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„Wie eine Astronautin im All“Wie eine ertaubte Kölnerin es schaffte, wieder zu hören

Lesezeit 5 Minuten
Das Hörgerät trägt Katharena S. an ihrem rechten Ohr.

Das Hörgerät trägt Katharena S. an ihrem rechten Ohr.

Vor 40 Jahren verlor Katharena S. fast vollständig ihr Gehör. Dank moderner Technik kann sie heute wieder hören. Doch der Weg war hart.

Sie bemerkte es zuerst beim Telefonieren. Immer schlechter konnte sie die Gesprächspartner verstehen. Dachte, es läge vielleicht am Telefon. Wechselte mit dem Hörer vom linken Ohr auf das rechte. „Ich bin ja Rechtshänderin und da hält man den Hörer eher am linken Ohr, um mit der rechten Hand Notizen zu machen.“ Doch die Probleme wurden immer größer. Eine unheimliche, schleichende Entwicklung. 41 Jahre alt war Katharena S. damals, 1985. Kein typisches Alter, um schwerhörig zu werden.

Sie suchte Hilfe in der Uniklinik. „Die Fachleute haben mich wirklich sehr gut betreut, aber zunächst waren auch sie ratlos.“ Auf dem linken Ohr konnte sie bald so gut wie nichts mehr hören. Auch das Hörvermögen auf dem rechten Ohr verschlechterte sich rapide. Dazu kam ein Schwindelgefühl, eine häufige Begleiterscheinung von Hörverlust. Innerhalb von drei Monaten war sie so gut wie taub. Schließlich kamen die Ärzte zu dem Ergebnis, dass sie wohl unter dem Cogan-Syndrom leidet – eine Autoimmunkrankheit, die vor allem Auswirkungen auf das Innenohr hat. Was diese Krankheit auslöst, ist unklar.

Kölnerin war nach Diagnose ein Jahr wie gelähmt

„Danach war ich ein Jahr lang zu nichts fähig.“ Durch die Taubheit abgeschlossen von der Welt, gelähmt durch den Schwindel, der starke Übelkeit verursachte. „Ich fühlte mich wie eine Astronautin im All, die frei herumfliegt. Kein Boden mehr unter den Füßen.“ Sie nahm stark ab, war depressiv. „Ich habe nur noch auf dem Sofa im Wohnzimmer gelegen. Und habe den Staubflocken beim Herumfliegen zugesehen.“

Vor 15 Jahren ließ sich Katharena S. ein Cochlea-Implantat einsetzen, eine Sonde, die direkt mit dem Hörnerv verbunden ist.

Vor 15 Jahren ließ sich Katharena S. ein Cochlea-Implantat einsetzen, eine Sonde, die direkt mit dem Hörnerv verbunden ist.

Doch dann kam der Moment, als sie beschloss, zu kämpfen. „Meine Kinder waren damals fünf, acht und zehn Jahre alt. Ich wollte sie aufwachsen sehen. Ich wollte nicht vor Kummer eingehen.“ Danach ging es langsam bergauf. Das lag vor allem an ihrem starken Willen. „Man muss sich schon sehr anstrengen.“

Sie hielt engen Kontakt zu den Ärzten, schloss sich Selbsthilfe-Gruppen an, informierte sich. Und entdeckte, dass es Auswege aus der Stille gibt. Für das rechte Ohr bekam sie bald das erste Hörgerät. „Man muss sich sehr daran gewöhnen, die Höreindrücke sind erst einmal sehr unnatürlich, aber das Ohr kann sehr viel lernen.“ Bald konnte sie vertraute Stimmen wieder erkennen, auch wenn nichts mehr so klang wie zuvor. Die Kinder hätten die Entwicklung gut verkraftet. „Mein Mann hat mich und die Kinder gut aufgefangen.“

Weihnachten und Karneval sind oft eine akustische Überforderung

Die ersten großen Stress-Situationen waren die Elternsprechtage in der Schule, erinnert sie sich. „Jeder Lehrer sprach anders und in einer unterschiedlichen Lautstärke.“ Auch wenn alle Kinder – womöglich noch mit Freunden – durch das Haus tobten, war ihr Hörgerät damit überfordert. Dann höre man manchmal nur noch ein Fiepen. Auch Weihnachtstrubel mit Stimmengewirr überfordert sie manchmal heute noch. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, ihren Beruf als Assistentin in der Geschäftsführung eines großen Unternehmens wieder aufzunehmen, wenn die Kinder alt genug sind. Doch den Plan musste sie aufgeben. Viele Stimmen, große Räume, viel telefonieren, das ist nicht mehr drin. „Da brach eine Welt für mich zusammen.“ Stattdessen arbeitete sie ehrenamtlich in der Pfarrbücherei.

