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Regierung irritiert, Merz schockiertSo reagiert Deutschland auf Trumps dramatischen Ukraine-Kurswechsel

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Verteidigungsminister Pistorius kritisierte, die US-Regierung habe Russland schon zu viele Zugeständnisse gemacht und schwäche damit ihre Verhandlungsposition.

Verteidigungsminister Pistorius kritisierte, die US-Regierung habe Russland schon zu viele Zugeständnisse gemacht und schwäche damit ihre Verhandlungsposition.

Die USA wollen ein rasches Ende des russischen Angriffskriegs. Erwartungen der Ukraine sowie der Europäer drohen dabei übergangen zu werden.

„Wir haben den ersten Schritt getan, um die Arbeit in verschiedenen Bereichen wieder aufzunehmen“ – so kommentierte der russische Präsident Wladimir Putin das erste Treffen von Regierungsvertretern Moskaus und Washingtons in Saudi-Arabien als Beginn einer möglichen Wiederannäherung an die USA.

Er sei über die Gespräche in Riad informiert worden und schätze sie „positiv“ ein, sagte Putin am Mittwoch während eines Besuchs in einer Drohnenfabrik in St. Petersburg. „Es gibt ein Ergebnis“, fügte er hinzu.

Russland müsse aber noch mehr Vertrauen zu den USA aufbauen, um ein Ende des „Ukraine-Konflikts“ zu erreichen, betonte der Kreml-Chef. „Es ist unmöglich, viele Probleme zu lösen, einschließlich der Ukraine-Krise, ohne das Vertrauen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten zu stärken.“

Bei dem Treffen in Riad sei vereinbart worden, „wieder eine normale diplomatische Arbeit aufzunehmen“, sagte Putin. Er bekräftigte seine Bereitschaft zu einem Treffen mit US-Präsident Donald Trump, ohne einen möglichen Termin für eine solche Begegnung zu nennen.

Selenskyj nennt Trump-Äußerungen „russische Desinformation“

An den Beratungen in der saudi-arabischen Hauptstadt hatten am Dienstag unter anderen Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow und der neue US-Außenminister Marco Rubio teilgenommen. Vertreter der Ukraine und der EU waren nicht eingeladen.

Auch US-Präsident Donald Trump ging nach den Gesprächen an die Öffentlichkeit und sorgte einmal mehr für Entsetzen im Westen, indem er Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj große Schuld am Krieg in seinem Land zurechnete. Er behauptete zudem haltlos, Selenskyj habe schlechte Umfragewerte im eigenen Land und würde sich Neuwahlen widersetzen.

Der ukrainische Präsident reagierte auf die Vorwürfe. Angaben zu angeblich niedrigen Beliebtheitswerten wies Selenskyj entschieden zurück. „Wenn mich jemand gerade jetzt austauschen will, dann klappt das eben jetzt nicht“, unterstrich er auf einer Pressekonferenz in Kyjiw und verwies auf Zustimmungswerte von über 50 Prozent in mehreren Umfragen. Trump sei offenbar von russischen Fake-News beeinflusst. Anders könne sich Selenskyj die wirren Vorwürfe Trumps nicht erklären.

Trump bezeichnet Selenskyj als „Diktator ohne Wahlen“

Den ukrainischen Staatschef Selenskyj bezeichnete Trump später noch als „Diktator“ und verschärfte damit die Spannungen zwischen Kiew und Washington. „Ein Diktator ohne Wahlen, Selenskyj sollte sich besser beeilen, oder er wird kein Land mehr haben“, erklärte Trump am Mittwoch auf seiner Online-Plattform Truth Social.

Selenskyjs Amtszeit war im Mai 2024 offiziell zu Ende gegangen, wegen des Kriegsrechts dürfen in der Ukraine derzeit aber keine Wahlen abgehalten werden.

Bundesregierung irritiert über Trumps Ukraine-Politik - Warnung vor Alleingang

Die Annäherung zwischen den USA und Russland sorgt nun auch für in Deutschland für umso größere Irritationen. Die Äußerungen aus der deutschen Politik waren geprägt von der Sorge, dass eine einseitige russisch-amerikanische Einigung zu Lasten der Ukraine die Sicherheit Europas auf Dauer schwächen könnte. „Mit einem Scheinfrieden, der Russland nur eine Atempause für neue Kriegszüge verschaffen würde, wäre niemanden geholfen: nicht der Ukraine, nicht Europa und nicht den USA“, erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Sie warb „für ein selbstbewusstes Agieren gegenüber der US-Administration“.

