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Deutschlandweiter VorreiterWie der Kölner Verein Lebenswert Krebspatienten unterstützt

Lesezeit 5 Minuten

Richard Berners (l.) und Bernd Evers (r.) in den Räumen des Vereins Lebenswert

Der Verein Lebenswert bietet Kunst-, Bewegungs- und Psychotherapie für Krebspatienten. Das erhöht die Behandlungserfolge der Krebstherapie.

Das Bild, was Bernd Evers gemalt hat, zeigt zwei Koordinatenachsen. Die waagerechte Zeitachse beginnt im Jahr 2020. Die senkrechte Achse ist mit „PSA“ beschriftet. Das sogenannte „Prostataspezifische Antigen“ wird bei Tests zur Früherkennung von Krebs herangezogen. Bis zu vier Nanogramm pro Milliliter Blut sind normal. Bei Bernd Evers waren es im Juni 2020 mehr als 400. Die Koordinaten halten den Moment fest, in dem er die Diagnose Prostatakrebs bekommt.

Bernd Evers, 72 Jahre alt, hat das Bild im Rahmen einer Kunst- und Gestaltungstherapie im Haus Lebenswert gemalt. Es zeigt mehr als bloß Achsen und Zahlen: Da wäre noch die schattenhafte, dunkle Figur, die über die Zeitachse läuft – und der in bunte Farben gekleidete Mann, der aus dem Schatten heraus ins Helle tritt, als die PSA-Skala im Jahr 2022 in den Normalbereich fällt. „Der dunkle Schatten ist der Schrecken des Krebs“, beschreibt Evers. „Und die Figur zeigt, wie ich aus dem Schatten heraustrete, beweglicher als vorher, ohne Schmerzen und ohne Angst.“

Verein Lebenswert bietet psychoonkologische Behandlung

Zwei Jahre, festgehalten in einem Graphen – das Bild zeigt eindrücklich, was der Kern der Arbeit des Vereins Lebenswert ist. Auf dem Gelände der Kölner Uniklinik bietet er psychologische Unterstützung für Krebspatientinnen und -patienten. In der Fachsprache nennt man das Psychoonkologie. In der Praxis bedeutet es, dass dort Psychotherapien stattfinden, aber auch Kunst- und Gestaltungs-, Musik- und Bewegungstherapie. Die Patienten können im Haus Lebenswert malen, im Chor singen oder sich zum Nordic Walking verabreden. Es gibt Angebote für die Kinder krebskranker Eltern und finanzielle Unterstützung in sozialen Notsituationen. Die Räume im Dachgeschoss des Centrums für integrierte Onkologie (CIO) sind hell, der Boden aus Holz, ein bewusster Kontrast zur Krankenhauskulisse. Bei allen Angeboten geht es darum, das Leben mit dem Krebs zu lernen. Und es soll ein gutes Leben sein.

Das Bild entstand im Rahmen der Kunst- und Gestaltungstherapie

Vor seiner eigenen Krebsdiagnose wusste Bernd Evers praktisch nichts über die Krankheit. Als sein Urologe ihm 2020 sagt, die nächsten zwei Jahre würden hart, glaubt er zunächst, es könnten die letzten sein. „Bis dahin war ich immer sportlich, dynamisch, lebensfroh. Aber nach der Diagnose war ich am Boden zerstört.“ Ein großer Teil seines Lebens wird plötzlich von Arztbesuchen bestimmt: Gespräche, MRTs, CTs, Termine zum Röntgen, der Gang zur Apotheke, die Behandlung mit Spritzen und Tabletten. Und eine Überweisung zur psychoonkologischen Mitbehandlung. So kommt Evers schließlich mit dem Verein Lebenswert in Kontakt. Er nutzt eine Vielzahl der dortigen Angebote: Dienstags Nordic Walking und Feldenkrais, mittwochs psychoonkologische Therapie, donnerstags Kunsttherapie. „Das hat mich wieder in die Spur gebracht. Ich habe gelernt, mit der Krankheit umzugehen“, sagt Evers. „Letztlich ist das Leben dadurch für mich auch ein Stück intensiver geworden.“

