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Veedels-CheckLind – Kölns vergessenes Dorf

Lesezeit 7 Minuten
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Dorfplatz und Bäckerei sind Treffpunkte in Lind.

Lind – Das aktive Linder Leben ist zu einem großen Teil in der Vergangenheit angesiedelt. Wenn der frühere Porzer Bezirksbürgermeister und große Lind-Fan Hans-Gerd Ervens über seinen Heimatort spricht, klingt großes Bedauern über verpasste Chancen aus seinen Worten. „Lind ist Kölns vergessenes Dorf“, sagt er kopfschüttelnd. An vielen Beispielen kann er festmachen, was nach allgemeiner Einschätzung eigentlich zu einem funktionierenden Veedel gehört, was in Lind aber nur noch in der Erinnerung existiert.Als Ervens mit seiner Familie Anfang der 1970er Jahre an den Rand der Heide zog, gab es im Straßendorf noch fast alles, was man zum täglichen Leben braucht. Man traf sich beim Metzger oder im Lebensmittelgeschäft. Im Gasthaus Helfer kamen Familien, Vereine und Stammtische zusammen. Es gab mehrere Vereine und Initiativen, sogar einen eigenen Karnevalszug, „was aber immer fehlte, waren eine Schule und eine Kirche – traditionell zwei Institutionen, um die herum sich gesellschaftliches Miteinander entwickelt“, sagt Ervens. Die Kinder des Heideortes mussten von jeher nach Wahnheide oder Wahn zur Schule gehen, und Lind zählt zur Pfarre Wahn.

Doch das weitere Zusammenwachsen mit dem größeren Nachbarort konnte nicht gedeihen, weil die Flughafenautobahn als verkehrsreiche Schneise beide Orte dauerhaft trennt. „Jetzt haben wir die Situation, dass man sich in Lind zum Astronauten ausbilden lassen, aber kein Kotelett kaufen kann“, resümiert der erfahrene SPD-Politiker. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt auf Linder Boden ist weltbekannt, die Nachbarn in ihren gepflegten Siedlungen sind ins Abseits geraten. Dass die Dorfgaststätte abgebrochen wurde und Pläne zur Ansiedlung eines Supermarktes scheiterten, zählt Ervens zu den besonderen Verlusten.

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Der Wasserturm steht auf dem Gelände der früheren Munitionsfabrik in Lind.

Zum Glück gibt es aktive Menschen, die dem Miteinander im Ort stetig neue Impulse geben. Dazu zählen Ervens und die beiden Linder Sprecher des Bürgervereins Wahn, Wahnheide, Lind, Jochen Humberg und Gerhard Möller. Mit weiteren Unterstützern auch aus der Bezirksvertretung haben sie sich dafür eingesetzt, dass Lind einen Dorfplatz bekam, auf dem kleine Feste gefeiert werden können. Der früher etwas heruntergekommene Platz an der Viehtrift gleich gegenüber von Bäckerei und Kiosk wurde schön beleuchtet, ordentlich gepflastert und bepflanzt, mit Müllsammlern und Bänken ausgestattet. Einen Wasseranschluss oder eine separate Stromversorgung, was für Feiern wichtig wäre, plante die Stadt aber nicht ein. „Immerhin, wir haben jetzt diesen Treffpunkt, auf dem wir Anfang Mai zusammen mit der SPD ein Dorfplatzfest feiern können, wo die Familien nach dem Martinszug zusammen kommen und wo am Samstag vor dem 2. Advent mit Glühwein und Kinderpunsch die Installation des Dorf-Weihnachtsbaumes gefeiert wird“, sagt Humberg. Kerstin Cantz und Birgit Horbach kümmern sich jeweils um die Organisation der adventlichen Feier.

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„Es wäre schön, wenn mehr Menschen sich für die Gemeinschaft engagierten und Ideen für Lind entwickelten“, sagt Möller. Er erinnert sich daran, wie in seiner Wohnstraße 1989 bei einem Siedlungsfest der Karnevalsverein „Lustige Linder Nachbarn“ aus der Taufe gehoben wurde. Mit einem originellen Festwagen, der von Hand gezogen wurde, und mit starker Beteiligung bunt kostümierter Jecken nahm die närrische Nachbarschaft viele Jahre am Samstags-Zoch in Wahn teil und wurde oft mit Preisen ausgezeichnet. Doch dann bröckelten die Teilnehmerzahlen. „Erst neulich haben wir uns getroffen. Die Zahl der Aktiven war so klein geworden, dass wir einsehen mussten: Das reicht nicht“, sagt Möller bedauernd. Erstmals wird im Wahner Zug keine Linder Gruppe mehr mitgehen. Der Comedian und Showmaster Guido Cantz, prominenter Bewohner des Heide-Örtchens, wird mit seinem Festwagen im Zug dann allein die Linder Narretei vertreten müssen.

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Reihenhäuser geben dem Ort Lind Farbe.

