehlsinhaber des Territorialen Führungskommandos, begrüßt wird. Das erste Übungsszenario eines halbtägigen, aber dennoch intensiven Besuchs in der Luftwaffenkaserne Köln-Wahn liegt hinter ihm.
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Der Kanzler selbst habe vor ein paar Wochen um diesen Termin gebeten, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Er wolle aus eigener Anschauung erleben, wie gut die Bundeswehr, die bis zum russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 vor allem mit Auslandseinsätzen beschäftigt war, auf die Folgen der Zeitenwende vorbereitet sei.
Dazu haben die Verantwortlichen verschiedener Truppenteile und ziviler Organisationen ein fiktives Szenario entwickelt, das von einer Großübung russischen Militärs an der Ostflanke der Nato ausgeht, von der die potenzielle Gefahr eines Angriffs ausgeht. Das Militärbündnis beschließt, unter Beteiligung der Bundeswehr sofort Verstärkungskräfte in das Baltikum und nach Polen zu senden. Die Folgen für Deutschland: Auch die Bundeswehr muss sich mit einem Großteil ihrer Soldaten an diesem Einsatz beteiligen und wird zeitgleich zur Drehscheibe für Streitkräfte der Nato-Partner.
Übungsszenario mit Verlegung von Truppen an die Nato-Ostflanke
„In einer solchen Situation werden wir nicht mehr in der Lage sein, diese Drehscheibe Deutschland allein zu organisieren“, sagt Oberstleutnant Ulrich Fonrobert vom Landeskommando NRW. „Dazu brauchen wir Unterstützung der Bundespolizei, des Bundesamts für Bevölkerungsschutzes, der US-Streitkräfte, der Blaulichtorganisationen und des Heimatschutzes.“
Der Heimatschutz zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands, der hauptsächlich aus Reservisten besteht, an dem sich aber jeder Bürger bis 58 Jahre auch ohne militärische Vorbildung beteiligen kann, befindet sich noch im Aufbau. Bis Ende 2025 sollen bundesweit sechs Heimatschutzregimenter mit 52 Kompanien entstehen, davon drei in NRW, die das Regiment 2 bilden werden.
Der erste offizielle Aufstellungsappell in NRW soll am 26. Oktober in der Lützow-Kaserne in Münster stattfinden. „Das Regiment soll wichtige militärische und zivile Anlagen sichern und Checkpoints betreiben“, sagt Stefan Linke, Pressestabsoffizier der Reserve. „Welche Aufgaben wir im Ernstfall von der Bundeswehr übernehmen, wird grundsätzlich politisch entschieden.“ Vor allem als Drehscheiben-Funktion habe der Heimatschutz eine Kernaufgabe. „Wir bereiten alles für die Verbündeten vor, damit sie bei ihrer Fahrt durch Deutschland sicher betanken, rasten, parken und ihre Fahrzeuge instand setzen können. Dafür werden wir die Reserve einberufen“, so Linke. Der Heimatschutz habe dabei nicht nur eine militärische Komponente, sondern komme auch bei Naturkatastrophen wie Hochwasser zum Einsatz.
Wie weit man auf diesem Weg schon gekommen ist, werden 250 Kräfte, darunter auch eine Einheit der US-Armee aus Kaiserslautern, nach der Landung des Kanzlers präsentieren. Für ein paar Stunden entsteht auf dem Flughafengelände die fiktive Route eines amerikanischen Militärkonvois, der auf dem Weg von Köln über Frankfurt und Gera bis nach Görlitz an die polnische Grenze begleitet werden muss.
Scholz wird Zeuge, wie Kräfte des Heimatschutzes an einem Kontrollpunkt verschiedene „dynamische Lagen“, darunter Überfallszenarien auf den Konvoi und die Verseuchung von Fahrzeugen durch einen chemischen Kampfstoff, der nicht näher identifiziert werden konnte.
Im Ernstfall wird Deutschland zur Drehscheibe der Nato
Der Kanzler informiert sich in einem Container über das Flugabwehrsystem Patriot, es geht um Cyber-Abwehr, um die Bereitstellung von Wetterdaten für weitreichende Waffen- und Aufklärungssysteme durch Geoinformationsdaten und die Frage, wie sich fremde Streitkräfte in einem dicht besiedelten Land orientieren können, wenn keine digitalen Daten mehr zur Verfügung stehen. Papierkarten seien als „nachhaltiges resilientes Führungsmittel bei fehlender digitaler Anbindung und Versorgung“ nicht zu ersetzen, erfährt Scholz und bekommt als Gastgeschenk einen gedruckten Lageplan des Regierungsviertels in einer Auflösung, bei der das rot eingerahmte Kanzleramt auf Anhieb zu erkennen ist.
„Herr Bundeskanzler, wir haben Ihnen heute einen Ausschnitt aus dem Bereich territoriale Verteidigung dargestellt, was es heißt, die Drehscheibe Deutschland sicherzustellen“, sagt Generalleutnant Bodemann nach einer letzten Schalte in die Operationszentrale des Territorialen Führungskommandos (OPZ) in Berlin, die vor allem während der Corona-Pandemie als Lagezentrum zwischen den Ländern, dem Bund und den zivilen Hilfsorganisationen bekannt geworden ist. Die Unterstützung der zivilen Seite sei dabei von großer Bedeutung, so Bodemann. „Wir müssen unterstützt werden, so wie wir die zivile Seite im Katastrophenfall unterstützen.“
Ganz offensichtlich hat das den Kanzler überzeugt. Seine Erwartung, er wolle verstehen, „was alles ineinandergreifen muss, damit die Sicherheit in unserem Land gewährleistet werden kann“, hat die Truppe offenbar erfüllen können.
Beim Abschlussbild auf dem Exerzierplatz des Kasernengeländes wendet sich Scholz an die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und der amerikanischen Streitkräfte. „Es hat großartig geklappt und mir auch viele Eindrücke vermittelt“, sagt Scholz.
Die Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und den zivilen Kräften habe bei der Übung „gut funktioniert“ und müsse weiterentwickelt werden, „damit wir aus der Zeitenwende, die der russische Angriffskrieg auf die Ukraine darstellt, auch die richtigen Schlüsse ziehen. Es war ein guter, ein ertragreicher Besuch“, so der Kanzler. „Vor allem einer, der ermutigt, weiterzumachen. Ich habe verstanden, die Frauen und Männer, die hier zusammenarbeiten, tun das mit ganzem Herzen. Und das ist das Wichtigste.“