Köln – „Ich war sprachlos.“ Der Chef des neuen städtischen Amtes für Integration und Vielfalt, Hans Oster, kann aus eigener Erfahrung berichten, wie es ist, mit der „falschen“ Sprache eingeschult zu werden. Bei ihm zu Hause sei kein Hochdeutsch gesprochen worden, als er zusammen mit seiner Zwillingsschwester ins erste Schuljahr kam. Man habe ihn ausgegrenzt und ihm regelrecht die Sprache genommen. Bei Osters wurde zu Hause Kölsch gesprochen. Das wollte in der Schule keiner hören.
Die Einstellung zur kölschen Sproch hat sich geändert. Doch die Haltung, verschiedene Sprachen unterschiedlich wertzuschätzen, ist geblieben. Englisch und Französisch, auch Spanisch und Italienisch, sogar die tote Sprache Latein genießen hohes Ansehen. Als es darum ging, das erste deutsch-türkische Unterrichtsangebot an den Start zu bringen, organisierten aufgebrachte Eltern massiven Protest. „Türkisch hat ein schlechtes Image“, sagt die Chefin des Kölner Wissenschafts- und Abenteuermuseums „Odysseum“, Gonca Mucuk, die damals als Mutter an der Katholischen Grundschule in Zollstock für den bilingualen Unterricht stritt. „Köln braucht Angebote in den Sprachen der großen Zuwanderergruppen.“ So sahen es auch Stadt, Bezirksregierung und die Schulkonferenz der Schule. Und doch knickten die Verantwortlichen ein.
Viel hängt von der Förderung zuhause ab
Zehn Jahre ist das jetzt her, und seitdem ist nur eine einzige Gemeinschaftsgrundschule in Bilderstöckchen diesen Schritt gegangen. In anderen Sprachen der Zuwanderer ist es etwas besser gelaufen: Es gibt drei deutsch-italienische, außerdem jeweils eine deutsch-spanische, deutsch-englische und deutsch-französische Grundschule. Letztere ist für viele afrikanische Zuwanderer interessant.
In der Debatte um die mutmaßlich schlechte Integration vieler Migranten wird immer wieder gerne das Beispiel der kleinen Mädchen oder Jungen genannt, die ohne ein Wort Deutsch in eine Kita kommen, weil zu Hause die Sprache des Herkunftslandes der Familie gesprochen wird. Doch ist das wirklich ein Problem? „Nein“, sagt der zuständige schulfachliche Dezernent bei der Bezirksregierung Manfred Höhne. Kinder brauchten Eltern, die fördern, anregen, vorlesen und reden – egal, in welcher Sprache. Dann fällt das Erlernen der Zweitsprache leicht.
Davon kann auch die Politikwissenschaftlerin Elcin Ekinci berichten, Geschäftsführerin des Zentrums für Mehrsprachigkeit und Integration Köln, kurz ZMI. Als sie mit ihren Eltern aus der Türkei nach Deutschland kam, wurde sie direkt in den deutschsprachigen Schulunterricht gesetzt. Ihre jüngere Schwester profitierte dagegen nach ihrer Einschulung von bilingualen Angeboten. „Ich sehe heute, dass meine Schwester sowohl besser Deutsch als auch besser Türkisch kann.“
Das bestätigen wissenschaftliche Forschungen: Die Förderung der Sprachen, die Kinder mit in Kita und Schule bringen, hilft beim Erlernen aller weiteren Sprachen. Alle sollen perfekt Deutsch können, aber auch fit in der Herkunftssprache ihrer Familien werden und bleiben. Für Tayfun Keltek, den Vorsitzenden des Kölner Integrationsrats, geht es dabei noch um mehr. „Das ist das wichtigste Thema für die Integration.“ Der Schlüssel für eine gelingende Eingliederung sei der Umgang mit den „zwei Identitäten“, die Kinder mit familiären Wurzeln im Ausland hätten. Und dazu gehöre die Wertschätzung der Herkunftssprache. „Für eine erfolgreiche Integration ist die gesellschaftliche Anerkennung der Identität eines Individuums eine äußerst wichtige Voraussetzung“, heißt es in einem Positionspapier des Integrationsrates. Anders ausgedrückt: Wer sich nicht wertgeschätzt fühlt, will nicht dazu gehören.
„Die Neugier wächst, die Offenheit wird immer größer“
Wie der Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Praxis funktioniert, kann man an vielen Kölner Schulen sehen: Grundschüler, die schon mit Wörterbüchern in allen möglichen Sprachen hantieren und sich selber „Sprachforscher“ nennen, notieren „Entdeckungen“ und teilen Wissen. Da wird diskutiert und gestaunt, verglichen und viel geredet. Das Lernen knüpft an das an, was die Kinder mitbringen, verbindet ihre Kompetenz in der Herkunftssprache mit dem Deutschunterricht.
