WiederaufbauWarum wir die verwundbaren Orte Kölns sichtbar machen müssen
Köln – Städte bestehen aus Spuren – aus unseren Spuren, aus den Spuren anderer, derjenigen, die wir vergessen oder nie gekannt haben. Städte entstehen aus und stehen auf Ruinen. Die kühnste Vision einer Stadt, die aus ihrer Vergangenheit erwächst, hat im 18. Jahrhundert der Architekt und Kupferstecher Giovanni Battista Piranesi (1720–1778) entwickelt. Rom befand sich zu seiner Zeit in einem Zustand zwischen Verfall und Nicht-Vollendung, zwischen vergangener Größe der einstigen antiken Metropole und neuem Wachstum. Diese Übergangszeit hielt Piranesi in großartigen Radierungen fest, die eine Mischung aus Fantasie-Architekturen und Ruinenszenerien wiedergeben. Das Imaginäre überlagert das Ruinenhafte: Piranesi zeichnete eine Stadt der „nachgeträumten Monumente“ (Norbert Miller), eine neue Stadt, auf Ruinen gebaut, diesen übergestülpt. Er umriss damit die Konturen einer Denkfigur: ein Manifest für die Stadt und für ihre Kraft zur Erneuerung.
Nirgends scheint diese Denkfigur einen solch prägenden Ausdruck zu finden wie in der Nachkriegsarchitektur Kölns. Eingespannt zwischen Raum und Zeit erzählen die Nähte und Narben der Kölner Bauten vom Alten und vom Neuen, von Über- und Neuschreibungen ihrer Geschichte.
Sei es das von Rudolf Schwarz und Karl Band wiederaufgebaute Ensemble zum Festhaus Gürzenich mit der Kirchenruine Alt St. Alban, der Folgebau der Pfarrkirche Neu St. Alban, der 1957 bis 1959 von Hans Schilling am Rande des Kölner Stadtgartens aus den Steinen des abgerissenen alten Opernhauses gebaut wurde, oder das Kunstmuseum Kolumba von Peter Zumthor, errichtet über Gottfried Böhms Kapelle „Madonna in Trümmern“, die ihrerseits auf und zwischen den Trümmern der Pfarrkirche St. Kolumba steht – wohin sich unser Blick auch richtet, sehen wir Vergangenheit und Gegenwart eng miteinander verschränkt.
Die Ruine Alt St. Alban steht zwischen zwei Ewigkeiten: der Vergangenheit in mehrfacher Überschreibung und der Gegenwart, die immerfort andauert. Die einst romanische Kirche, im 17. Jahrhundert zunächst zu einer spätgotischen Hallenkirche umgebaut und dann mit barocken und neugotischen Elementen versehen, fiel im Zweiten Weltkrieg fast vollständig der Zerstörung anheim, wie auch der Gürzenich.
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Rudolf Schwarz sprach von einem „traurigen Rest“, einem Mahnmal, das als Ruine beim Wiederaufbau in das Ensemble des Festsaals integriert wurde. So seien „die Feste des Lebens vor den Hintergrund des Todes gestellt“ worden. Wie Piranesi für Rom, entwarfen die Architekten der Nachkriegszeit für Köln aus den traurigen Resten eine imaginierte Vergangenheit, die es so nie gegeben hat.
Doch wie weit reicht die Sympathie für Ruinen und das Bruchstückhafte und worauf beruht die Anziehungskraft des Fragmentarischen? Sind diese Bauten eine Vision, ein mit Ernst Bloch gesprochen „Träumen nach Vorwärts“, das die Zukunft der Stadt über die eigene Vergangenheit und Gegenwart hinaus greifbar macht? Vielleicht sind sie auch das Symptom eines melancholischen Optimismus, der zu Veränderung und Erneuerung anregt, zugleich den menschlichen Zerstörungskräften ohnmächtig gegenübersteht.
Heute ist uns das Denkbild der Ruine näher denn je, stehen wir doch vor den Trümmern unseres profitorientierten Immer-weiter-Denkens, vor den Scherben unseres Strebens nach grenzenlosem Wachstum in einer begrenzten Welt.
Unsere Empathie für die Versehrtheit und Fragilität der Stadt droht jedoch im Zeichen einer gesichtslosen Immobilienindustrie verloren zu gehen. Die behutsame Praxis des Fortschreibens der unmittelbaren Nachkriegszeit in der Architektur eines Rudolf Schwarz wird unversehens durch eine Praxis des Überschreibens ersetzt. Gerade in Köln wird das sichtbar an vielen Orten, die von der Abrissbirne bedroht sind, weil sie zugunsten eines noch profitableren Vorhabens, das die ephemeren Insignien des Wachstums und des Erfolgs trägt, weichen sollen. Doch das Überschreiben der Vergangenheit statt eines Fortschreibens der Geschichte bringt die Gefahr des Verlusts der Identifikation und der Wechselbeziehungen zwischen den Menschen und ihrer Stadt mit sich. Der soziale Körper der Stadt wird geschwächt, wenn ihm Erinnerung und Identifikation verweigert werden.
Zur Gastautorin
Adria Daraban ist Architektin und Dozentin für Architektur- und Stadttheorie. Sie ist Mitherausgeberin der Online-Zeitschrift *archimaera* und publiziert in verschiedenen Architekturzeitschriften.
Eine Notwendigkeit wird uns Menschen dieser Stadt schmerzlich klar: Wir müssen die verwundbaren Orte der Stadt, die Orte, an denen Teilnahme wie Teilhabe am Stadt-Machen möglich sind, Orte, die uns Zugehörigkeit und Halt verleihen und die heute bedroht sind, aufspüren und sichtbar machen. Wir müssen ihre Strukturen aufdecken und verinnerlichen, um sie zu schützen. Werden wir aus Liebe zur Stadt zu Kartografen und Chronisten ihrer Unebenheiten, Versehrtheiten und fragilen Stellen. Denn hier beginnt die Stadt. Bauen wir Stadt auf Stadt, bewährt sich die Architektur als soziale und kulturelle Praxis.