Dass sie vom Rest Kölns so abgeschnitten leben, macht gerade älteren Bewohnern zu schaffen. „Es gibt einen Friseur hier, aber keinen Arzt, keine Apotheke oder Therapeuten. Und wenn Senioren, die kein Auto haben, jedes Mal Nachbarn bitten müssen, sie zum Einkaufen mitzunehmen, ist das mühsam“, sagt Jochen Humberg. Für Abhilfe sorgt ein mobiler Laden aus der Eifel, der vor allem Senioren mit frischen Waren beliefert. Auch Kioskbetreiber Halil Kaynak versucht, eine solide Auswahl an Lebensmitteln von Sahne bis Ravioli bereitzuhalten, die nicht wesentlich teurer als im Supermarkt ist. Dem 30-jährigen Kioskbetreiber gefällt das Miteinander und er fördert es, indem er bewegungseingeschränkten Kunden schon mal den Einkauf heimfährt.

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Hans-Gerd Ervens engagiert sich fürs Linder Bruch.

Bei den kleinen örtlichen Festen sind durchweg alle Geschäfte und Firmen als Sponsoren dabei, von der Bäckerei bis zum Reifenhandel, vom Autohaus bis zur Tüv-Abnahme. Das funktioniere gut, sagt Humberg lobend. Aber der Bürgervereinsvorsitzende würde außer Festen gern noch mehr bewegen. Wenn er sich vorstellt, wie Flüchtlinge in der neuen Unterkunft gegenüber dem Möbelhaus Porta zur Untätigkeit verdammt in ihrer Behausung sitzen, würde er sie gern durch Nachbarschaftshilfe integrieren. „Vielleicht hätten einige Freude daran, uns bei der Pflege der Scheuerteiche zu helfen und dabei unkompliziert ihre neuen Nachbarn kennenzulernen“, schildert er seinen Wunschtraum, dem aber bürokratische Hürden im Wege stehen.

Träume hegt auch der frühere Bezirksbürgermeister Hans-Gerd Ervens nach mehr als 40 Jahren im Veedel noch immer. So wie er mit Zähigkeit immer wieder die Einrichtung eines Zebrastreifens auf der Viehtrift gefordert hat, der jetzt den Weg über die Straße sicherer macht, fordert er unbeirrt eine bessere Anbindung an die Heide.

Massiv eingezäunte Hindernisse

Lind liegt direkt an dieser weitläufigen grünen Oase, hat aber keinen eigenen Heidezugang. Zwischen Heide und Ort bilden der Europäische Transsonische Windkanal, das DLR und die Luftwaffenkaserne massiv eingezäunte Hindernisse. Ein weiterer Herzenswunsch von Ervens ist es, das Linder Bruch – eine frühere Sumpflandschaft – stärker für Erholungszwecke zu erschließen. Üppige Anpflanzungen hat er mit dem Bürgerverein schon realisiert. Und er bringt das Bruch-Gebiet mit einer selbst kreierten Spezialität, einem fruchtigen Aufgesetzten namens „Linder Bruchwasser“, immer wieder ins Gespräch.

Die Geschichte des Veedels Lind

Die älteste historische Erwähnung von Lind stammt aus dem Jahr 1165. Damals bestätigte Erzbischof Philipp von Heinsberg die Schlichtung eines langanhaltenden Streites zwischen der Abtei St. Pantaleon und dem Stift St. Maria im Kapitol. Die Parteien hätten sich geeinigt, dass das Stift zugunsten des Abtes Heinrich von St. Pantaleon auf alle Ansprüche verzichtet habe, die den Wald jenseits des Rheins bei der „Villa Linde“ beträfen. Besiedelt war der Ort schon vor Christi Geburt, wie archäologische Funde beweisen. Seit dem Mittelalter zählt Lind zum Amt Porz. Der Wasserturm ist ein Relikt der Munitionsfabrik auf der Linder Höhe, in der es vor 100 Jahren eine tödliche Explosion gab. Aus dem Jahr 1925 stammt eine Notiz, der zufolge Lind nach Wahn „eingepfarrt und eingeschult“ werde. Mit der Porzer Stadtwerdung wurde Lind zum Stadtteil und gehört seit 1975 zu Köln. (bl)

Die Baustellen des Veedels Lind

Weil Lind weder eine Kirche noch eine Schule hat, fehlt auch das durchweg mit diesen Einrichtungen eng verknüpfte Vereins- und Gesellschaftsleben. Es gibt kein Gemeinschaftshaus, das als Treffpunkt dienen könnte. Und nachdem das Gasthaus Helfer geschlossen und abgebrochen wurde, fiel auch dieser Ort des Zusammenseins weg. Lebensmittelladen und Metzger haben geschlossen, die Versorgung im Ort wird durch die Bäckerei Heisters und den Kiosk gegenüber – zwei echte Treffpunkte – aufrechterhalten. Bemühungen um die Einrichtung eines neuen Lebensmittelmarktes sind gescheitert.Mit dem Bau der Flughafenautobahn A59 wurde die Verbindung zwischen Lind und Wahn getrennt. Der Schulweg für Kinder wird von Eltern als riskant eingeschätzt, die Busanbindung zum S-Bahnhof Wahn oder nach Porz-Mitte gilt als verbesserungswürdig, gerade in den Abendstunden.Die Umgestaltung des Dorfplatzes hat noch nicht alle Wünsche erfüllt. Für Feste ist der Platz eher zu klein, es gibt weder Strom noch Wasser.

Der Mangel an Infrastruktur erschwert auch die Flüchtlingsintegration. Bewohner der für den kleinen Ort überproportional großen neuen Flüchtlingseinrichtung an der Frankfurter Straße leben dort isoliert und müssen weit laufen, um zu Geschäften in Wahn zu gelangen. (bl)