Eindringlich warnte Baerbock davor, Europa bei einer Regelung zum Kriegsende außen vor zu lassen. Europas Rolle „kleinzureden, spielt nur der russischen Agenda in die Hände“, erklärte die Ministerin. „Dauerhaften Frieden in Europa kann es nur mit Europa geben.“

Boris Pistorius: „Die Amerikaner haben einen Fehler gemacht“

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kritisierte, die US-Regierung habe Russland schon zu viele Zugeständnisse gemacht und schwäche damit ihre Verhandlungsposition. „Die Amerikaner haben einen Fehler gemacht, die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine vom Tisch zu nehmen“, sagte Pistorius im Deutschlandfunk. Auch US-Äußerungen zu ukrainischen Gebietsabtretungen würden die westliche Verhandlungsposition von vornherein schwächen. Das Vorgehen der USA erscheine ihm „eruptiv und erratisch“.

Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) zeigte sich entsetzt über Trumps Äußerungen. „Das ist im Grunde genommen eine klassische Täter-Opfer-Umkehr, das ist das russische Narrativ“, sagte Merz der ARD. „Und ich bin ehrlich gesagt einigermaßen schockiert darüber, dass Donald Trump das jetzt offensichtlich sich selbst zu eigen gemacht hat.“ Auf Deutschland und Europa komme nun „wirklich ein Paradigmenwechsel in der gesamten Außen- und Sicherheitspolitik“ zu.

Die Bundesregierung riet derweil dazu, nicht jede Äußerung von Trump auf die Goldwaage legen. „Wir haben es mit einem kommunikativ sehr aktiven US-Präsidenten zu tun“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Er selbst habe sich „vorgenommen, nicht jede einzelne Äußerung des US-Präsidenten hier ständig zu bewerten“. Eine solche Zurückhaltung sei auch angeraten, weil es sonst „immer eine Form der Verunsicherung gibt, wenn wir da allem hinterherhecheln würden“.

Außenministerin Baerbock riet: „Wir dürfen uns von den jüngsten Gesprächen nicht kirre machen lassen und müssen weiter kühlen Kopf bewahren – auch angesichts der Vielfalt der Stimmen, die uns über den Atlantik erreichen.“

Die Bundesregierung bekräftigte die unveränderte Unterstützung Deutschlands und Europas für die Ukraine. Minister Pistorius wollte auch nicht ausschließen, dass sich Deutschland an einer späteren Friedenssicherung in der Ukraine beteiligen werde: „Natürlich wird sich Deutschland als größter Nato-Partner in Europa an jeder sinnvollen und abgesicherten Friedensmission beteiligen.“ Zunächst müssten aber die Rahmenbedingungen geklärt werden.

Weitere europäische Länder beraten zur Ukraine

In die Gespräche über eine Friedensregelung müssten „selbstverständlich“ die ukrainische Seite und auch die EU eingebunden werden, sagte Regierungssprecher Hebestreit: „Es geht schließlich auch um die europäische Friedensarchitektur.“ Die Bundesregierung erwarte, dass sich „in den nächsten Tagen und Wochen“ ein Format entwickeln werde, in dem alle Seiten ihre Interessen vortragen könnten. Die US-Regierung hat bislang nur in sehr vager Form über eine Einbindung Europas gesprochen.

Somit wurde nach den ersten amerikanisch-russischen Gesprächen vor allem eines deutlich: Die Frage, wie Europa auf den drastischen Kurswechsel in der US-Ukraine-Politik reagieren soll, ist dringender als je zuvor.

Zahlreiche europäische Länder und Kanada wollen sich deshalb nun umso klarer zur Ukraine abstimmen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lud dafür zu einer informellen Videoschalte, nachdem sich ein kleiner Kreis europäischer Staats- und Regierungschefs bereits am Montag zu einem Ukraine-Krisengipfel in Paris getroffen hatten.

Deutschland ist bei der neuen Gesprächsrunde laut Élysée-Palast nicht dabei. Dafür sind neben Frankreich 19 europäische Länder und Kanada vertreten. Die EU hatte zuvor bereits den Druck auf Russland erhöht. Vertreter der 27 Mitgliedstaaten verständigten sich am Mittwoch in Brüssel auf ein umfangreiches Sanktionspaket. (oke/afp/dpa)