Sülz – Der kleine Laden an der Zülpicher Straße 218 ist der perfekte Ort für eine Erfolgsgeschichte, und Joke Peters aus Antwerpen die ideale Besetzung. Vor kurzem ist die junge Medienwissenschaftlerin der Liebe wegen nach Köln gezogen und wollte von hier aus eigentlich weiter für ihre Firma in Belgien arbeiten – da entdeckte sie das leerstehende Geschäft und begann, ihren langgehegten Traum zu verwirklichen: Sie verkauft Modekreationen ihres Labels Olà Lindeza, unter einem Dach mit schönen und nachhaltig produzierten Dingen anderer Marken aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland als „Het Kollektief“.
So lautet die deutsch-niederländische Wortschöpfung, die nun über dem Geschäft steht. Darin gibt es viel zu entdecken: Dicke Strickpullover und -mützen aus Alpaka des Kölner Labels Molina Del Rey, Kerzen von The Very Good Candle Company aus Amsterdam, deren Herstellerin sich zu jedem Duft von einem anderen Musikfestival hat inspirieren lassen, handgenähte Wolken, in deren Inneren Spieluhren eine ganz spezielle Melodie erklingen lassen. Der Mann der Designerin hat sie selbst komponiert. Der Laden ist ein Sammelsurium an ausgefallenen Ideen, ein Kaleidoskop alternativen Produktdesigns. Er ist hip - und damit auf dem Sülzer Teil der Zülpicher Straße goldrichtig. Denn in den vergangenen Jahren hat sich die graue Maus unter den Hauptverkehrsachsen fast zu einer Flaniermeile gemausert.
Mittlerweile lohnt es sich auf der „Zülp“ zwischen Weyertal und Sülzburgstraße auf Entdeckungstour zu gehen – ganz anders als vor zehn Jahren noch. Die Straße, an der ehemals Geschäfte des täglichen Bedarfs angesiedelt waren, erlebte einen tiefen Einschnitt, als die KVB Ende der 90er-Jahre auf der Straße eine riesige Baustelle eröffnete, die Bahnsteige höher legte und die Verkehrsachse beengt zurückließen. Die Geschäftsleute beklagten starke Gewinneinbußen. Viele gaben in den folgenden Jahren auf. Ein Obst- und Gemüsehändler, ein Weinladen, der Metzger, vor einigen Jahren schloss das letzte Haushaltswarengeschäft. Jahrelang prägte Leerstand das Ambiente der Straße – und die Melancholie, nach dem Weggang alteingesessenen Händler über ihr hängen blieb. Einige Mutige eröffneten trotzdem dort ihre Geschäfte: Modedesignerin Caro Wilbert leistete gewissermaßen Pionierarbeit: Vor 15 Jahren zog sie mit ihrer Boutique Cava Cava an die Hausnummer 268A. Dort verkauft sie ihre Modekreationen im Fiftys-Style und passendes Schuhwerk. Ihre Devise: „Wenn man ein besonderes Angebot hat, ist es gut, wenn man sich damit etwas abseits des Mainstreams befindet“, begründet sie ihren Standort.
Wilbert freut sich sehr über die anderen Läden, die sich in den vergangenen Jahren hinzu gesellt haben, wie beispielsweise Modedesignerin Luisa Könemann, die vor fünf Jahren ihr Atelier an der Zülpicher Straße, Ecke Robert-Koch-Straße eröffnete. „Ich habe mir zunächst Sorgen wegen des großen Leerstandes an der Straße gemacht“, erinnert sie sich heute. „Aber ich bin ja nicht so sehr auf Laufkundschaft angewiesen.“ Die handgefertigten Hochzeitskleider und Kinderkleidung in ihrem Schaufenster waren ein Gegenpol zu den Spielhallen, Copyshops und Wettbüros, die sich damals noch an der Straße breitmachten. Weitere passende Gesellschaft kam in Gestalt von Agnete Sabbagh, die in ihrem kleinen Laden mit der Hausnummer 225 Illustrationen sowie edle Kalligraphien fertigt und Workshops abhält. Ebenfalls vor fünf Jahren kam Goldschmiedin Tina Theves. Der U-Bahn-Bau vertrieb sie und ihre ausgefallenen Schmuckkreationen aus Edelsteinen von der Severinstraße. An der Zülpicher Straße 315 fand sie ein neues Zuhause.
In den vergangenen Jahren kehrte immer mehr Leben ein, beispielsweise in das Geisterhaus an der Ecke Joseph-Stelzmann-Straße. Elf Jahre stand es leer und wurde zuletzt von empörten Bürgern besetzt. Vor einem Jahr konnte das Amt für Wohnungswesen es mieten, sanieren und die Wohnungen Flüchtlingen sowie Obdachlosen zur Verfügung stellen. Die frisch gestrichene Fassade hat der ehemaligen Schmuddelecke ein neues Ambiente verpasst.
In das leerstehende Lokal nebst großer Terrasse an der Ecke Leichtensternstraße zog der Südstadt-Gastronom Daniel Rabe mit seinem schmucken Bistro-Restaurant „Bagatelle im Alten Steinbüchel“ und bescherte dem Viertel einen neuen Treffpunkt. Eine weitere Sonnenterrasse ist vor einigen Jahren an der Kirche Karl Borromäus entstanden. Dort versorgt das Café Lieblings seine Gäste mit Kuchen und kleinen Speisen. Die Zirkus-Direktorin Anja Kribs eröffnete an der Hausnummer 296 die schmucke Mischung aus Feinkostladen und Bistro „Le Bouffon“. Und die Lebenshilfe steuerte ein schönes Lokal mit hohen Decken und ungewöhnlichem Konzept bei: In dem Café Wo ist Tom? servieren Menschen mit und ohne Behinderungen Kuchen und kleine Gerichte. Klein, urgemütlich und noch relativ neu ist hingegen ein Café namens Goldjunge direkt gegenüber, wo die Gäste gerne den Kaffee vom Kölner Röster Van Dyck, einfallsreiche Frühstücks- und diverse Stullenvarianten verspeisen. Und schließlich ist etwas anderes auf den Sülzer Teil der Zülpicher Straße zurückgekehrt: Der Optimismus. Caro Wilbert glaubt, dass ein Umdenken stattgefunden hat: „Die Solidarität mit dem Viertel ist wieder größer geworden“, sagt sie. Die Anwohner finden es schön, wenn es dort viele kleine Läden gibt, deren Besitzer sie kennen. Es gibt hier eine unheimlich nette Nachbarschaft, wie auf dem Dorf, auch unter den Geschäftsleuten.“ Die hat nun auch Früchte getragen: Die Händler haben die „Interessengemeinschaft Zülpicher Straße West“ gegründet und möchten gemeinsam arbeiten – damit die Straße neben ihrer wechselhaften Vergangenheit als Einkaufsstraße auch eine Zukunft hat.