Im Rahmen der „Lit.kid.Cologne“ haben sich mehrere Schulen an einem „generativen Gedichtwettbewerb“ beteiligt. Neben der Sprachenvielfalt beeindruckte die Jury auch die Vielzahl der Themen der kleinen, kreativen Schriftsteller. Der Buchheimer Efe Sahin, zum Zeitpunkt des Wettbewerbs noch im vierten Schuljahr der Gemeinschaftsgrundschule an Sankt Theresia, ließ sein Gedicht über seinen Traumberuf „Profifußballer“ („Ich trinke Milch, werde kräftig und schieße Tore“) mit einem selbstbewussten Schlussappell in türkischer Sprache enden: „Hazir ol Almanya! Efe Sahin geliyor.“ Heißt auf Deutsch: „Sei bereit, Deutschland! Efe Sahin kommt!“
Mit solchen Angeboten in der Schule werde jedes Kind „zu einem Experten in einer Sprache“, sagt Rosella Benati, die die Bezirksregierung in der Geschäftsführung des ZMI vertritt. „Das ist eine Vorbereitung auf das Leben in einer vielfältigen Welt.“ Im ZMI arbeiten seit über zehn Jahren Universität, Bezirksregierung und Stadt zusammen, um bestehende Projekte zur Sprachförderung zu koordinieren und neue anzustoßen. Mit dem Umgang mit der alltäglichen Vielfalt verbindet sich auch die Idee, dass sich die Grundhaltung der gesamten Schulgemeinschaft verändert. „Die Neugier wächst, die Offenheit wird immer größer. Man lernt jeden Tag etwas Neues“, beschreibt Frauke Soll, stellvertretende Leiterin der Grundschule Westerwaldstraße in Humboldt-Gremberg, den Wandel im Kollegium, der dadurch weiter befördert wird, dass auch die Lehrerschaft immer internationaler und vielfältiger wird.
Die Akteure im ZMI loben, Köln sei „in vielen Bereichen ein Vorreiter“. Mehrsprachige Unterrichtskonzepte, internationale Schreib- und Lesewettbewerbe, das jährliche Sprachfest, interkulturelle Angebote in Schulen und städtischen Museen, Fachtagungen, Weiterbildungsangebote und vieles mehr werden angestoßen und begleitet. Das Angebot an sogenanntem „herkunftsprachlichen Unterricht“ mit 17 verschiedenen Sprachen, darunter auch Romanes und bald auch Twi, die Sprache der Menschen aus Ghana, ist immer weiter gewachsen.
In der Primarstufe ist der „Verbund Kölner Europäischer Grundschulen“ das Aushängeschild. Er traf sich Ende November zu einem Fachtag mit kleinem Festakt in der Vingster Gemeinschaftsgrundschule in der Lustheider Straße, um seine „Leitlinien für Mehrsprachigkeit“ in Kraft zu setzen. Diese beschreiben die Grundlagen und Ziele einer „interkulturellen Lerngemeinschaft, die von den Potenzialen aller Schüler getragen wird“, so der pensionierte Schulleiter Franz Legewie.
„Mehrsprachigkeit ist der Schlüssel zur Welt“, sagte die Sprach- und Erziehungswissenschaftlerin Argyro Panagiotopoulou bei ihrem Vortrag in der Grundschulaula. Die in Athen geborene Expertin ist Professorin für Bildung und Entwicklung in Früher Kindheit an der Kölner Universität. „Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit“ dürfe man nicht als Problem sehen, das man mit der Herstellung einer „künstlichen Einsprachigkeit“ zu lösen glaube. „Das ist doch absurd: Wir erziehen die Kinder zur deutschen Einsprachigkeit, um sie dann zum Lernen einer Fremdsprache wie Englisch oder Französisch zu bringen.“ Gleichzeitig ließe man die natürliche Sprachkompetenz in einer nicht-deutschen Sprache, die die Kinder von zu Hause kennen, verkümmern.
Panagiotopoulou geht bei ihren Empfehlungen ans Schulsystem noch einen Schritt weiter als andere: Es sei nicht nur wichtig, die Erst- und die Zweitsprache der Kinder zu fördern, es müsse auch Räume in Schulen und Kitas geben, „wo Sprachen nicht getrennt werden und alles stattfinden kann, was Kinder mitbringen“. Denn: „Mehrsprachige Menschen denken und handeln nicht in einer einzigen Sprache. Sie mischen und lernen, dass die Wahl einer Sprache von Situationen oder vom Gegenüber abhängig ist.“
Der Fachtag war glänzend besucht. Hunderte engagierte Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiter und Sozialarbeiter tauschten sich aus. Doch dieser Eindruck täuscht über den tatsächlichen Stand der Dinge hinweg: Im Verbund Kölner Europäischer Grundschulen sind bislang nur 15 Schulen aktiv. Angesichts von insgesamt 146 Kölner Grundschulen ist das nicht so viel. An den weiterführenden Schulen oder auch in Kindertagesstätten sieht es nicht viel besser aus. Das Thema sei noch nicht „fest verankert“, heißt es beim ZMI. Man habe es mit einem Prozess zu tun, es werde nicht einfach ein Schalter umgelegt, so Dezernent Manfred Höhne. Schulen fehlten Kapazitäten. In der Lehrerausbildung spielt „sprachsensibler Unterricht“ erst seit kurzem eine angemessene Rolle. Man müsse „mit guten Beispielen werben“, damit immer mehr mitmachen. Das Land unterstütze die Schulen mit zusätzlichem Personal und Lehrerstunden.
Integrationspolitiker Keltek hat noch eine andere Erklärung, die außerhalb der Schulen zu suchen ist. Seit 30 Jahren arbeite man daran, dass die Sprachen der Zuwanderer in den Schulen mehr Raum bekommen als ein „Guten Morgen“ auf Türkisch oder Italienisch. Die Fortschritte seien nicht nur deshalb so klein, weil weiterhin viel Unkenntnis herrsche. Man habe es ebenso mit den Folgen eines „latenten Rassismus“ zu tun. Dieser wirke sich auch in den Institutionen von Stadt, Land und Staat aus. Während diese einerseits mit verschiedenen Dienststellen die Förderung der Mehrsprachigkeit unterstützen, würden andere Abteilungen mit ihrem Widerstand den Fortschritt torpedieren.