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„Untragbare Situation“Eltern kritisieren Verkehrschaos vor Kölner Schulen – Stadt reagiert

Lesezeit 6 Minuten
Autos und Fahrräder auf einer engen Straße vor dem Schulcampus in Vogelsang.

Wenn Schülerinnen und Schüler den neuen Schulcampus in Vogelsang ansteuern, wird es jeden Morgen eng und gefährlich.

150.000 Kölner Schülerinnen und Schüler machen sich morgens auf den Schulweg und erleben brenzlige Situationen im Straßenverkehr. In Köln gibt es vor allem zwei neuralgische Punkte.

Der Start ins neue Schuljahr war für viele Kölner Eltern mit Bauchschmerzen verbunden. Sie sorgen sich um die Schulwegsicherheit ihrer Kinder. Wenn sich jeden Morgen gut 150.000 Kölner Schülerinnen und Schüler zeitgleich zum Berufsverkehr in Bewegung setzen, um eine der 270 Schulen zu erreichen, dann wird es voll.

Und oft auch gefährlich: Regelmäßig kommt es auf dem Schulweg zu brenzligen Situationen. Allein in diesem Jahr gab es nach Angaben der Kölner Polizei bereits sechs Schulwegunfälle. Die Kinder waren zwischen zehn und 15 Jahren alt – allesamt auf dem Fahrrad zur Schule unterwegs.

Dabei gibt es in Köln vor allem zwei neuralgische Punkte. Der eine liegt vor allem an Orten, an denen Schulen neu errichtet werden und die Verkehrsinfrastruktur noch nicht darauf ausgerichtet ist. Ein Problem, das an immer mehr Stellen auftaucht, da die Stadt gerade angesichts des Schulplatzmangels unter Hochdruck Schulen teilweise auch im Interim an den Start bringt oder - wie etwa das Gymnasium Müngersdorf - Bürogebäude zu Schulen umbaut. Besonders brenzlig wird es da, wo gleich mehrere Schulen auf einem Areal entstanden sind oder entstehen.

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Kölner Schul-Campus mit bald fünf Schulen ohne Verkehrsinfrastruktur

Paradebeispiel ist der Gewerbepark Vogelsang, wo nach und nach ein großer Schulcampus entsteht. Morgens vor Schulbeginn sieht man entlang des Girlitzwegs Schülerscharen mit Fahrrad, Roller oder zu Fuß die Gesamtschule Wasseramselweg, das Interim der Heliosschule oder die Private Aktive Schule ansteuern.

Ich würde meine Kinder da nicht mit dem Fahrrad fahren lassen.
Nathalie Binz, Stadtschulpflegschaftsvorsitzende

Auf der schmalen Straße rollt derweil der Berufsverkehr in zwei Fahrtrichtungen durch das Gewerbegebiet, mittendrin auf der Straße radeln die Fahrradfahrer, weil es keinen Radweg gibt. Auf der rechten Fahrbahnseite parken teilweise sogar noch Autos. Die Bürgersteige sind schmal. Von rechts rollen regelmäßig Baufahrzeuge aus dem Wasseramselweg, während in Abständen der voll besetzte Schulbus auf der rechten Fahrbahnseite hält.

Kölner Politiker: Wer Schulen neu baut, braucht zwingend eine neue Verkehrsplanung

Wer das morgendliche Verkehrsgewusel beobachtet, den beschleicht ein mulmiges Gefühl: „Ich wollte meine Tochter eigentlich nur eine Woche mit dem Fahrrad zur Schule begleiten“, erzählt Mutter Marie-Pierre Brandes. Aber die Situation hier sei für Fünftklässler einfach zu gefährlich. „Erst letzte Woche ist ein Mädchen aus dem 5. Schuljahr mit dem Fahrrad gestürzt. Direkt vor dem Schulbus.“ Deshalb radelt sie auch in der dritten Schulwoche noch mit, um die komplizierte Situation einzuüben.

Kinder gehen eine Straße entlang, auf der Autos und ein Bus fahren.

Neben viel Berufsverkehr müssen die Schüler auch noch auf Busse und Baustellenfahrzeuge achten, die aus dem Wasseramselweg abbiegen.

Im nächsten Jahr wird es auf dem Girlitzweg noch enger: Dann werden noch zwei weitere Gesamtschulen auf dem Areal an den Start gehen. „Aber schon jetzt, auch ohne die beiden neuen Schulen, ist die Situation dort untragbar. Ich würde meine Kinder da nicht mit dem Fahrrad fahren lassen“, sagt die Schulpflegschaftsvorsitzende Nathalie Binz im Schulausschuss. Ihre Forderung: Spätestens wenn in einem Jahr auch die neuen Schulen dort starten, muss eine zusätzliche Zubringer-Straße über den Teichrohrsängerweg erschlossen worden sein.

Ähnlich ist die Lage auf dem Sürther Feld in Rodenkirchen. Neben der Rodenkirchener Gesamtschule, die täglich von 1600 Schülerinnen und Schülern angesteuert wird, sind auf dem benachbarten Schulcampus mit der Offenen Schule Köln und der Emanuel-Grundschule im vergangenen Jahr zwei neue Schulen an den Start gegangen.

Allein 3000 Menschen – Schüler und Personal – müssen jeden Tag auf das Areal gelangen. Auf der Straße staut sich der Verkehr die Sürther Straße hoch, auf den Fahrradwegen fahren Räder in beide Richtungen. Elterntaxis machen das Chaos perfekt. Wer Schulen neu baut, braucht auch zwingend eine neue Verkehrsplanung – das fordern die dortigen Bezirkspolitiker seit mehr als einem Jahr.

