Der US-Präsident wirft seinem einstigen Verbündeten vor, den Krieg gegen Russland begonnen zu haben. Doch die Republikaner stehen treu zu Trump.
„Verabscheuungswürdig“Der „Deal-Maker“ Trump erpresst die Ukraine mit Fantasiezahlen
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Trump und Selenskyj bei einem Treffen im New Yorker Trump Tower am 29. September 2024.
Copyright: Julia Demaree Nikhinson/AP/dpa
Nach dem schwindelerregenden Aktionismus der vergangenen Tage ließ es Donald Trump am Mittwoch zunächst deutlich ruhiger angehen. Der US-Präsident begann den Tag in seiner Residenz Mar-a-Lago in Florida mit ein paar Online-Posts, spielte dann Golf und fuhr schließlich am Abend zu einem von der saudischen Regierung gesponserten Investorentreffen in Miami Beach, wo er das Königreich als „ganz besonderen Ort“ umgarnte und seine Geschäftsinteressen vorantrieb.
„Ich hatte immer einen Instinkt dafür, Geld zu machen“, lobte sich der Immobilienmogul selbst. Doch kurz darauf kam er auf die Ukraine und deren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu sprechen. „Er weigert sich, Wahlen durchzuführen“, ging Trump den einstigen Verbündeten hart an. „Er ist ein Diktator ohne Wahlen. Er sollte besser schnell handeln, denn sonst wird er kein Land mehr haben.“ Damit wiederholte der Präsident offen den Inhalt seines Online-Posts vom Vormittag, in dem er Selenskyj einen „schrecklichen Job“ bescheinigt hatte.
Trumps wilde Attacken gegen Selenskyj bei Investorenkonferenz
Trumps verbale Angriffe auf den ukrainischen Präsidenten, in denen er auch behauptet, dessen Land – und nicht etwa Russland – habe den Krieg begonnen, werden beinahe stündlich extremer. Dass der Möchtegern-Diktator nun selbst bei einer Investorenkonferenz herumwütet, wirkt befremdlich. Es legt aber den mutmaßlichen Hintergrund der Eskalation offen, die in Russland mit Verzückung und in Europa mit Erschrecken verfolgt wird.
Der selbsternannte Deal-Maker hat nämlich kein geopolitisches, sondern ein rein finanzielles Interesse an der Ukraine. „Sie haben Seltene Erden, sie haben Öl und Gas. Sie haben eine Menge anderer Dinge“, hatte Trump in der vergangenen Woche im Weißen Haus geschwärmt. Dann behauptete er, die USA hätten der Ukraine insgesamt 350 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt. Nun wolle er „sicherstellen, dass wir unser Geld zurückbekommen“.
Trump operiert mit Milliarden-Mondzahlen
Dabei verwies Trump auf ein angestrebtes Rohstoffabkommen mit der Ukraine, das den USA langfristig Erträge aus dem Abbau der dort schlummernden Mineralien sichern soll. Selenskyj selbst hatte das ursprünglich in der Hoffnung vorgeschlagen, als Gegenleistung einen dauerhaften militärischen Schutzschirm zu erhalten. So hat man den Deal offenbar auch in Brüssel verstanden und erstaunlicherweise als unproblematisch eingestuft.
Tatsächlich will Trump aber keine Zusagen für die Zukunft geben, sondern fordert eine Zahlung für vergangene Leistungen. Dabei unterstellt er zudem Fantasiezahlen. Die USA haben nämlich bisher nur etwa 175 Milliarden Dollar an Ukraine-Hilfen bewilligt. Rund 70 Milliarden davon flossen gar nicht nach Kiew, sondern an die heimische Rüstungsindustrie.
„Trump verlangt zu viel“, kommentiert selbst das rechte Boulevardblatt „New York Post“, das Trump sonst immer unterstützt – und nennt es „verabscheuungswürdig“, die vom Krieg zermarterte Ukraine nun finanziell auszupressen. Das sieht Selenskyj offenbar ähnlich. Anders als von der US-Regierung erwartet, verweigerte er am Wochenende zunächst seine Unterschrift.
Seither hat Trump den Ukrainer frontal ins Visier genommen. „Die Frustration hat ihren Ursprung in der letzten Woche, als es zu diesem bizarren Widerstand kam“, erklärt der amerikanische Sicherheitsberater Mike Waltz offen. „Wir glauben, der amerikanische Steuerzahler hat ein Anrecht darauf, einen Großteil seiner Investitionen zurückzuerhalten.“ Bei dem Investmenttreffen kam auch der Präsident selbst auf das Thema zu sprechen: „Wir hatten einen Deal über Seltene Erden mit der Ukraine“, behauptete er. „Sie haben ihn vor zwei Tagen gebrochen.“
Die angeblich miserablen Umfragewerte Selenskyjs sind erfunden
Mit maximalem Druck will der US-Präsident Selenskyj nun offenbar zum Einlenken zwingen. Dass er dabei die ukrainische Position bei möglichen Friedensverhandlungen mit Russland massiv untergräbt, scheint ihn nicht zu stören. Nachdem sich Selenskyj gegen die Angriffe zur Wehr gesetzt und erklärt hatte, Trump sei in einem „Netz von Falschinformationen“ gefangen, mokierte sich der US-Präsident über die angeblich miserablen Umfragewerte seines Kontrahenten, dessen Zustimmungsrate bei nur vier Prozent liege. Tatsächlich vertrauen laut einer Erhebung des Internationalen Instituts für Sozialwissenschaft in Kiew vom Dezember 52 Prozent der Bevölkerung ihrem Präsidenten.
Der Erpressungsversuch dürfte Selenskyj an den Sommer 2019 erinnern. Damals wollte Trump vom US-Kongress beschlossene Militärhilfen von 500 Millionen Dollar nur dann an Kiew auszahlen, wenn die dortige Regierung Belastungsmaterial gegen seinen Kontrahenten Joe Biden und dessen Sohn Hunter ausgraben würde. Selenskyj lehnte ab, das Telefonat wurde bekannt und führte zum ersten Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Beobachter glauben, dass der Narzisst im Weißen Haus seitdem auf Rache sinnt.
Von führenden amerikanischen Republikanern, die anfangs Selenskyj euphorisch unterstützt und bei dessen Besuchen in Washington wie einen Helden gefeiert hatten, kommt keine Kritik an der 180-Grad-Wende des Präsidenten. „Präsident Trump bietet der Ukraine die besten Chancen, den Krieg ehrenhaft und gerecht zu beenden“, behauptete im Gegenteil Senator Lindsey Graham, der sich in der Vergangenheit immer als mutiger Unterstützer Kiews inszenierte hatte, am Mittwoch ernsthaft auf der Plattform X.
Nur ein Mann, der Trump während seiner Zeit als dessen Vizepräsident niemals widersprochen hatte, zeigt nun überraschend Rückgrat. „Herr Präsident, die Ukraine hat diesen Krieg nicht begonnen“, beharrte Mike Pence bei X. „Der Weg zum Frieden muss auf der Wahrheit aufbauen.“