Kölner Verein ist bundesweit einzigartig

„Die Psychoonkologie ist wie eine Krisenintervention nach einem schweren Unfall“, sagt Michael Hallek, Leiter der Klinik für Innere Medizin an der Kölner Uniklinik. Gemeinsam mit Werner Görg, Aufsichtsratsvorsitzendem des Versicherungskonzerns Gothaer, ist er Vorsitzender des Vereins. „Die Diagnose kann das Leben der Betroffenen von einem auf den anderen Tag vollständig verändern. Es geht um die Bewältigung eines akuten Traumas.“

Werner Görg (l.) und Michael Hallek (r.) sind die Vorsitzenden des Vereins Lebenswert

Als der Verein 1997 gegründet wird, ist die psychologische Betreuung von Krebspatienten in der Medizin noch nicht anerkannt, das Projekt eine Rarität. Heute ist die Wissenschaft weiter: Studien zeigen, dass die Betroffenen die Krebstherapie mit psychologischer Unterstützung besser bewältigen können. Noch eindrücklicher sind die Daten zur Wirkung einer onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie, wie sie im Erdgeschoss des CIO an der Uniklinik angeboten wird: Diese erhöht die Überlebenschancen bei einer Krebserkrankung spürbar. „Wäre die Trainingstherapie ein Medikament, wäre sie ein Blockbuster“, sagt Michael Hallek.

Auf Spenden angewiesen

Ähnliche Studien für die Angebote des Haus Lebenswert durchzuführen, ist aus methodischen Gründen schwierig. „Aber alles was wir an Daten haben, deutet darauf hin, dass die Behandlung nicht nur die deutlich bessere Bewältigung der Situation zur Folge hat, sondern auch harte Vorteile für das Überleben.“

Denn noch immer werden viele der Leistungen, die hier angeboten werden, nicht von den Krankenkassen bezahlt. „Deshalb sind wir als Verein unbedingt auf Spenden angewiesen“, sagt Werner Görg, der seit 2021 als Vorsitzender im Amt ist. Es sei zunehmend schwieriger geworden, diese Spenden zu akquirieren, erzählt er: Nicht etwa, weil die Menschen nicht zu Spenden bereit seien – sondern weil akute Ereignisse wie der Krieg in der Ukraine und die Flutkatastrophe das Augenmerk von Vereinen abgezogen haben. „Wir müssen es schaffen, auf uns aufmerksam zu machen.“ Das Angebot des Vereins ist in seinem Umfang deutschlandweit einzigartig, Patienten kommen von weit her. Bei optimaler Ausstattung hat er einen Finanzierungsbedarf von 500.000 Euro im Jahr.

Am Ende steht die kunsttherapeutische Finissage

„Der Umgang mit Krebs ist in der Gesellschaft oft nicht adäquat“, sagt Richard Berners. Der Künstler und Kunsttherapeut betreut im Haus Lebenswert auch Bernd Evers. „Wir müssen offen und selbstverständlich mit der Erkrankung umgehen, Ängste der Betroffenen abbauen. Dabei leisten wir hier eine Hilfestellung.“ In der Kunsttherapie wird nicht nur gemalt – in den Gruppenstunden tauschen sich die Patientinnen und Patienten auch aus, sie teilen ihre Erfahrungen, Freud und vor allem: Leid. Die Bilder, die hier entstehen, sollen nicht schön sein, sondern expressiv. Am Ende jeder Stunde wird das Gemalte gemeinsam besprochen. Wenn ein Gruppenmitglied die Therapie beendet, gibt es eine Abschlussreflexion – eine kunsttherapeutische Finissage, sozusagen.

Evers steht nun selbst kurz vor dieser Finissage. „Ich fühle mich gesund“, sagt er. „Ich spreche gerne vom ‚Wunder von Bernd‘“. Er habe einen neuen Zugang zum Leben gefunden: mehr Ruhe, auf dem Smartphone liest er nur noch das Wetter, keine schlechten Nachrichten mehr. Aber er sagt auch: Der Krebs macht keine Pause. Seine PSA-Werte haben sich wieder verändert. Es steht eine neue Therapieform an. „Aber dem bin ich gewachsen.“

Informationen zum Verein und Unterstützungsmöglichkeiten gibt es hier.