Die Zahl der Hitzefrei-Tage steigt. Während es für die Arbeitswelt Vorgaben gibt, müssen Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler schwitzen.
„Wie in der Sahara“Viele Kölner Schulen sind nicht auf den Klimawandel eingestellt
Pünktlich zum Schulbeginn ist in der letzten Ferienwoche die Hitze zurück. Und damit die Sorge vor stickigen, heißen Klassenräumen: Statt konzentriertem Lernen heißen die Alternativen dann wie so oft in den vergangenen Sommern Schwitzen oder Hitzefrei. Im Leben der Erwachsenen gibt es eine „Arbeitsstättenregel ASR A3.5 Raumtemperatur“. Die legt eine Höchsttemperatur von 26 Grad fest. Wird die überschritten, muss der Arbeitgeber laut Gerichtsurteilen für eine Absenkung der Raumtemperatur sorgen – durch Sonnenschutzsysteme, Sonnenschutzverglasung oder eine Klimaanlage.
In vielen Kölner Schulen können Schülerinnen und Lehrkräfte von 26 Grad allerdings nur träumen. Denn für Schulen gelten solche Regeln selbst angesichts der Klimawandels nicht. Längst nicht alle Gebäude haben in allen Klassen funktionierende Rollos oder gar ein auf Hitze ausgelegtes Raumklima. Viele sind schlecht gedämmt oder sanierungsbedürftig. Das Thermometer schnellt dort schnell auf 30 Grad hoch oder darüber.
Im Genoveva-Gymnasium fühlt es sich an wie in der Sahara
Im Mülheimer Genoveva-Gymnasium arbeitet Schulleiterin Susanne Gehlen in diesen Tagen schon mal prophylaktisch an Plänen für Hitzefrei. Die Schule hat schließlich schon als „heißeste Schule Kölns“ Schlagzeilen gemacht. An den Hitzetagen Anfang dieser Woche konnte Gehlen beim Besteigen der Treppe vom Erdgeschoss in die zweite Etage wieder Klimazonen durchlaufen: „Von Südspanien bis unterm Dach Sahara war alles dabei“, sagt sie mit einer Mischung aus Galgenhumor und Verärgerung darüber, dass die elektronisch gesteuerte Lüftungsanlage mit den vielen nach innen ins gläserne Atrium gelegenen Klassen seit Jahren nicht richtig funktioniert.
Schon in dieser Woche hat die Aufheizung in manchen Klassen 40 Grad erreicht. Regelmäßige Reihenmessungen haben in besonderen Hitzeperioden in den vergangenen Sommern schon Spitzenwerte von 50 Grad ergeben. Trotz des von der Stadt neu beauftragten externen Ingenieurbüros, das sich gerade ein Bild macht, wird das wohl diesen Sommer wieder nichts mit der Abhilfe. Auch die elektrischen Rollos sind teilweise mal wieder kaputt. „Am liebsten hätte ich Holzläden, die ich von Hand schließen kann“, klagt Gehlen.
Auch am Gymnasium Kreuzgasse kennt man das Problem mit der Sonne, die die sanierungsbedürftigen Räume aufheizt und jeden Sommer zum Balanceakt macht. Nachdem in den vorigen heißen Sommern teilweise tagelang am Stück hitzefrei gegeben werden musste, weil es keine Rollos gab und die Temperaturen unerträglich waren, werden Rollos jetzt nach und nach angebracht. Zum Ende der Ferien sind wieder Handwerker der Stadt in der Schule unterwegs. Aber: Davon, dass alle Fenster verschattet werden könnten, ist man noch ein gutes Stück entfernt, wie man aus der Schule hört.
Aber das seien nur zwei Beispiele, konstatiert die Vorsitzende der Stadtschulpflegschaft, Nathalie Binz. Viele Kölner Kinder, die nicht das Glück hätten, in einer neu gebauten Schule zu lernen, hätten große Probleme mit Hitze in ihren Klassen. Wenn immer wieder hitzefrei gegeben werden muss, bedeute das nicht nur Bildungsbenachteiligung, sondern auch Probleme für berufstätige Eltern.
Die Regelung des nordrhein-westfälischen Schulministeriums gibt vor, dass die Schulleitungen ab einer Raumtemperatur von 27 Grad entscheiden können, ob sie hitzefrei geben. Eine Strategie der Landesregierung oder Konzepte wie angesichts des Klimawandels die Schulen in Nordrhein-Westfalen aufgestellt werden sollen? Fehlanzeige. Und die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im letzten Jahr veröffentlichte Hitzeschutzstrategie verliert kein Wort über die Schulen, da Bildung Ländersache ist.
Die Tatsache, dass an vielen Schulen im Sommer immer öfter kein Unterricht möglich ist, werde einfach ignoriert, beklagte Oliver Hintzen, stellvertretender Landesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in Baden-Württemberg im „Spiegel“. „Hitze in Schulen wird in der Gesellschaft nicht als Problem wahrgenommen. Nicht mal Schul-Neubauten sind klimatisiert.“ Obwohl klar sei, dass die Zahl der heißen Tage angesichts des Klimawandels weiter zunehmen werde.