Auch mit dem Karnevalslärm wird das Hörgerät nicht fertig. „Karneval zu entbehren, war für mich furchtbar.“ Die gebürtige Kölnerin ging früher leidenschaftlich gern feiern. Sie schloss sich der KG Jecke Öhrcher, dem ersten Karnevalsverein für hörgeschädigte Menschen an, der sich vor allem für die Teilhabe am normalen Leben einsetzt. Inzwischen ist sie aber nicht mehr aktiv dabei.

Die KG Jecke Öhrcher bei den Schull- un Veedelszöch

Die KG Jecke Öhrcher bei den Schull- un Veedelszöch

Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Hörgeräte immer leistungsfähiger. Vor 15 Jahren bekam Katharena S. dann außerdem auf der linken Seite ein Cochlea-Implantat. Das ist eine kleine, runde Sonde, die fest am Kopf angebracht ist. Weil der Hörnerv glücklicherweise noch funktionsfähig ist, können die Geräusche durch die Sonde direkt übertragen werden. „In der ersten Zeit habe ich nur ein Pochen gehört, doch dann ging es.“ Katharena S. konnte auch links wieder hören. „Das ist ein Wunder.“

Schwerhörige sollten nicht angeschrien werden

Ihre letzte Diagnose war, dass ihr Hörvermögen „an Taubheit grenzend“ ist. Doch dank der Technik merkt man ihr das im Gespräch kaum an. Allerdings muss man einiges beachten. „Ich brauche das Mundbild.“ Das heißt, sie muss das Gesicht und die Lippenbewegung ihres Gegenübers sehen können. Das unterstützt das Verstehen. Und man darf nicht schreien, dann spielt die Technik verrückt.

Schwerhörige anzuschreien, sei leider immer noch weit verbreitet. Aber sie räumt auch ein: „Es ist schwer, mit Schwerhörigen umzugehen.“ Viele ältere Menschen hätten Angst vor der Hörgeräte-Technik. Und um die kleinen Einstellrädchen zu bedienen, brauche man gesunde Finger. Gute Technik sei außerdem teuer, Nachrüsten und Kontrollen wichtig. Da gebe so mancher auf. Einige zögen sich einfach erschöpft zurück. Das verstärke noch die Isolation. „Als Hörgeschädigter kann man nie irgendwo spontan hingehen.“

Ein solches Hörrohr benutzte Ludwig van Beethoven.

Ein solches Hörrohr benutzte Ludwig van Beethoven.

Katharena S. war lange in der Selbsthilfe aktiv, „immer auf Achse“. Doch mit 81 Jahren möchte sie nicht mehr mit Foto und vollem Namen in der Öffentlichkeit auftauchen. „Denn ich bin angreifbar, ich bin verwundbar.“ Sie hört zum Beispiel nicht, wenn von hinten jemand kommt. Vor einiger Zeit näherte sich ihr auf dem Friedhof ein Mann und sie merkte es erst, als er unmittelbar hinter ihr stand. Dann sei glücklicherweise eine Familie gekommen und der Mann sei verschwunden. „Danach bin ich monatelang nicht mehr auf den Friedhof gegangen.“ Sie trägt stets einen Notausweis dabei, in dem ihr Hörproblem dokumentiert ist.

Die Statue des Komponisten Ludwig van Beethoven steht in Bonn. Der Komponist, der in seinen letzten Lebensjahren fast vollständig ertaubt war, hätte mithilfe der heutigen Medizin wahrscheinlich weiter hören können.

Die Statue des Komponisten Ludwig van Beethoven steht in Bonn. Der Komponist, der in seinen letzten Lebensjahren fast vollständig ertaubt war, hätte mithilfe der heutigen Medizin wahrscheinlich weiter hören können.

Tief beeindruckt hat sie das „Heiligenstädter Testament“ von Ludwig van Beethoven aus dem Jahr 1802, in dem er seine Verzweiflung über seine fortschreitende Ertaubung schildert. Darin schreibt er, dass er nicht „feindselig störrisch“ oder „misantrophisch“ sei, sondern dass er sich früh „absondern“ musste, um „einsam“ sein Leben zuzubringen. „Drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte, doppelt wehe tut mir mein Unglück.“

„Das stimmt auch heute noch genau, was Beethoven da beschreibt.“ Damals gab es nur das Hörrohr als Hilfe gegen die Stille. Mit den Mitteln von heute hätte wohl auch der Komponist wieder hören können, ergaben Forschungen. So wie Katharena S.