Elterntaxis als Problem vor fast allen Kölner Grundschulen

Neben neuen Schulen sind die Kölner Grundschulen der zweite neuralgische Punkt. An fast allen Grundschulstandorten bricht morgens auf der Straße zum Schultor das Verkehrschaos aus durch Elterntaxis. Kinder, die die Gefahr noch nicht abschätzen können, bahnen sich einen Weg zwischen parkenden, an- und abfahrenden Autos. Die Stimmung ist gestresst bis aggressiv.

Dabei stimmten in einer aktuellen repräsentativen Befragung des ADAC zum neuen Schuljahr 59 Prozent aller Befragten der Aussage zu, dass das Elterntaxi eine Gefahr für die Sicherheit von Schulkindern ist. Auch 41 Prozent der Eltern, die ihren Nachwuchs regelmäßig zur Schule fahren, sehen das so. Und machen es trotzdem. Kein Wunder, dass da auch flehentliche Appelle von Schulleitungen nicht fruchten.

So reagiert die Stadt Köln auf das Sicherheitsproblem Elterntaxis

Daher versucht Köln jetzt das Sicherheitsproblem durch sogenannte „Schulstraßen“ zu lösen. Das Konzept der temporären Straßensperren stammt von dem Kölner Aktionsbündnis „Kidical Mass“, das diese Schulstraße temporär immer wieder vor Grundschulen als angemeldete Demonstration umgesetzt hat. Nun hat die Stadt das Konzept „Schulstraße“ übernommen und testet es im Rahmen eines Pilotversuchs für ein Jahr an zwei benachbarten Grundschulen in Ehrenfeld sowie in Ossendorf.

Schulkinder überqueren mit Roller und zu Fuß eine Straße

In der Lindenbornstraße in Ehrenfeld kommen Kinder jetzt sicher zum Unterricht. Die Straße ist im Rahmen eines Pilotversuchs morgens zu Schulbeginn gesperrt.

Dabei wird seit dem Frühjahr vor diesen Schulen die Straße jeweils vor Schulbeginn von 7.45 bis 8.15 Uhr sowie zum Schulschluss von 14.45 bis 15.15 Uhr für den Autoverkehr gesperrt. Ausgenommen sind Taxen, Rollstuhltransporte, Schulbusse sowie Fahrzeuge von Lehrkräften und Anwohnenden. „Wir wollen die Sicherheit vor der Schule verbessern und außerdem nachhaltige und umweltfreundliche Mobilität fördern“, begründete der Kölner Verkehrsdezernent Ascan Egerer. Zu Beginn des neuen Schuljahres sind vor der Rosenmaarschule in Höhenhaus und der Gemeinschaftsgrundschule in Brück zwei weitere Schulstraßen hinzugekommen.

Viele andere Grundschulen würden sich das auch wünschen und Bezirksvertretungen haben sich bereits per Beschluss dafür ausgesprochen, die „Schulstraßen“ auszuweiten. Bis es so weit ist, versucht die KVB, gemeinsam mit der Polizei und der Verkehrswacht mit punktuellen Aktionen in einer Art Sisyphosarbeit zu mehr Rücksicht auf Schülerinnen und Schülern aufzurufen. Etwa mit Tempo-Messtafeln oder mit Denk- und Dankzetteln, die die Kinder verteilen.

Dabei braucht es oft das Engagement der Eltern, die beharrlich auf neuralgischen Punkte hinweisen, damit die Politik Situationen konkret entschärft. Manchmal – wie zuletzt in Bickendorf – ausgelöst durch einen tragischen Unfall. Dort queren jeden Tag hunderte Schülerinnen und Schüler mit dem Rad oder zu Fuß die extrem befahrene Äußere Kanalstraße, um an die Montessori-Grundschule, das Montessori-Gymnasium oder in Gegenrichtung zur Eichendorff-Realschule zu gelangen. Der tödliche Fahrradunfall eines Rentners genau an dieser Querungsstelle mobilisierte dann die Elternschaft.

Öffentlichkeitswirksam wurde die Politik mit einer Petition aufgefordert, Abhilfe zu schaffen. In einem offenen Brief forderten die Petenten Verkehrsdezernent Egerer auf, „die Zeitbombe zu entschärfen“ – verbunden mit einer Einladung zur Ortsbesichtigung. Mit Erfolg: Weniger als ein halbes Jahr später gibt es dort nun einen Zebrastreifen. Außerdem gilt jetzt auf der Passage der Äußeren Kanalstraße, wo die Schüler die Straße queren, Tempo 30.


Jetzt mitmachen – „Achtung, Schulweg!“

Achtung, Schulweg!

Wir möchten eine möglichst umfassende Dokumentation der Gefahrenstellen auf Schulwegen in Köln und der Region erstellen und rufen daher mit dem Automobil-Club Verkehr dazu auf, Gefahrenstellen zu melden und zu dokumentieren.

So wollen wir konstruktiv dazu beitragen, Gefährdungen von Schülerinnen und Schülern zu erkennen und zu reduzieren. Das geschieht über den CrowdNewsroom, eine Online-Plattform des investigativen Recherchenetzwerks Correctiv. Hier geht es zum Formular.

Grundschulen können sich bei den regionalen Radiosendern wie Radio Köln an einer Verlosung beteiligen, um Sicherheitswesten zu gewinnen. Mehr Informationen dazu gibt es auf radiokoeln.de. Ein vergleichbares Projekt hatte erstmals die Schweizer Zeitschrift „Beobachter“ gemeinsam mit Correctiv organisiert. Alle Infos zur Aktion unter: www.ksta.de/schulweg