Die Stadtschulpflegschaft fordert deshalb, dass die Kölner Schulen dringend an den Klimawandel angepasst werden müssten. Schon im Frühjahr hat die Stadtschulpflegschaft eine Anfrage an die Verwaltung gestellt, um zu erfahren, wie der Stadt der Dinge in Sachen Hitzeschutz an den Schulen ist und wie viele Schulen nicht über Verschattungsmöglichkeiten verfügen. „Auf eine Antwort warten wir immer noch.“ Dabei ist es so, dass die Stadt in den Standards für Neubauten für Schulen festgeschrieben hat, dass alle sonnenbeschienenen Fenster mit Sonnen- und Blendschutz ausgestattet werden. Auch bei Generalinstandsetzungen und energetischen Sanierungen werde diese Maßgabe umgesetzt.
Nur: Was ist mit den vielen in die Jahre gekommenen Schulen, die auf Sanierung warten? Diese seien alle mindestens mit einfachen Sonnenschutzvorhängen ausgestattet, erklärte eine Stadtsprecherin auf Anfrage. Für die mit dem Klimawandel einhergehende intensivere Sonneneinstrahlung reiche das allerdings an einigen Schulen nicht mehr aus. Ziel der Verwaltung sei es daher, sukzessive für die einzelnen Standorte passgenaue kurz- und langfristige Lösungen zu finden, heißt es weiter. Eine flächendeckende Bewertung der baulichen Gegebenheiten könne allerdings mangels Kapazitäten ebenso wenig erfolgen wie eine kurzfristige Ausstattung aller Schulen mit außenliegendem Sonnenschutz. Nach Angaben der Stadt sind derzeit rund 70 Prozent aller Schulstandorte „komplett oder teilweise" mit einem solchen Sonnenschutz ausgestattet.
Für Binz ist das nicht ausreichend. Der Sommer komme ebenso wenig kurzfristig wie der Klimawandel. „Das Problem liegt schon lange auf dem Tisch. Am Ende ist das eine Frage der Prioritäten. Für die Sanierung des Brunnens am Neumarkt gilt augenscheinlich eine höhere Priorität.“ Es ist das alte Lied: Kinder und Jugendliche fehlt die Lobby. „Da heißt es dann, früher bei uns war es auch mal warm“, sagt Hintzen. Kommunen, die mit der klimafesten Ausstattung der Schulgebäude auch finanziell überfordert seien, bräuchten Unterstützung. Zumal das mit dem hitzefrei auch nicht mehr so einfach sei wie früher, weil in der Regel beide Elternteile berufstätig seien. „Wenn ich da als Schulleitung „Hitzefrei“ anordne, habe ich nachher 80 Prozent der Schüler in der Notbetreuung sitzen. Und die Eltern machen Rabatz, weil der Unterricht ausfällt.“
Kritik an der Ferien-Sonderregelung für Bayern und Baden-Württemberg
Wobei neben der Ausstattung der Schulgebäude auch die Frage im Raum steht, ob angesichts des Klimawandels die Sommerferien verlegt werden sollten. Dabei entzündet sich die Kritik alle Jahre wieder an der Sonderregelung für Bayern und Baden-Württemberg, die im Ferienkalender der Bundesländer immer die spätesten Wochen für die Sommerferien für sich reservieren. So starten diese beiden Bundesländer regelmäßig erst Anfang August in die Sommerferien – während die Schülerinnen und Schüler der anderen Bundesländer mit dem Ferienbeginn rotieren und schon Ende Juni starten. Mancherorts schwitzen die Schüler nach den Ferien im August im Klassenraum, während die Bayern erst Mitte September zurückkehren, wenn die Hitze sich erledigt hat.
Diese „ewige Sonderstellung“ müsse ein Ende haben, fordert die nordrhein-westfälische FPD diesen Sommer in einem Antrag. Zumal die Bayern und Baden-Württemberger sich durch den späten Beginn auch noch eine Woche Pfingstferien gönnen. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) solle sich dafür einsetzen, dass auch die beiden südlichen Ländern am rollierenden Verfahren teilnehmen – und ansonsten eine eigenständige Ferienregelung treffen. Die Ausnahmeregelung für Bayern und Baden-Württemberg entstammt noch einer anderen Zeit: Die Wurzeln liegen darin, dass die Kinder ihren Eltern bei der Heuernte und beim Almabtrieb helfen sollten – deshalb die traditionell späten Sommerferien. Eine Sonderstellung, die Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nun nicht mehr aufgeben möchte.
Zukunftsforscher schlägt längere Sommerferien vor
Aber auch viel grundsätzlichere Überlegungen sind aufgrund des Klimawandels im Gange: Es sei durchaus sinnvoll, den sommerlichen Ferienkorridor – ähnlich wie in Frankreich oder den USA – auf acht Wochen zu verlängern, schlägt etwa der Zukunfts- und Tourismusforscher Ulrich Reinhardt im Deutschlandfunk vor und stößt damit in der Politik mancherorts auf Resonanz. Im Gegenzug könnten beispielsweise die Herbstferien verkürzt werden.