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Bizarrer WegerechtsstreitKölner Ehepaar darf Straße zu seinem Grundstück nicht betreten

Lesezeit 4 Minuten
03.11.2023
Köln:
Streit um das Wegerecht in Junkersdorf.
Stüttgerhofweg 6B
Latif Bekiri und Perwin Sakar-Bekiri
Foto: Martina Goyert

Die Eigentümerin der Erschließungsstraße hat Poller installiert, damit das Ehepaar Perwin Sakar und Latif Bekiri nicht vor dem eigenen Haus parken kann. 

Es ist ein Nachbarschaftsstreit, der in Deutschland seinesgleichen sucht. Perwin Sakar und Latif Bekiri wollen Verfassungsbeschwerde einlegen. Die Stadt Köln verhandelt unterdessen mit der Eigentümerin der Straße.

Ein Kölner Ehepaar streitet mit der Eigentümerin einer Straße, die vor mehr als 50 Jahren öffentlich erschlossen wurde, aber aus nicht geklärten Gründen im privaten Besitz blieb, über einen Gasanschluss, Poller und Nutzungsgebühren für die Straße. Das Ehepaar kurdischer Herkunft fühlt sich benachteiligt, da die anderen Anwohner keine Gebühren zahlen. Man streitet fortan über Anwälte. Das Kölner Amtsgericht urteilt schließlich, dass das Ehepaar die Stichstraße zu seinem eigenen Haus nicht betreten dürfe. Die Begründung: Der Anwalt des Paars habe kein Notwegerecht beantragt, das in diesem Falle für gewöhnlich greift, um Menschen den Zugang zu ihren eigenen vier Wänden zu ermöglichen.

Jetzt hat das Landgericht das Urteil bestätigt: Perwin Sakar und Latif Bekiri drohen bis zu 250.000 Euro Ordnungsgeld oder bis zu sechs Wochen Haft, sobald sie ihr Grundstück verlassen. Eine Revision ist ausgeschlossen. Das Paar will nun alles unternehmen, um doch noch ein Notwegerecht zu erhalten. Es ist ein Nachbarschaftsstreit, der in Deutschland seinesgleichen sucht.

1973 war das Areal am Stüttgerhofweg als Bauland erschlossen worden. Die Eigentümergesellschaft übertrug die Straße seinerzeit nicht an die damalige Gemeinde Lövenich – obwohl sie sich vertraglich dazu verpflichtet hatte. (Die Unterlagen hierzu liegen dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor.) Warum sie das nicht tat, ist gerichtlich bislang ungeklärt geblieben. Der (inzwischen ehemalige) Anwalt des Ehepaars beantragte mit dem Argument kein Notwegerecht, dass dann anerkannt würde, dass die Eigentümerin überhaupt ein Recht habe, Gebühren für die Straßennutzung zu fordern. Sie habe aber kein Recht dazu, da sie nicht rechtmäßige Eigentümerin der Stichstraße sei. Diese Rechtsauffassung teilten die Gerichte nicht: Es gehe um unterschiedliche Verfahren, das Ehepaar hätte das Notwegerecht in jedem Fall beantragen müssen, urteilten Amts- wie Landgericht.

Ende 2023, der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hatte schon mehrfach berichtet, kam die Stadt Köln zu der Einschätzung, dass die Eigentümerin verpflichtet wäre, die Straße öffentlich zu widmen. Da sie das nicht von sich aus tat, ordnete die Stadt im vergangenen Jahr schließlich eine öffentliche Widmung an – die Eigentümerin klagte dagegen.

Weil nicht abschließend geklärt sei, ob die Eigentümerin zurecht auf ihrem Straßenbesitz pocht oder nicht, argumentiert das Landgericht in seinem aktuellen Urteil, ergibt sich auch aus der öffentlichen Widmung der Stadt Köln nicht automatisch ein Wegerecht für das Ehepaar. Auf die Frage, wann mit einem Urteil im Rechtsstreit um die öffentliche Widmung zu rechnen sei, antwortet ein Sprecher der Stadt Köln: „Die Stadt Köln setzt in dem Verfahren auf eine gütliche Einigung.“ Ob das bedeute, dass die Stadt die Straße von der Eigentümerin kaufen wolle, antwortet er: „Bis zum Abschluss des laufenden Verfahrens wird sich die Stadt Köln dazu nicht äußern.“

Stadt Köln verhandelt mit Eigentümerin über Teilkauf der Straße

In einem Protokoll des Verfahrens vor dem Landgericht äußert die Eigentümerin der Straße, dass das Verwaltungsgericht in einem Güterichterverfahren inzwischen geklärt habe, dass die Stadt Köln „keinen Anspruch auf Übereignung der Stichstraße“ habe. Man sei dabei, einen Teil der Straße an die Stadt Köln zu verkaufen. Geeinigt habe man sich noch nicht, eine Einigung hielten aber beide Seiten für möglich. Eine Sprecherin des Verwaltungsgerichts bestätigt das Verfahren, „Eckpunkte einer einvernehmlichen Lösung“ seien besprochen worden. Nicht bestätigen kann das Gericht die Aussage, dass die Stadt Köln keinen Anspruch auf Widmung der Straße habe. Während des Güteverfahrens ruht der Rechtsstreit um die öffentliche Widmung.

So oder so: Stand jetzt kann das Ehepaar wegen „Eigentums- und Besitzstörung“ zu einem Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro oder bis zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt werden, sobald es einen Fuß auf die Straße setzt. „Ich habe mich in meinem Leben noch nie so bedroht und ausgeliefert geführt“, sagt Perwin Sakar, die als Führungskraft für ein bekanntes Kölner Unternehmen arbeitet.

Viel Ärger wäre dem Ehepaar vermutlich erspart geblieben, wenn es das Notwegerecht sofort beantragt hätte – dieses wollten Perwin Sakar und Latif Bekiri nun im Berufungsverfahren erstreiten und scheiterten damit.  

Der Notwegevertrag wäre ein Knebelvertrag gegen alle Grundrechte gewesen
Perwin Sakar

Unabhängig von dem Verfahren vor dem Landgericht hatte die Eigentümerin dem Ehepaar ein Notwegerechtsvertrag vorgeschlagen, wonach allein dem Ehepaar die Nutzung für eine Gebühr von 300 Euro im Jahr gestattet worden wäre – Dritten aber nur nach Genehmigung der Eigentümerin. (Der Vertrag liegt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor). „Medienauftritte jeder Art“ wollte die Eigentümerin in dem vorgeschlagenen Nutzungsvertrag ebenfalls verbieten. Andernfalls hätte die Eigentümerin das Notwegerecht jederzeit kündigen können. „Das wäre ein Knebelvertrag gegen alle Grundrechte gewesen“, sagt Perwin Sakar. „Natürlich konnten wir diesem Vorschlag nicht zustimmen.“ Der Anwalt der Eigentümerin der Erschließungsstraße äußerte sich auf Anfrage nicht zu den Verfahren. Fortsetzung: folgt.