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„Schicksal Europas entscheidet sich“Warum ein Kölner Polizist weiter Hilfen für die Ukraine organisiert

Lesezeit 4 Minuten
Der Kölner Polizist Ralf Oetinger.

Der Kölner Polizist Ralf Oetinger organisiert seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine Hilfslieferungen.

Spenden in zweistelliger Millionenhöhe hat Ralf Oetinger bereits in die Ukraine geschafft. Wie er trotz der politischen Lage nicht verzweifelt und was ihn antreibt.

Immer dann, wenn Ralf Oetinger Zweifel kommen, ob und wie lange er das noch aushält, wenn er nach dem nächsten Hilfstransport in die Ukraine erschöpft und niedergeschlagen ist, dann fährt er auf den Litschakiwski-Friedhof in Lemberg. Fahnen der Ukraine wehen dort über den Gräbern gefallener Soldaten, vor vielen stehen Portraits der Toten. „Wenn ich da entlang laufe und eine Mutter sehe, wie sie sich aus lauter Trauer um ihren Sohn übergeben muss – dann ist das so ein starker Schmerz, danach bin ich nicht mehr müde.“

Ein Leben zwischen Kölner Polizeiwache und Hilfstransporter

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vor drei Jahren sammelt der 51-jährige Oetinger, der als Dienstgruppenleiter bei der Kölner Polizei in Mülheim arbeitet, Spenden für die Menschen in der Ukraine. Vor wenigen Wochen ist der 57. Transport aufgebrochen. „Wegschauen vor dem, was in der Ukraine passiert, ist ein verständlicher Reflex“, sagt er bei einem Gespräch in der Polizeiwache auf dem Clevischen Ring in Mülheim. „Aber man muss gegen diesen Reflex ankämpfen, man muss hinschauen. Ich bin fest davon überzeugt: In der Ukraine entscheidet sich das Schicksal Europas.“

Gräber ukrainischer Soldaten, die seit dem Beginn der russischen Invasion gefallen sind, sind auf dem Lytschakiw-Friedhof zu sehen.

Der Lytschakiw-Friedhof in Lwiw.

Es ist diese Überzeugung, die ihn schon einen Tag nach Ausbruch des Krieges vom Fernseher losreißt. „Mir war klar: Da müssen wir dagegenhalten.“ Er ruft Freunde an, schreibt Bekannten und schließt sich mit Kollegen bei der Polizei kurz, organisiert von seinem Wohnort in Düsseldorf aus Lebensmittel, Kleidung, medizinische Geräte. Binnen Stunden sind mehrere Busse mit Spenden vollgeladen.

Zwei Tage später sitzt Oetinger gemeinsam mit Freunden im Auto, unterwegs zur ukrainischen Grenze. „Dort kamen uns tausenden Frauen und Kinder entgegen. Das sind Bilder, die man sonst nur von Darstellungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs kennt.“ Ein kleines Grenzdorf wurde binnen Stunden zum Umschlagsplatz von Menschen und Gütern auf dem Weg zum – oder auf der Flucht vor dem Krieg.

Vor dem Haus von Ralf Oetinger wird eine Hilfslieferung in die Ukraine vorbereitet.

Teils mehrere LKW voll Spenden transportieren Oetinger und sein Team in die Ukraine.

Oetinger und seine Mitstreiter knüpfen schnell Kontakte zu Verbindungspersonen und Hilfsorganisationen. Seitdem dreht sich Oetingers Leben neben der Arbeit nur noch um die nächste Hilfslieferung. „Ich gehe zur Arbeit und danach kümmere ich mich um die Spenden. Das ist alles.“ Ein dicht gespanntes Netzwerk von Bekannten, Freunden, Vereinen, auch Unternehmen hat er um sich geschart, vor allem mit dem Verein „Wegberg hilft“ arbeitet er eng zusammen.

Mindestens 1300 Kubikmeter Ladevolumen, allein 30 Generatoren, das Equipment für ein ganzes Krankenhaus – und insgesamt Spenden im Wert von mindesten zehn Millionen Euro sind dabei bisher zusammengekommen. Er selbst war bereits über 30-mal in der Ukraine. „Dabei habe ich Menschen kennenlernen dürfen – wie die mit dieser Situation umgehen, davor habe ich die größte Hochachtung.“ Nicht alle dieser Bekanntschaften seien noch am Leben.

Ralf Oetinger bei der Übergabe einer Spende an die Feuerwehr im Lwiw.

Ralf Oetinger bei der Übergabe einer Spende an die Feuerwehr im Lwiw.

Auch Oetinger spürt, wie die Anteilnahme am Schicksal der Ukraine nachgelassen hat. „Vor drei Jahren musste ich zehn Anrufe machen für eine Hilfsleistung, heute sind es hundert Anrufe.“ Gleichzeitig tritt mit Donald Trump ein US-Präsident auf die Weltbühne zurück, der den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj einen Diktator nennt und Friedensdeals mit Putin verhandelt, ohne dass die Ukraine und Europa mit am Tisch sitzen. Ob ihn das frustriert?

„Man hätte diesen Konflikt mit mehr Entschlossenheit in drei Monaten lösen können. Aber dafür hätte es Politiker vom Format Winston Churchill gebraucht, während wir Politiker mit dem Format von Donald Duck haben.“
Ralf Oetinger

„Frust ist das falsche Wort. Aber dass viele offenbar nicht erkennen wollen, wie wichtig dieser Krieg auch für uns, für unsere Art zu leben, für den Werdegang unserer Kinder ist, das ist schon extrem erstaunlich“, sagt Oetinger.

Bei Putin, sagt er, „hat man es mit einem schwerkriminellen Gewalttäter zu tun. Und wenn ich eins in meinem Berufsleben gelernt habe, dann: Wenn man die Situation unbedingt eskalieren lassen will, dann macht man es genauso wie unsere Politiker.“ Man dürfe sich in der Sicherheitspolitik nicht von den USA abhängig machen, müsse selbstbewusster, entschiedenerer auftreten. „Man hätte diesen Konflikt mit mehr Entschlossenheit in drei Monaten lösen können. Aber dafür hätte es Politiker vom Format Winston Churchill gebraucht, während wir Politiker mit dem Format von Donald Duck haben.“

Das große Ganze, die Entscheidungen auf der politischen Weltbühne könne er allerdings sowieso nicht beeinflussen. Deswegen will sich Oetinger damit auch nicht zu lange aufhalten. „Beeinflussen kann ich nur meine eigenen Handlungen.“ Darum organisiert Oetinger auch schon die nächste Hilfslieferung, im März geht es erneut in die Ukraine. „Wenn auch nur ein von uns gelieferter Feuerwehrschlauch verhindert, dass ein 20-Jähriger in seinem Panzer verbrennt, dann kann ich den Rest meines Lebens Mist bauen und bleibe trotzdem noch im Plus.“


Spenden

Wer spenden möchte, den bittet Ralf Oetinger sich an den Verein „Wegberg hilft“ zu wenden:Volksbank MönchengladbachIBAN: DE51 3106 0517 0087 6000 17Kreissparkasse HeinsbergIBAN: DE47 3125 1220 1402 6002 31

Oder per Mail an ri.sorge@web.de